Merkmale einer Erweckung (II)
Wenn die Kraft des Heiligen Geistes kommt
Erwecklichen Aufbrüchen gingen immer Zeiten voraus, in denen den Gläubigen auf schmerzliche Weise bewusst wurde, wie schlimm es um die Kirche und die Gesellschaft steht.
Reinigung der menschlichen Gefässe
Evan Roberts, der während über zehn Jahren für eine Erweckung in Wales gebetet hatte, musste zuvor zur Einsicht kommen, dass noch einiges an Unzerbrochenheit in seinem Leben war. Ein Wort aus einem Gebet von Seth Josua blieb bei ihm haften: «Herr, beuge mich!» Er wusste: Das galt ihm. Fortan bat er Gott inständig, alles wegzunehmen in seinem Leben, was Gottes Wirken hinderlich sein könnte.
Auch Duncan Campbell erlebte eine tiefe Überführung seines Gewissens, bevor er als erweckliches Werkzeug brauchbar wurde. Er war stolz darauf, ein gefragter Prediger und Konferenzredner zu sein. Aber tief im Inneren fühlte er eine grosse geistliche Leere. Gebet war für ihn eine Last und das Wort Gottes ein toter Buchstabe: «Ich war fest entschlossen, wenn Gott nicht etwas tun würde und mir das zurückgeben würde, was ich verloren hatte, dass ich dann den Dienst quittieren würde.»
Später wies Duncan Campbell immer darauf hin, dass seine Rolle bei der Erweckung auf den Hebriden nur gering gewesen sei. Die meisten Menschen seien vom Heiligen Geist schon überführt worden, bevor sie über die Kirchenschwellen getreten seien, berichtete er. Wenn schon, dann sei es das verzweifelte Gebet des einfachen Gläubigen gewesen, das den Boden für die Gegenwart Gottes gelegt habe.
In Erweckungszeiten leben die Gläubigen in einer dauernden Haltung der Abhängigkeit von Gott, die sich im Gehorsam auch in ganz kleinen Dingen äussert. Charles Thomas Studd, der Gründer des WEC (Weltweiter Einsatz für Christus), formulierte es so: «Erweckung ist in Tat und Wahrheit Gehorsam gegenüber dem Heiligen Geist ... Lasst uns gehorchen, und wir werden unmittelbar das erweckliche Wirken in unserem Leben und in unserem Umfeld erleben.»
Gottes Wort in der Kraft des Heiligen Geistes
Durch das Studium der Erweckungsliteratur ist bei mir in den letzten Jahren die Erwartungshaltung gewachsen, dass Gott auch in unserer Zeit nochmals erwecklich handeln will und wird. Gleichzeitig empfinde ich eine zunehmende Trauer über den Kleinglauben von uns Christen, besonders in Europa. Ein Inder hat mir einmal gesagt, dass das geistliche Problem in Europa nicht der Unglaube der Heiden sei, sondern der Kleinglaube der Gläubigen. Der kleine Glauben hat damit zu tun, dass wir dem Wort Gottes nicht mehr Vertrauen schenken. Wir passen die biblische Wahrheit an unsere beschränkten Erfahrungen an, anstatt glaubensvolle Schritte zu tun im Vertrauen auf die Verheissungen der Bibel. Wir nehmen damit dem Heiligen Geist das Schwert weg; denn das Wort Gottes ist gemäss der Waffenrüstung von Epheser 6,17 das Schwert des Heiligen Geistes, mit dem er Menschen ins Herz sticht, sodass sie ihre Sündhaftigkeit sehen, Jesus als Erlöser erkennen und umkehren. Heute betonen fast alle Christen, wie wichtig der Heilige Geist für unser Leben und unseren Dienst ist. Aber die wenigsten handeln danach. Wie soll uns Gott bevollmächtigen, wenn wir die Kontrolle über unsere Gemeindesitzungen und Gottesdienste selber behalten wollen? Wie können wir gemäss Galater 5,25 und Matthäus 11,28–30 im Gleichschritt mit Jesus und dem Heiligen Geist voranschreiten, wenn wir immer noch selber den Takt angeben?Ich bin überzeugt: Wir brauchen eine neue tiefe Geistesausgiessung, eine neue Erfüllung mit dem Heiligen Geist, gleichgültig, ob unser Glauben charismatisch oder nichtcharismatisch geprägt ist. Das war eine, wenn nicht die Kernbotschaft der Erweckungsprediger an die Gläubigen ihrer Zeit. Dazu der Erweckungsprediger Evan Roberts: «Die Taufe mit dem Heiligen Geist ist die Essenz der Erweckung. Denn die Erweckung kommt von einem Wissen um den Heiligen Geist und von einer Zusammenarbeit mit ihm, die Gott ermöglicht, in Erweckungskraft zu wirken. Die primäre Bedingung für Erweckung ist, dass Gläubige die Taufe des Heiligen Geistes erfahren.»
Duncan Campbell beschrieb die persönliche Veränderung so: «Die Taufe im Heiligen Geist kam zu mir in einer mächtigen, reinigenden, bevollmächtigenden Kraft ... Ich ging hinaus und predigte die gleiche Predigt, die ich siebzehn Jahre lang gepredigt hatte, mit dem unterschied, dass ich nun erlebte, dass Hunderte von Menschen sich bekehrten und die Erlösung durch Christus ergriffen.»
In der Apostelgeschichte 5,32 wird der Empfang des Heiligen Geistes mit unserem Gehorsam in Verbindung gebracht. Dazu der Chinamissionar Hudson Taylor: «Gott gibt den Heiligen Geist nicht denjenigen, die sich nach ihm sehnen; nicht denjenigen, die zu ihm beten; nicht denjenigen, deren Wunsch es ist, dauernd mit dem Heiligen Geist erfüllt zu sein. Er gibt den Heiligen Geist denen, die ihm gehorchen.»
Das betonte auch Evan Roberts Mitte der Dreissigerjahre in einem Gespräch mit Edwin Orr: «Mit Gott arbeiten ist ‹Gebet in Aktion›. Das völlige Sich-Gott-Überlassen stellt sicher, dass Gott uns während des ganzen Tages leitet, deshalb besteht unsere Aufgabe ganz einfach darin, auf Gottes Stimme zu hören und dann ihr zu gehorchen.»
Für Nachhaltigkeit sorgen
Auf die Frage, warum die mächtige Geistesausgiessung auf den Hebriden so nachhaltige Frucht brachte und als Folge viele Menschen in den Kirchendienst eintraten oder in die Mission gingen, meinte Duncan Campbell: «Wir haben ein Volk, das sich der Autorität und Inspiration des Wortes Gottes nicht berauben liess. Die Bibel zu Hause, bei der Familienandacht und in der Kirche war für sie das Wort Gottes, dessen Autorität und Inspiration nicht in Frage gestellt wurden.»
Das scheint mir für unsere Zeit ein Schlüssel zu sein: Im Gegensatz zu den Erweckungen in Wales und auf den Hebriden sowie den meisten erwecklichen Aufbrüchen ist heute kein biblisches Grundwissen mehr vorhanden, auf dem aufgebaut werden könnte. Die Gefahr besteht, dass ein Erweckungsfluss über das Land hinwegströmt, ohne nachhaltige Veränderungen zu bewirken.
Meine Frau und ich waren wenige Monate nach 9/11 in New York, um zu lernen, wie wir uns in Zukunft optimal auf Katastrophen vorbereiten können und fähig werden, den Menschen geistliches Brot zu verteilen. Während unseres mehrtägigen Besuchs, bei dem wir zahlreiche geistliche Leiter unterschiedlicher konfessioneller Herkunft trafen, lernten wir eine wichtige Lektion: Unmittelbar nach 9/11 hatten die Menschen ein grosses Bedürfnis, sich mit jemandem über die traumatischen Erfahrungen auszutauschen. Aber nur diejenigen Gemeinden, die in der Nachbarschaftsevangelisation Erfahrung hatten und eine Kleingruppenstruktur aufgebaut hatten, waren darauf vorbereitet. Diese erlebten nach 9/11 ein grosses Wachstum. Der Gottesdienstbesuch bei der grossen Mehrheit der Kirchen veränderte sich jedoch kaum.
Das wird auch in der Schweiz der Fall sein, wenn wir in den kommenden Jahren nicht alles unternehmen, um die «Basics» des christlichen Glaubens rund um den Kreuzestod Christi und den Empfang des Heiligen Geistes wieder bei den Christen zu verankern. Alphalive, LiFe oder ähnliche Glaubenskurse sind sicher gute Mittel dafür. Zusätzlich gilt es, Jüngerschaftsstrukturen zu legen und Kleingruppen zu bilden, in denen das Wort Gottes gemeinsam studiert wird. In Gemeinden sollten Bibelkurse angeboten werden, um Jünger Jesu auszubilden, die befähigt sind, die vielen suchenden Menschen im Ernstfall zu begleiten und im Glauben zu vertiefen.
Angenommen, wir hätten in absehbarer Zeit zehnmal so viele am Glauben interessierte Menschen wie heute, was müssten wir tun, damit aus suchenden Menschen wirkliche Nachfolger Jesu werden? Wären wir darauf vorbereitet?
Möge es so sein, wenn die sehnlichst erwartete grosse geistliche Ernte auch in Europa und der Schweiz kommt! Bis dahin haben wir jedoch noch einiges zu tun.
Webseite:
Christliches Zeugnis
Autor: Hanspeter Nüesch
Quelle: Christliches Zeugnis 2/12