Hintergrund
Pfingsten war ein Mutanfall
Pfingsten ist im Vergleich zu Weihnachten oder Ostern kein populäres christliches Fest: Noch 38 Prozent der Befragten aus der Schweizer Bevölkerung wissen, warum sie an Pfingsten einen zusätzlichen Freitag erhalten haben: An Pfingsten wird die Entsendung des Heiligen Geistes gefeiert.
Es zeigt sich ein deutlicher Altersunterschied: Mit 20 Prozent gaben signifikant weniger 15- bis 29-Jährige die korrekte Antwort im Vergleich zu allen Befragten (38 Prozent). In der Altersgruppe 50–74 Jahre gaben dagegen mit 47 Prozent klar mehr Personen die korrekte Antwort. Das ergab eine repräsentative Meinungsumfrage des Forschungsinstituts Link, wie die «Coop Zeitung» berichtet. Frauen gaben deutlich häufiger (43 Prozent) als die Männer (23 Prozent) die Antwort «weiss nicht». Deutliche Unterschiede zeigen sich auch, wenn man die Schulbildung der Befragten betrachtet: Während Absolventen einer Höheren Schule zu 55 Prozent richtig lagen, sind es bei solchen der Grundschule bloss 22 Prozent.
Vom Sturmwind verwandelt
Man hätte dabei sein sollen, damals in Jerusalem. Man hätte selber miterleben müssen, wie plötzlich ein Sturmwind losbricht und ein ängstliches Häuflein verschüchterter Menschen in eine mutige Schar verwandelt. «Die Getreuen von Jesus aus Nazareth hatten einen Mutanfall. Eine Welle überschäumender Begeisterung hatte sie erfasst und sie ermutigt, in seinem Geist und Sinn zu leben. Zu sagen, was er gesagt hatte. Sich einzusetzen, wofür er sie beauftragt hatte. Vertrauensvoll den Weg zu gehen, den er ihnen vorangegangen war», schreibt Pfarrer Beat Wanner von der evangelisch-reformierten Kirchgemeinde Hemmental in den «Schaffhauser Nachrichten». Die Getreuen hatten den Geist der Liebe durch Jesus erlebt. Am Pfingsttag liessen sie sich von eben diesem Geist mitreissen in ein neues Leben. Dafür brauchten sie Mut.Geburtsstunde der Kirche
Sie lebten in einer zerrissenen Gesellschaft: Wenige herrschten, viele mussten sich beugen. Einige schwelgten in märchenhaftem Luxus und Reichtum; Heere von entrechteten Sklaven ächzten unter der Knute ihrer Treiber. Man feierte hemmungslos den blutigen Triumph der Gewalt in der Arena und auf dem Schlachtfeld. Es brauchte Mut, in dieser Gesellschaft hinzustehen und zu sagen: Der Sklave ist uns genau so lieb wie der Freie, die Frau so wertvoll wie der Mann, der Jude so willkommen wie der Grieche. Wen die Welt gering achtet, den wollen wir umso höher schätzen. Und soweit es an uns liegt, wollen wir mit allen Menschen in Frieden leben.
Pfarrer Beat Wanner weiter: «Gott sei Dank hatten die damals den Mut, Spott und Strafe auf sich zu ziehen. Ihr Mutanfall hat Geschichte gemacht: Es war die Geburtsstunde der Kirche.»
Kirche kann Menschen auffangen
In der Kolumne fährt Pfarrer Beat Wanner fort: Nein, man muss nicht Christ sein und Kirchenmitglied, um solche Werte gut zu finden und sich davon motivieren zu lassen. «Doch im Grunde beziehen diese Werte und die Motivation, ihnen nachzuleben, den Löwenanteil ihrer Kraft aus dem, was wir in der Kirche ehren und feiern: die einzigartige Persönlichkeit des Jesus von Nazareth, sein Vorbild, seine Botschaft. Wo wir ihn aus den Augen verlieren, da mögen wir durchaus noch ein Weilchen ganz gut weiterkutschieren wie zuvor. Doch allmählich verblassen die Ideale, die Gemeinschaft bröckelt, und die harten Ellbogen werden ausgefahren.» Das gesellschaftliche Klima ändert sich: Die Fluggesellschaft Swiss und die SBB berichten über zunehmende Übergriffe und Pöbeleien. Und der Vizepräsident der Polizeidirektorenkonferenz erklärt die sinkende Hemmschwelle zu Gewaltdelikten auch damit, dass viele keinen Rückhalt in der Familie oder bei Freunden mehr hätten. Sie seien nicht in Vereinen oder in der Kirche, die sie in einer Krisensituation auffangen könnten.
«Selbst für ein kleines Paradies kann eine lebendige Kirche ein Standortvorteil sein. Sie schafft Gelegenheiten, dass der göttliche Geist der Liebe auf uns überspringen kann. Das geschieht immer wieder und schafft echte Lebensqualität. Ja, sie fasziniert mich je länger, je mehr, diese Kirche, geboren aus einem Mutanfall vor bald 2'000 Jahren: Pfingsten», so Pfarrer Beat Wanner.
Der evangelische Pfarrer von Frauenfeld, Christoph Naegeli, fragt in der «Thurgauer Zeitung»: Was geschähe wohl, wenn die Christenheit auch in unseren Tagen wieder anfinge, an die Gegenwart von Gottes Geist zu glauben? Wenn sie glauben könnte, dass das Leben sich nicht in Routine und Gewohnheiten erschöpft, sondern dass es Einbrüche gibt, plötzliche Erfahrungen und Erkenntnisse, die neu und anders sind als alles Bisherige und Gewohnte?
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Autor: Markus Baumgartner
Quelle: Dienstagsmail