Lukas Geske:
«Ich vergebe den Mördern meines Vaters»
Lukas Geske ist als Missionarskind aufgewachsen. Seine Eltern haben in der Türkei gearbeitet, bis sein Vater 2007 von fünf Männern gefoltert und ermordet wurde. Seine Mutter ist immer noch als Missionarin im Land. Lukas selbst hat jetzt auf einer christlichen Jugendwoche unterstrichen: «Ich habe den Mördern meines Vaters vergeben!»
Mehrere Missionarskinder kamen bei der Jugendwoche zu Wort. Sie befinden sich zurzeit in einem Orientierungsjahr, das ihnen helfen soll, nach einer Kindheit im Ausland in Deutschland wieder Fuss zu fassen. In diesem Rahmen berichteten sie auch von ihren Erfahrungen in der Mission. Besonders betroffen waren die über 100 jungen Zuhörer von Lukas Geskes Geschichte.Mord ohne Aufklärung
Ende der 90er-Jahre zogen Susanne und Tilmann Geske ins ostanatolische Malatya in der Türkei. Sie wollten dort eine Gemeinde aufbauen. Geskes liebten Land und Leute, kamen mit dem Klima gut zurecht und hatten gute Kontakte zu ihren Nachbarn. Doch dann kam der Tag, der alles veränderte: Am 18. April 2007 griffen fünf extremistische Muslime Tilman Geske und seine zwei Mitarbeiter ihres kleinen christlichen Verlags bei helllichtem Tag an, folterten sie und richteten sie regelrecht hin.Die Polizei ist zufällig sehr schnell am Tatort und kann dort die Mörder direkt festnehmen. Das Tatmotiv – religiöser Fanatismus – scheint auf der Hand zu liegen und die Beweislage ist eindeutig. Doch inzwischen sind sieben Jahre vergangen und noch ist keiner der Täter verurteilt. Im Gegenteil: Sie sind wieder auf freiem Fuss, weil sie nicht länger als fünf Jahre in Untersuchungshaft sein dürfen.
Antichristliches Klima
Vom Jahr 2000 an gab es in der Türkei eine breit angelegte antichristliche Kampagne, an der sich ultranationalistische Journalisten, Juristen und Geschäftsleute ebenso beteiligten wie Schlüsselfiguren aus Polizei und Militär. In diesem Umfeld lebten und arbeiteten Geskes. Während 2005 der EU-Beitrittsprozess der Türkei begann, verschärfte sich diese Stimmung noch. Einige Christen fielen daraufhin Mordanschlägen zum Opfer – Höhepunkt der Gewalt war der Mord an Tilman Geske und seinen einheimischen Mitarbeitern.
Dass dieses Klima auch noch den Prozess beeinflusst, wird unter anderem daran deutlich, dass die Staatsanwaltschaft im Verlauf des Gerichtsverfahrens mehr Unterlagen zur Arbeit von Geskes gesammelt hat als Untersuchungen zum eigentlichen Mord beigetragen hat.
Christen als Verräter gehören zum Gründungsmythos der Türkei
Gerald Knaus ist Leiter der European Stability Initiative und spezialisiert auf die Analyse des osteuropäischen Raums. Er erklärte im Deutschlandfunk den Zusammenhang zwischen Christenmorden und EU-Beitrittsprozess mit dem Gründungsmythos der türkischen Ultranationalisten. Aus Sicht der Ultranationalisten hatte sich im Krieg 1919-1922, der zur Gründung der Republik führte, die ganze Welt gegen die Türkei verbündet. Christen galten dabei als Verräter. «Sie waren Agenten ausländischer aggressiver Kräfte, eines aggressiven Europas, das die Türkei schwächen wollte … Dieser Mythos, wurde nach 2004 wiederbelebt.» Viele der angestrebten Kompromisse waren für die Nationalisten eine Schwächung der Türkei. Und Christen galten als gefährliche Agenten, treibende Kräfte dieses Prozesses.Terror und Vergebung
Inzwischen scheint klar, dass die fünf Mörder keine Einzeltäter waren. Sie kommen aus dem Umfeld eines ultranationalistischen Terrornetzwerks und wurden offensichtlich davon inspiriert und instruiert. Ein eventueller Auftraggeber konnte allerdings nie ermittelt werden.
Von vornherein hat Susanne Geske in diesem Fall ein für viele unverständliches Verhalten an den Tag gelegt: Einerseits bestand sie auf ihrem Recht und liess trotz Verschleppung durch die Behörden bis heute nicht locker. Gleichzeitig floh sie nicht ausser Landes, sondern blieb – und sie vergab den Mördern ihres Mannes. «Dann ist mir das Wort von Jesus in den Sinn gekommen, also was Jesus am Kreuz gesagt hat: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.» (Lukas-Evangelium, Kapitel 23, Vers 34)
Ende eines Traumas
Dass seine Mutter den Mördern vergeben hat, ist die eine Seite. Doch Vergebung ist nicht erblich. Lukas Geskes Kindheit und Jugend ist durch den Mord an seinem Vater schwer beeinträchtigt, wenn nicht zerstört worden. Doch der junge Mann kam zu dem gleichen Schluss wie seine Mutter. Er betonte: «Ich habe den Tätern vergeben und bete für sie.»Damit überzeugte der junge Christ viele seiner Zuhörer. Etliche wollten im Rahmen der Veranstaltung «Face to Face» (Von Angesicht zu Angesicht) Jesus kennenlernen – dieser Glaube hat sie überzeugt.
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Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet / idea