Berater Jörg Schori
Vom Umgang mit Selbstbefriedigung
Jörg Schori ist Coach, Paar- und Familientherapeut, Seelsorger und Berater. Lesen Sie seinen Beratertext über den gesunden Umgang mit Selbstbefriedigung.
Frage eines Schülers
Ich habe seit vier Jahren mit der Selbstbefriedigung zu tun. Am Anfang war es für mich einfach nur ein irres Erlebnis. Doch die folgenden Jahre empfand ich schwere Schuldgefühle. Ich bin gläubig und versuche, bei Jesus Christus einen Halt zu finden. Ich möchte ein Leben in Reinheit führen, doch es klappt nicht. Nach einem Gebet fühle ich mich frei, aber bald danach kommt wieder der Fall. Ist eigentlich Selbstbefriedigung Sünde? Wo wird sie in der Bibel erwähnt? Bitte geben Sie mir in paar Tipps. Ich möchte da rauskommen.Antwort
Ich bedanke mich für Deinen offenen Brief. Vorab muss ich Dir sagen: Du bist mit diesem Problem nicht allein. Wenn man bei Seelsorgern nachfragt, mit welchen Problemen Jugendliche zum Gespräch kommen, sind Selbstwertprobleme und Selbstbefriedigung die am häufigsten genannten Ursachen. Sehr mutig finde ich es, dass Du mir Dein Problem anvertraut hast. Du leidest arg unter Deiner Not und bist tapfer am Kämpfen. Bevor ich Dir einige Tipps gebe, zunächst einige Informationen:
Ist Selbstbefriedigung eine Sünde?
Christen sind in dieser Frage unterschiedlicher Meinung. Die einen sagen entschieden ja, andere sind sehr unsicher und schweigen lieber dazu. Tatsache ist, dass die Bibel die Selbstbefriedigung nicht erwähnt. Manchmal wird zum Thema Selbstbefriedigung die Geschichte von Onan ins Spiel gebracht (1. Mose Kapitel 38, Verse 1-10). Bitte lies diesen Text. Du wirst feststellen, dass er überhaupt nichts mit Masturbation zu tun hat. Onan, der Sohn Judas, hatte nicht «onaniert», sondern er hat das damals geltende Gebot Gottes gebrochen und in der Schwagerehe nicht für Nachkommen gesorgt. Das hat Gott bestraft. Korrekt müsste man bei Onans Vergehen von einem unterbrochenen Geschlechtsverkehr sprechen und nicht von Selbstbefriedigung. In der Bibel werden auf dem Gebiet der Sexualität viele Sünden – vom Ehebruch bis zur Homosexualität – erwähnt, aber kein Wort zur Masturbation. Die Bibel schweigt dazu. Das gibt uns die Freiheit, ohne Schuldgefühle oder moralische Vorurteile über Selbstbefriedigung nachzudenken.
Selbstbefriedigung als Teil eines Reifungsprozesses
Zwischen 10-15 entwickeln sich die männlichen und weiblichen Sexualorgane. Der ganze Körper ist sich am verändern. Knaben erleben ihre erste Erektion und ersten Samenerguss. Die Mädchen ihre erste Regelblutung. Das sexuelle Interesse am anderen Geschlecht steigt. Besonders die Jungenaugen reagieren sehr stark auf weibliche Kurven in Natura und auf Fotos. Die ersten Erfahrungen mit Masturbation verwirren dich. Etwas ganz Neues beginnt. Wie kannst du mit diesem Neuen umgehen? Die erwachende Sexualität ist mit einem schönen aber (noch) wilden Tier vergleichbar, dass sich in dein Leben drängt. Nun stehst du vor der Wahl:
- Lässt du dich von ihm ängstigen und beherrschen?
- Drängst du es in einen Käfig, damit es dort noch wilder und unberechenbarer wird?
- Gehst du daran, es zu bändigen, in deinen Dienst zustellen?
Für Jungs:
Deine Herausforderung ist, Selbstdisziplin im Umgang mit deiner Sexualität zu lernen:
- Selbstdisziplin in Gedanken
- Selbstdisziplin mit den Augen (Umgang mit Pornografie, wie schaue ich Mädchen an)
- Selbstdisziplin im Umgang mit deinem Penis
Für Mädchen:
Selbstbefriedigung ist für dich mehr ein «Fluchtprogramm». Es geht darum, dass du lernst, mit deinen Sehnsüchten und Fantasien umzugehen. Es geht darum, dass du lernst, ja und nein zu sagen zu deinem Wunsch nach sexueller Befriedigung. Dieses Lernen ist ein Prozess von Jahren. Für die einen mehr, für die anderen weniger. Dieses Lernen hört auch nicht unbedingt mit der Heirat auf (lebensabschnittsbedingt, siehe «Selbstbefriedigung im Erwachsenenalter»). Reife, die Fähigkeit, ja und nein zu sagen, ist ein sehr wichtiges Ziel des Christseins. Lies doch dazu mal Sprüche Kapitel 2, Verse 1-11, Epheser Kapitel 4, Verse 11-16, 1.Korinther Kapitel 10, Vers 23.
In diesem Licht gesehen ist das «Üben» mit der eigenen Sexualität eine grosse Chance, am inneren Menschen zu wachsen. Die Herausforderung ist nicht leicht. Doch wenn du sie annimmst, wirst du stark werden.
Selbstbefriedigung als Symptom von zu viel Stress
Selbstbefriedigung kann auch in einem Zusammenhang mit anderen Problemen stehen. Bei Dir vielleicht auch. Kann es sein, dass Du frustriert und einsam bist? Vielleicht stehst Du zu Hause oder in der Schule enorm unter Druck. Gibt es ungelöste Konflikte mit Freunden, den Eltern oder anderen? Hast Du starke Probleme mit dem Glauben, mit der Gemeinde oder mit Dir selbst? Manche Jugendliche masturbieren oft, weil sie aus einer unerträglichen Situation fliehen möchten. Selbstbefriedigung wird dann zur Scheinlösung. Sie bringt nur ein kurzes Glücksgefühl und hinterher starke Schuldgefühle. Wenn du das bei dir merkst, geht es mehr darum, diesen äusseren Druck abzubauen, als an dem Symptom Selbstbefriedigung herumzudoktern. Sprich mit ein oder zwei Menschen deines Vertrauens darüber, wie du deine inneren und/oder äusseren Spannungen abbauen kannst.
Selbstbefriedigung als Sucht
Bei suchtgefährdeten oder innerlich verletzten Persönlichkeiten kann sich Selbstbefriedigung auch zur Sucht ausweiten. Zu unterscheiden zwischen dem Lernprozess, mit der eigenen Sexualität umzugehen und Sucht ist nicht so einfach. Oft empfinden sich Teenager, die noch nicht frei ja und nein zur Selbstbefriedigung sagen können, die noch mitten im Prozess sind, als süchtig. Doch eigentlich sind sie auf einem guten Weg des Lernens. Suchtartige Selbstbefriedigung findet normalerweise täglich oder mehrmals täglich statt und lässt sich kaum vom Willen her beeinflussen. Sie läuft parallel zu einem starken Gefühl der Unzulänglichkeit oder des Abgelehntseins (Minderwertigkeitsgefühle, Selbstwertprobleme, sexuell missbraucht worden u.ä.)
Vom Wort Gottes her lässt sich ableiten, dass Suchtverhalten falsch und Erlösung möglich ist (1. Timotheus Kapitel 3, Vers 3; 2. Timotheus Kapitel 2, Vers 26; 1. Korinther Kapitel 6, Vers 11, 2. Korinther Kapitel 10, Verse 4-6). In diesen Fällen ist es biblisch richtig, dies zuzugeben, die Schuld zu bekennen und Vergebung in Anspruch zu nehmen (1. Johannes Kapitel 1, Verse 7-9). Genauso dringend wie das Suchtverhalten zuzugeben ist es allerdings, die Verletzungen und Persönlichkeitsprobleme, die der Suchtstruktur zugrunde liegen, seelsorgerlich anzugehen.
Sinn der Selbstbefriedigung
Etwas spitz formuliert will ich das so ausdrücken:
- Selbstbefriedigung ist die gottgegebene Möglichkeit, sexuelle Disziplin zu lernen. Ja oder Nein sagen lernen zur Befriedigung des eigenen sexuellen Verlangens
- Selbstbefriedigung als die Möglichkeit, in speziellen Situationen oder als Single sexuellen Druck abzubauen
Dazu ein Bericht des über zwanzigjährigen Dirk. Er ist Christ und Mitarbeiter in einer Freikirche in Hessen:
Warum ich noch solo bin, kann ich nicht recht nachvollziehen. Ich bin in unserer Gemeinde beliebt, als Mitarbeiter geschätzt, und an meinem Aussehen dürfte es eigentlich auch nicht liegen. Warum nur ist manchmal alles so mühsam? Zum Sex: Meine Eigensexualität zu leben ist für mich ganz wichtig, weil es wesentlich zu einem erfüllten Leben beiträgt. Ich kann nachvollziehen, dass Masturbation in frommen Kreisen eher negativ gesehen wird. Die Bibel stellt mich da aber in grosse Freiheit. Im Alten Testament sind der Leib und die Sexualität ein Teil der Würde jedes Menschen – auch der Alleinlebenden. Und in den Sündenregistern des Neuen Testamentes wird Masturbation kein einziges Mal erwähnt. Keine Optimallösung, aber eine Hilfe.
Probleme macht mir manchmal meine Fantasie. Hier helfen die Gespräche und das Gebet mit einem Mitarbeiter der Gemeinde. In einer Partnerschaft freue ich mich auf die Vielfalt der Erotik. Wichtiger als Sex wäre mir aber die gemeinsame Entwicklung.
Selbstbefriedigung im Erwachsenenalter
Erwachsene, die sich suchtartig befriedigen brauchen Seelsorge. Dahinter stecken meistens starke Minderwertigkeitsgefühle, Entwicklungsstörungen oder Behinderungen (siehe «Selbstbefriedigung als Sucht»).
Punktuelle Selbstbefriedigung gehört in den Bereich des Normalen. Trotzdem ist es ratsam, sich dann zu Fragen: Wozu befriedige ich mich jetzt? Was fehlt mir? Unter welchen inneren Spannungen leide ich? Wie kann ich diese Spannungen lösen?
Für Ehepartner scheint mir die Regel gut zu sein: Sprich mit deinem Partner über deinen Umgang mit Selbstbefriedigung. Schafft euch einen Raum der Offenheit und Ehrlichkeit voreinander und vor Gott.
Die Midlifephase ist als zweite Pubertät bekannt. Die sexuelle Kraft besonders der Männer ist am Nachlassen. Sich darauf einzustellen ist nicht immer leicht. Manche Männer reagieren mit Selbstbefriedigung mit oder ohne Pornokonsum darauf, um den «Zerfall» der männlichen Potenz aufzuhalten. Bald erweist sich das aber als ein Irrweg. Der Ausweg ist das ja zum Altern und der Abschied auch von der sexuellen Jugendkraft. Dasselbe kann noch einmal im Alter geschehen, wenn die Potenz noch weiter abnimmt.
Selbstbefriedigung wird auch zum Thema:
- nach dem Tod des Partners,
- bei längerer Krankheit des Ehepartners, die eheliche Sexualität verunmöglicht
- bei einer Trennung
- während einer Schwangerschaft
Singles ab 25 rate ich, ein ähnliches Verhältnis zur eigenen Sexualität aufzubauen wie Dirk im obigen Zeugnis. Gut ist es, ab und zu mit einem Freund oder einer Freundin über dem Umgang mit der eigenen Sexualität zu sprechen. Das Gewissen einzelner Singles fordert möglicherweise vollständige Enthaltsamkeit. Für den einen kann das das Reden Gottes sein, weil er unterschiedlich führt, für den anderen ist es das Reden eines zu moralischen Gewissens. Bei dieser Art Gewissensnot scheint es mir gut, den Rat und das Gebet von Seelsorter oder Seelsorgerinnen zu suchen.
Gefahren undisziplinierter Selbstbefriedigung
- Flucht vor den wirklichen Problemen in das schöne kurze Gefühl
- Flucht vor der Entwicklung der eigenen Persönlichkeit und ein Steckenbleiben in der doch eher egoistischen Autosexualität
- Partnerschaft eingehen wird schwieriger, weil die Selbstbefriedigung leichter fällt
- die damit verbundenen Phantasievorstellungen verringern die Chancen, sich auf die Wirklichkeit einzustellen.
- Selbstbefriedigung kann menschliche Gemeinschaft und Erfolgserlebnisse auf anderen Gebieten nicht ersetzen.
Meine Empfehlung (zuerst mal für den jungen Menschen):
1. Kämpfe nicht mehr gegen die Selbstbefriedigung! Oft wird die Masturbation noch mächtiger, wenn man ständig dagegen ankämpft und darüber nachdenkt, wie man sie ausmerzen kann. Setze Dir Zwischenziele! Sage nicht: «Nie wieder», das wäre unrealistisch, sage lieber: «Heute nicht» oder «Heute ja».
Vielleicht kannst du dir konkrete Zwischenziele stecken: Erlaube dir Selbstbefriedigung so und so viel mal pro Woche. Triff diese Abmachung im Bewusstsein, dass Jesus da ist und mit dir ist, auch während du dich selbst befriedigst oder eben nein dazu sagst. Nimm ihn hinein in den Umgang mit deiner Sexualität. Wenn du deine Ziele erreicht hast oder wenn es gar nicht geht, frage dich und Jesus erneut, was die nächsten Schritte sind. Trainiere so lange, bis du mit dir zufrieden und vor Gott in Frieden bist. Für den einzelnen kann das Trainingsziel unterschiedlich aussehen. Die einen wollen möglichst Richtung Null fahren. Der andere ist zufrieden, wenn er alle Monate ein oder zweimal sich selbst befriedigt. Freue Dich über Erfolge.
Natürlich kann es sein, dass der Herr dir auf übernatürliche Weise hilft und dir Willenskraft zu völliger Enthaltsamkeit im Blick auf Selbstbefriedigung gibt. Nach meiner Erfahrung ist das allerdings alles andere als die Regel für Teenies und Twens. Eher wird diese Art der Hilfe im Erwachsenenalter erlebt.
2. Keine Selbstbefriedigung mit pornografischen Vorlagen. Diese Art der Selbstbefriedigung führt eher zu negativen Verhaltensbindungen oder zu (berechtigten) Schuldgefühlen und lenkt deine Gedanken in die falsche Richtung. Deine Fantasie ist auch so schon stark genug.
3. Falls du ungelöste innere Spannungen hast oder empfindest, dass deine Art der Selbst- befriedigung nichts mit einem Lernprozess zu tun hat: Suche Dir einen gläubigen Freund oder Seelsorger, mit dem Du offen Deine Probleme durchsprichst! Gehe mal der Frage nach: Was treibt mich zur Selbstbefriedigung? Sind es einschlägige Zeitschriften oder ungelöste Konflikte? Sind es Bilder und sexuelle Phantasien, die Dich ständig begleiten? Dauerspannungen mit Menschen? Oder nur Langeweile? Sprich über mögliche Auslöser der Selbstbefriedigung, und suche mit dem Seelsorger nach Lösungen.
4. Gott kann und will von suchtartiger Selbstbefriedigung befreien. Er kann auch innere Ver- letzungen heilen oder dir eine Perspektive für dein Leben geben. Gott kann unendlich viel mehr an uns tun, als wir jemals von ihm erbitten oder uns auch nur ausdenken können. So mächtig ist die Kraft, mit der er in uns wirkt (Epheser Kapitel 3, Vers 20).
5. Vertraue Dein Leben ganz Jesus Christus an! Stelle Deinen Körper und Dich selbst Gott ganz zur Verfügung (Römer Kapitel 6, Vers 13), einmal und immer wieder.
6. Besuche die Jugendanlässe deiner Gemeinde, und halte Dich viel bei gläubigen Freun- den/Freundinnen auf! Engagiere Dich in der Jugendarbeit deiner Gemeinde und versuche, Dich mit Deinen Gaben nützlich zu machen. Es gibt viele Aufgaben, die bisher nicht erfüllt wurden. Man wartet vielleicht schon auf Dich.
7. Deine Gedanken und Handlungen dürfen nicht mehr von der Selbstbefriedigung besetzt sein. Das lähmt und hindert in der Entfaltung. Wichtig ist jetzt, dass Du Dich davon löst und neue Ziele setzt. Dazu gehört auch das Klären der Berufsausbildung bzw. Deines weiteren Weges. In dieser Welt gibt es viele Herausforderungen, Aufgaben und Nöte. Diene Gott und den Menschen mit deiner Einmaligkeit, mach Dich nützlich. Es braucht etwas Zeit, das unbe- kannte Gelände zu erkunden. Ich bin mir aber sicher, Du wirst es schaffen. Dazu wünsche ich Dir Gottes Beistand.
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Autor: Jörg Schori
Quelle: Livenet