Mehr als ein Programm

Evangelisation jenseits von vier einfachen Schritten

Viele Anleitungen zur Evangelisation hören sich an wie ein Kochrezept: «Man nehme…». Dabei ist es fast egal, ob es sich um die altbekannten «Vier geistlichen Gesetze» von Campus für Christus oder scheinbar aktuelle Konzepte wie «MyFriends» handelt. Sie alle funktionieren bis zu einem gewissen Grad und sind motiviert vom Wunsch, Menschen für Gott zu erreichen. Das ist völlig legitim. Doch sie greifen zu kurz.

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Mit guten Freundschaften macht das Leben Spass.
Die meisten Menschen, die irgendwann in ihrem Leben Christus begegnen, fragen sich: Wie kann ich das an andere weitergeben, was ich selbst erlebt habe? Was mein Leben völlig umgekrempelt hat? Dieser Wunsch ist absolut normal. Und weil er so weit verbreitet ist, gibt es zahlreiche Antworten auf diese Frage. Scheinbar stehen einfache Antworten besonders hoch im Kurs. Das würde erklären, warum wenige Konzepte danach fragen, was das Gegenüber wirklich interessiert oder weiterbringt. Meist geht es darum zu zeigen, wie einfach das Reden vom Evangelium eigentlich ist.

Einfach, aber nicht simpel

Tatsächlich ist kein Konzept schlecht, das erklärt, wie man vom Glauben reden kann. Ob es die oben beschriebenen Klassiker sind oder «Vom Minus zum Plus», die «Römerstrasse» oder «The Four»: Alle können Christen gut dabei helfen, sprachfähig zu werden und über ihren Glauben zu reden. Ihre Stärke und ihr Problem liegen allerdings nah beieinander: Sie sind sehr lösungsorientiert. Will heissen, dass sie eigentlich keinen Raum für echte Begegnung lassen, sondern sich nur darauf fokussieren, andere für den Glauben zu gewinnen. Aber was ist, wenn das Gegenüber signalisiert, dass dieser Schritt (jetzt) nicht dran ist? Ist das Gespräch damit beendet? Oder geht es, jenseits von mechanistischen Programmen, erst richtig los?

Sei ein Freund – und bleibe es

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Irgendjemand prägte den Begriff der Freundschaftsevangelisation. Diese Idee der Achtzigerjahre feiert gerade mit dem «MyFriends»-Konzept seine Renaissance. Die Idee dahinter leuchtet eigentlich ein: Sieh im anderen kein Evangelisationsobjekt, sondern betrachte ihn als Menschen, befreunde dich mit ihm, interessiere dich für ihn. So weit, so gut. Aber was tue ich, wenn all das funktioniert, mein Gegenüber sich aber nicht für ein Leben mit Jesus entscheidet? Weder heute noch morgen? Dann stellt sich heraus, ob meine Freundschaft nur ein Zweckbündnis war oder ein echtes Angebot.

Der schottische Autor und Christ George McDonald drückte es so aus: «Ein wahrer Freund ist immer ein Freund.» Tatsächlich belastet nichts eine Freundschaft so stark wie das unausgesprochene Anliegen, dass der andere sich erst noch ändern muss, um sich der Freundschaft als würdig zu erweisen. Gleichzeitig bezeugen sehr viele Christen, dass sie Gott über ihre Freunde zum ersten Mal begegnet sind. Es geht also nicht darum, Freundschaftsevangelisation zu vergessen. Im Gegenteil. Aber der Akzent muss auf Freundschaft liegen und nicht auf einem Ergebnis dieser Beziehung in den ersten drei Wochen.

Hör zu

Evangelisieren bedeutet für viele Christen das Reden vom Glauben. Das stimmt allerdings nur teilweise. Denn jedes Reden beginnt mit einem ausführlichen Zuhören. Jakobus schreibt in seinem Brief von dieser Grundhaltung: «Darum, meine geliebten Brüder, sei jeder Mensch schnell zum Hören, langsam zum Reden, langsam zum Zorn» (Jakobus, Kapitel 1, Vers 19). Auch ohne den am Schluss erwähnten Zorn ist es sinnvoll, meinem Gegenüber gut zuzuhören. Denn ich empfinde im Gespräch wenig so störend wie die Antwort auf eine Frage, die ich gar nicht habe.

Sei wertschätzend und freundlich

Das Internet macht es vor – und es führt dabei in die Irre: Nicht die schnelle, sarkastische, spitze, verletzende Antwort ist die beste, sondern ein wertschätzendes Gespräch. Dazu gehört auch der respektvolle Umgang mit dem Lebenskonzept oder Glauben meines Gegenübers. Dieser mag auf mich als Christen «handgestrickt» oder sektiererisch wirken, unvernünftig oder ungläubig. Aber es ist nun einmal die Meinung des anderen. Ich muss nicht so tun, als wäre es irgendwie auch meine eigene Meinung, aber mein Respekt für seine Einstellung wird letztlich auch seinen Respekt für meinen Glauben bewirken. Und selbst, wenn das nicht geschieht: Freundlichkeit macht einen echten Unterschied.

Sprich versöhnlich

Versöhnung hat zwei Seiten. Wenn ich mit anderen rede, dann spielen beide eine wichtige Rolle. «Ich vergebe dir» sollte mir genauso leicht von den Lippen kommen wie die Bitte: «Vergib mir». Beides ist mehr als eine Floskel. Es sind kraftvolle Zugeständnisse, die die biblische Aussage unterstreichen, dass jeder Mensch Vergebung benötigt: «Alle haben gesündigt und verfehlen die Herrlichkeit, die sie vor Gott haben sollten» (Römer, Kapitel 3, Vers 23).

Hab die Ewigkeit im Blick

Smalltalk ist völlig in Ordnung. Das Reden über den Alltag hat einen hohen Stellenwert. Doch die Bibel zeigt, dass Gott «alles vortrefflich gemacht [hat] zu seiner Zeit, auch die Ewigkeit hat er ihnen ins Herz gelegt» (Prediger, Kapitel 3, Vers 11). Ganz praktisch bedeutet dies, dass ich in der Regel offene Türen einrenne, wenn ich mit anderen über Sinnfragen rede, über «das, was bleibt». Niemand möchte bei jedem Gespräch evangelisiert werden, aber genauso wenig möchte niemand nur über Belanglosigkeiten reden.

Teile Leben, nicht nur Ansprüche

Die wahrscheinlich kraftvollste evangelistische Frage ist die folgende: «Magst du zu mir nach Hause kommen?» Die Hauskirchenbewegung bricht Evangelisation nicht umsonst auf diese drei Aussagen herunter: «Öffne deine Tür, öffne deinen Kühlschrank, öffne dein Herz.»

Worum geht es? Es geht darum, nicht nur über theoretische Ideen und Ansprüche zu reden, über Dinge, die «man» tun könnte, wenn man denn wollte. Stattdessen geht es darum, dass ich als Christ mich greifbar, verletzlich und gläubig zeige, indem ich mein Gegenüber in meinen Alltag hineinnehme. Dort wird nicht alles perfekt sein – wer Kinder hat, weiss, wovon ich rede! Aber es wird deutlich, wofür mein Herz schlägt. Nichts wirkt so einladend. Und in diesem Umfeld werden auch die oben erwähnten Programme wieder sinnvoll. Nicht als Wege zum Erfolg, aber als Gesprächsanregung.

Zum Thema:
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Datum: 01.06.2020
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

Kommentare

Wahrscheinlich gibt es noch eine wirkungsvollere evangelistische Frage: "Darf ich dich mal besuchen?" Wenn wir jemanden zu uns einladen (was natürlich auch OK ist), muss die Person immer noch "zu uns" kommen. Wenn ich jemanden besuche, signalisiere ich, dass die Person mir so wichtig ist, dass ICH mich auf den Weg mache. Dass ich interessiert daran bin, wie sie lebt. Untersuchungen zeigen, dass Menschen sehr gern zeigen, wie sie leben. Wenn wir jemanden besuchen, tun wir, was Gott tat. Jesus sagte "Kommt her zu mir", aber erst NACHDEM er zu uns kam :-)
Aus der Broschüre "Die Verbreitung von Traktaten - praktische und biblische Hinweise", Seite 8): "Wie oft sprechen Sie vom Wetter? Ist aber das Wetter oder Jesus Christus wichtiger?" So haben Sie immer Gelegenheit zum Ende eines Gesprächs ein christliches Traktat weiterzugeben. Und der Dichter Friedrich Rückert: "Wer da sitzet in einem Röhricht und sich da kein Pfeifchen schneidet der ist töricht." Und der Christ sitzt immer im "Röhricht"!
Danke für diesen super Artikel! Wie wahr!Leben wir echte Freundschaft und beten wir für unsere Freunde, ganz gleich ob sie sich früher, später oder gar nicht für Gott entscheiden. Lieben wir sie mit echter Liebe zu Jesus hin.... Schade wurde und wird dies aber in vielen Freikirchen so nicht gelehrt. Kamen und kommen viele unter einen Evangelisationsdruck, sehen Menschen als Bekehrungsobjekte und massen sich an zu beurteilen ob ein Mensch im Herzen gläubig ist , oder sogar welche Kirche die richtige ist. Gott sei Dank sieht Gott das Herz! Auch von sogenannten Ungläubigen dessen Herz oft näher bei Gott ist , als das von Christen die alles besser wissen...

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