Kommentar
Leidet Familienpolitik wegen kinderlosen Staatsführern?
Die meisten westeuropäischen Staatschefs und -chefinnen haben keine Kinder. Könnte sich das auf ihre politische Arbeit auswirken? Können sie sich so in die vielfältigen Herausforderungen für Familien einfühlen?
Der katholische Journalist Phil Lawler hat eine Liste europäischer Staatenlenker und -lenkerinnen zusammengestellt, denen eines gemeinsam ist: Sie haben keine Kinder. Von Kinderlosigkeit betroffen, ob freiwillig oder aus medizinischen oder biologischen Gründen sind demnach: Emanuel Macron (Frankreich), Angela Merkel (Deutschland), Theresa May (Grossbritannien) Paolo Gentiloni (Italien), Mark Rutte (Holland), Stefan Löfven (Schweden), Xavier Bettel (Luxemburg), Nicola Sturgeon (Irland) und Jean-Claude Juncker (EU-Kommissionspräsident).Kinderlose Strahlefrau Leuthard
Aus Schweizer Sicht lässt sich zu dieser Liste auch die aktuelle Bundespräsidentin Doris Leuthard hinzufügen, die vor drei Jahren im Talk mit Roger Schawinski darüber gesprochen hat und danach auf der SRF Webseite mit dem Ausspruch zitiert wird: «Ohne Kinder ist man wohl ein bisschen einsamer» – und etwas später: «Ich denke schon manchmal, dass ich Grosskinder im Alter vermissen werde.» Sie fügte aber auch hinzu, dass sie als Mutter möglicherweise auch nicht Bundesrätin geworden wäre: «Wir haben keine Kinder gekriegt, sonst hätte ich wahrscheinlich ein anderes Leben geführt.»
Es geht auch mit...
Dass man durchaus auch als Regierungsmitglied oder Präsident Kinder haben kann, haben gerade herausragende Politiker/innen wie Tony Blair, Barack Obama oder Ursula van der Leyen, die gar eine Grossfamilie hat, vorgemacht. Doch sie sind offensichtlich Ausnahmeerscheinungen. Zum einen sind Politiker einfach meistens zu stark von ihrem Job absorbiert, um sich auch um eigene Kinder zu kümmern. Zum andern kann gerade die Kinderlosigkeit motivieren, sich ganz in eine politische Karriere zu investieren.
Wer keine eigenen Kinder hat, dem entgehen aber wesentliche Erfahrungen, die gerade für die politische Arbeit von Bedeutung sind. Hier das Beispiel Schweiz:
Das Bildungswesen – gut für problemlose Schüler
Dass die Schulen und das gesamte Bildungswesen mit vielen Herausforderungen konfrontiert sind, weiss auch die Politik – zumindest theoretisch. Was es aber konkret bedeuten kann, wenn eine Lehrperson überfordert ist, wissen nur Eltern wirklich, die ein Kind in einer «schwierigen» Klasse haben. Ebenso, wo die Defizite liegen, sobald es um die spezielle Unterstützung eines Kindes geht. Politiker können konkrete Beispiele als Einzelfälle abtun. Sie reagieren oft erst, wenn Medien ein Problem thematisieren. Eltern fühlen sich häufig alleingelassen. Sie werden zwar in die Verantwortung genommen, zum Beispiel bei Problemen mit der modernen Kommunikationswelt mit ihren Fallgruben, vermissen aber eine wirkliche Unterstützung der Politik. Zum Beispiel einen Schutz vor destruktiven Medieninhalten.
Das Sozialwesen – nur die Kosten zählen
Die Politik ist sich, ganz besonders in der Schweiz, gewohnt, alles über den Kostenfaktor abzuhandeln. Gerade auch in Familien. Zuerst werden Steuern gesenkt und dann Sparrunden gedreht. Der Kampf um eine bessere Unterstützung der Familien, insbesondere von Grossfamilien, brachte bislang wenig hervor. Ein Grund dafür könnte darin liegen, dass nicht nur Staatspräsidenten, sondern auch viele ihrer Kolleginnen und Kollegen in den Parlamenten die Probleme nicht aus eigener Erfahrung kennen. Ein Beispiel für mangelndes Verständnis für die Situation der Familien ist die konsequente Weigerung der Politik, einen Ausgleich zu schaffen, welche die Nachteile von Eltern auch in der privaten Vorsorge wenigstens teilweise kompensiert.
Das Gesundheitswesen – zu teuer für die Bedürfnisse von Familien
Auch das Gesundheitswesen wird vor allem als Kostenfaktor gesehen. Wohl den Eltern, die gesunde Kinder haben. Wer für seine Kinder gewisse medizinische und therapeutische Hilfen braucht, zum Beispiel für Zahnkorrekturen, muss oft hohe Beträge selbst stemmen. Oder mit dem Problem klar kommen, dass es immer weniger Kinderärzte gibt, die ihrerseits finanziell schlechter gestellt sind als andere Spezialisten. Oder die grosse Distanz zur nächsten Kinderklinik. Oder wie eine Familie mit einem schwer kranken oder behinderten Kind klar kommt. Hier lernen Betroffene das System oft als sehr familienfeindlich kennen.Zum Thema:
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Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet
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