Rolf Lindenmann

«Gott will Originale»

Rolf Lindenmann gab mit 56 Jahren die Leitung der Vereinigten Bibelgruppen (VBG) bewusst ab, damit Jüngere ans Ruder kommen. Nun coacht er seit 20 Jahren Menschen in Führungsrollen. Er sagt: «Nur wer sich ergänzen lässt, erlebt Wachstum.»

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Rolf Lindenmann
Rund 600 Verantwortungsträger und motivierte Nachwuchskräfte besuchten am 18. und 19. März 2016
das Forum christlicher Führungskräfte in Bern. Bekannte Persönlichkeiten brachten ihnen näher, wie sich Visionen und Ressourcen sinnvoll verbinden lassen. Zu diesem Anlass publiziert Livenet ein Interview mit Coach und Berater Rolf Lindenmann aus der idea-Spezialausgabe vom 16. März.

Rolf Lindenmann, womit stressen sich Leiter?
Sie werden von der Hektik aufgefressen, kommen nicht mehr zum Wesentlichen. Das Dringliche wird gross, und das Wichtige klein geschrieben – entgegen der eigenen Überzeugung. Für das Wichtige muss man sich Zeit nehmen, die ist nicht einfach da. Ich ermutige dazu, sich diese Zeit wirklich täglich zu nehmen.

Das ist leicht gesagt – wird eine Führungsperson nicht häufig fremdbestimmt?
Das ist nur zum Teil richtig – aber um ganz konkret zu werden: Muss ich denn tatsächlich immer erreichbar sein? Muss das Handy immer eingeschaltet sein? Muss ich jeden Tag alle Mails beantworten, oder kann ich sie möglicherweise vorsortieren lassen? Nicht alles ist so zwingend wie es daherkommt. Je klarer die eigenen Überzeugungen, umso grösser ist die Freiheit zu einem eigenen Arbeitsstil.

In der Management-Literatur wird darüber gestritten, ob Leiten und Führen ein und dasselbe oder etwas ganz anderes ist.
Ich beschreibe Führen als das Richtige zu tun und Managen, als etwas, das die Dinge richtig tut. Manchmal muss ich führen, manchmal managen. Das eine ist nicht wertvoller als das andere. Gutes Führen ermöglicht effizientes Managen von klaren Prioritäten und Zielen her.

In Gemeinden, je nach theologischer Ausrichtung, dominiert die Haltung des einsamen Moses, der von «diversen Aarons» gestützt wird. Andere reden von geistgeleiteten Gruppenprozessen.
Mose erhielt tatsächlich von Gott den Tipp, er solle sich Unterstützung suchen. Wenn man so will, hat sich der Stratege einen Leiter gesucht. Ich sehe es als ein ganz klares biblisches Prinzip an, dass es gilt, sich ergänzen zu lassen und unterschiedliche Begabungen zu integrieren.

Können Sie Beispiele nennen?
Einen, der immer zu viel redet, frage ich: «Wie kannst du andere zum Reden bringen?» Einer ist der Pionier, der die grossen Bahnen legt. Den ermutige ich, einen Sorgfältigen hinzuzuziehen. Wir müssen einander die Unterschiedlichkeit erlauben und sie nutzen. Da darf der Visionär ruhig mal über das Ziel hinausschiessen, da muss und soll der Finanzer bremsen. Da darf der Schnelle zugunsten der Langsamen sich im Tempo zurücknehmen, da reibt sich der Generalist fröhlich mit dem Detailfreudigen.

Gibt es eine biblische Lehre der Führung?
Nein, das denke ich nicht. Ich würde eher von Prinzipien oder von Haltungen sprechen, die sich situativ anwenden lassen. Mit der Ausgiessung des Heiligen Geistes auf alle hat sich ja vieles verändert. Sich führen zu lassen ist quasi Allgemeingut geworden. Das bedeutet aber nicht, dass es nicht mehr den Einzelnen gibt, der die Leitung übernimmt! Es braucht Leute, die andere stärken, eine Gemeinde aufbauen, Neue integrieren, Junge fördern, damit sie über sich hinauswachsen können. Nur dieses Prinzip führt wirklich zu Wachstum. Das gilt für ein Unternehmen genauso wie für eine Gemeinde. Aber eine solche Haltung ist nicht in uns angelegt, wir müssen sie entwickeln wollen: Leitung als Dienst und nicht als Privileg. Eine harte Nuss! «Wer unter euch gross sein will, sei euer aller Diener», sagt Jesus.

Heisst Führen aus der Stille ein Mehr an der sogenannten «Stillen Zeit?»
Nein, nicht unbedingt. Es geht darum, im Führen zu neuen Haltungen zu finden; mich als begabten und berufenen Menschen zu begreifen. Dazu zählt auch, zweckfreie Zeiten zu haben, für mich zu sorgen. Aber auch das andere ist gut und wichtig. Zu sagen: «Herr, hier sind meine Pläne. Wo soll ich welche Schwerpunkte setzen?»

Es gibt eine Art Führungs- und Lebensphilosophie, die besagt, dass es gerade an den Grenzen meiner Kraft aufregend ist, Jesus zu erfahren.
Das Mass insgesamt zählt. Immer an seinen Grenzen zu leben, ist nicht das Normale. Gott hat es nicht nötig, Ausnützerpersonal um sich zu scharen. Was ist denn das für ein Zeugnis, wenn das Volk Gottes kaputt herumläuft?

Ich sage mir immer – und empfehle auch anderen: «Ich habe genug Zeit. Punkt. Wenn nicht, dann mache ich etwas falsch.»
Wenn ich immer wieder den Schritt über meine Grenzen hinaus mache und mich überfordere, ist das mein und nicht Gottes Problem und eher Ausdruck von Kleinglauben als von Glauben.

Eine weitere Art der Überforderung kann auch die sein, dass ich nicht meinen Stil und das, was Gott in mich hineingelegt hat lebe, sondern auch beim Führen andere imitiere und kopiere. Gott aber will Originale! Das meine ich nicht im trendigen individualistischen Sinne, sondern im Suchen und Finden der persönlichen Berufung von Gott. Sie ist auch eine Frage der Wachheit, die zum Beispiel auch im Herausfinden des Kairos besteht: Das Richtige zur richtigen Zeit tun. Da gehört dazu, dass ich wie Jesus mal eine Stunde auf den Berg gehe, um mich dort vom Vater zu biblischen Haltungen umgestalten lasse. Von Jesus können wir ungemein viel lernen, was Führen aus der Stille betrifft. Aber auch von Paulus. Als Europamissionar plant er strategisch, ist aber zugleich bereit, sich vom Heiligen Geist anders führen zu lassen. Aber die Führung vom Heiligen Geist ist nicht zu verwechseln mit Mangel an Vorbereitung!

Im April halten Sie ein Seminar in der Casa Moscia über Sachzwänge und Freiräume. Sind damit innere oder äussere Freiräume gemeint?
Wer seinem eigenen Haus nicht vorsteht, kann andere nicht führen. In meinem Seminar ermutige ich zur Reflexion, die Voraussetzung zur Selbstführung ist. Ein weiteres Thema wird sein, wie es gelingen kann, Prägungen aus der ersten Lebenshälfte zu verlassen, um die zweite oder dritte wirklich zu gestalten und Elternschaft im geistlichen Sinne zu leben.

Sie sprechen gern von Freiräumen, die es inmitten aller Sachzwänge gibt.
Es gibt die Sachzwänge. Da muss man realistisch sein und darf nichts beschönigen. Und dennoch verändern sich diese, wenn ich anders denke, Möglichkeiten wahrnehme und gestalte. Nicht «die da oben» sind dafür verantwortlich, sondern ich. Warum gehe ich das ganze Führungsgeschäft nicht etwas sportlicher an? Kreativer? Ziel des Seminars ist auch, aus der Opfer- in die Täterrolle zurückzufinden. Mit dem, was ich kann, mache ich etwas. Fisch und Brot, das kann unser grosszügiger Gott vermehren.

Führen ist eine schwere Aufgabe, so schwer, dass man die Schwere manchen ansieht...
Ich ermutige gerne dazu, Führen immer wieder auch spielerisch anzugehen und als etwas Lustvolles und als Würdigung Gottes zu begreifen. Manche wirken da schon etwas verbissen. Verbissenheit kommt möglicherweise dann, wenn ich unbedingt erfolgreich sein will, mich für alles total verantwortlich sehe, obwohl es am Ende doch Gottes Sache ist, ob etwas gelingt. Er will uns frei machen. In 1. Petrus 5 wird dazu ermutigt: Führt eure Leute nicht als Muss, sondern mit Freude und mit Elan.

Zur Webseite:
Christliches Forum für Führungskräfte
Das Webportal für christliche Führungskräfte: Christian-leaders.net

Zum Thema:
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Datum: 20.03.2016
Autor: Dorothea Gebauer
Quelle: Livenet

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