Rückblick – Ausblick
«Das würde ich als Christ heute anders machen…»
«Wenn ich mein Leben im Glauben noch einmal von vorne anfangen könnte, würde ich das anders machen.» Hinter dieser hypothetischen Was-wäre-wenn-Formulierung steckt keine Resignation, sondern vielmehr das Wissen, dass der Glaube trotz Fehlern weitergeht.Wer glaubt, ist unterwegs, macht Fehler, lernt dazu, erfährt Veränderung und Korrektur. Ein Rückblick auf das, was ich lieber anders gemacht hätte, ist damit gleichzeitig ein Ausblick auf das, was ich in Zukunft ändern möchte. Das würde ich anders machen:
1. Ich würde mir weniger Gedanken um die richtigen Antworten machen
Ein weit verbreitetes Missverständnis macht aus der Bibel das Buch der ultimativen Antworten und aus Christsein eine Art göttliche Wikipedia mit Lösungen für jede Lebensfrage. In Wirklichkeit geht es beim christlichen Glauben um meine Beziehung zu Christus und nicht um eine wissenschaftliche Sammlung richtiger Lehrentscheidungen.
Ich würde, anstatt Zeit, Kraft und Mittel mit vordergründigen theologischen Fragen zu verschwenden, meinen Schwerpunkt lieber darauf legen, Jesus besser kennenzulernen. «Richtiges» Denken soll meine Liebe zu Christus nie verstellen.
2. Ich würde mehr fragen
Nicht in erster Linie, um Antworten zu bekommen, sondern um zu lernen, im Gespräch zu bleiben und mit meinem Nicht-Wissen klarzukommen. Anfänglich waren Gewissheiten sehr wichtig und attraktiv für mich, aber irgendwann musste ich mir eingestehen, dass das Glaubensleben komplexer und facettenreicher ist, als ich verstehe.
Ich würde aufhören, mein Christsein als einfaches moralisches Konstrukt zu behandeln, bei dem ich blind jeder Lehre als absoluter Wahrheit folgen muss, damit sich mein echter Glaube nicht in unbewegliche Religion verwandelt.
3. Ich würde mehr riskieren
Christsein wird oft mit Risikovermeidung gleichgesetzt – einer Form von Weltflucht. Wir verstecken uns in Kirchen, tun so, als ob Schmerz, Leid und Bosheit nicht mehr existieren und warten auf eine hundertprozentig sichere Handlungsanweisung von Gott, indem wir uns auf einen langwierigen Prozess einlassen, der uns seiner «Berufung» versichern soll.
Jesus nachfolgen ist viel riskanter. Die Bibel zeigt, dass es nicht immer sicher, logisch oder die Härten des Lebens vermeidend ist, wenn ich so lebe wie Jesus.
Ich würde wieder mehr riskieren. Anderen von Gott erzählen. Mich nicht mehr ablenken lassen von Sehnsucht nach Ruhm, Glück, Macht, Einfluss und Erfolg – und doch gefangen bleiben in einem Leben voller Entschuldigungen. Statt Theologie und Theorie sollen Praxis und Zusammenarbeit meinen Glauben bestimmen.
4. Ich würde Echtheit über Beliebtheit stellen
Viel zu oft haben Christen Angst, sich verletzlich, offen, ehrlich und wahrhaftig zu zeigen. Verständlicherweise. Wer Sünde, Zweifel, Kämpfe, Ängste und seine Ansichten zugibt, erlebt oft «christliche» Antworten, die gesetzlich, gemein, verbittert und richtend sind. Doch ehrliche, authentische und liebevolle Gemeinschaft ist nur dann möglich, wenn ich meine Kämpfe, Schuld und Zweifel zugebe. Nachfolge beinhaltet Unbequemlichkeit und Verletzlichkeit.
Auch die Bibel zeigt uns ein brutal ehrliches Bild christlicher Gemeinschaft. Schon die ersten Jünger von Jesus zweifelten, verstanden nicht, was um sie herum geschah, waren verwirrt, hatten Konflikte. Ihre Beziehungen gingen durch gute und schlechte Phasen und einer von ihnen verriet Jesus sogar.
Ich würde mich von falschen Träumen «heiliger Gemeinschaft» verabschieden und chaotische, aber echte Gemeinschaft leben und hart für sie arbeiten.
5. Ich würde geduldiger sein und weniger zynisch
Etliche Probleme haben ihre Ursache darin, dass wir christliche Kultur mit Christus verwechseln. Das ist nicht dasselbe. Gott ist vollkommen – die Christenheit nicht.
Pastoren, Gemeinden, Gläubige und Werke werden unausweichlich versagen, wieder und wieder. Und der Frust zu sehen, wie Menschen das Evangelium entstellen, um ihre eigenen Pläne durchzusetzen, lässt uns leicht zynisch werden oder ausbrennen.
Ich würde in meinen Erwartungen realistischer werden, geduldig bleiben und Hoffnung pflegen – schon, um selbst geistlich am Leben zu bleiben.
6. Ich würde mich weniger um Statistiken, Zahlen, Daten und Ergebnisse kümmern
Beim Christsein geht es nicht um Wachstum, Macht, Einfluss, Popularität, Ruhm, Zahlen oder Statistiken. Es ist kein Produkt, das Kunden verkauft wird, und kein Geschäftsmodell, das den Markt beherrschen soll. Unglücklicherweise gehen wir oft genau so mit unseren Gemeinden, Diensten und dem Glauben um.
Unsere Motivation sollte die Liebe zu Gott und zum Nächsten sein, das Hervorbringen von Früchten des Geistes. Ich würde mehr dem Beispiel von Jesus folgen, so gut ich es kann: andere lieben, den Armen dienen, die Hungrigen speisen, die Kranken pflegen, meinen Feinden vergeben, die Verstossenen annehmen, die Bedürftigen umarmen und opferbereit geben – auch wenn das kaum messbar und darstellbar ist.
7. Ich würde gnädiger und verständnisvoller mit anderen Glaubensrichtungen sein
Christsein ist so unterschiedlich wie die Leute, die es verkörpern. Es gibt zahllose Denominationen, Gemeinden und Gemeinschaften, die alle unterschiedliche Traditionen ausüben, unterschiedliche Lehren glauben, an verschiedenen Theologien festhalten und ihren Glauben auf zahlreiche Arten leben.
Beim Christsein geht es nicht um das Herstellen von Gleichförmigkeit, das Bezwingen anderer Religionen oder Einstellungen oder darum, andere von unseren geistlichen Vorlieben zu überzeugen – es geht darum, anderen Gott vorzustellen.
Ich würde anderen Menschen weniger Inhalte, Traditionen und Institutionen vorstellen, sondern vielmehr Christus selbst.
Christsein ist der lebenslange Prozess, Gott ähnlicher zu werden. Ich habe dabei viele Fehler gemacht und schaue jetzt auf peinliche Dinge zurück, die ich geglaubt, getan oder mitgetragen habe. Aber ich weiss, dass Gott gnädig ist und vergibt. Deshalb ist mein «Das würde ich anders machen, wenn ich noch einmal von vorn anfangen könnte» auch keine Resignation. Es ist vielmehr die fröhliche Überzeugung: «Ich versuch's!»
Nach dem englischen Artikel «7 Ways I Would Do Christianity Differently» von Stephen Mattson, Sojourners.
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Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet