Regula Lehmann
«Wir sind auf familiäre Bindung programmiert»
Regula Lehmann (50) ist diplomierte Familienhelferin und Mutter von vier Kindern. Ihr Fachwissen setzt sie im Bereich «Ehe- und Familienprojekte» der Stiftung Zukunft CH (Winterthur) ein.
Regula Lehmann sagt: «Bindung macht schlau.» Dies deshalb, weil unsichere Bindung Stress verursache, was sich auf den gesamten Organismus negativ auswirke. Dies würden Studien bei Kleinkindern, die hochprozentig in der Kita betreut werden, belegen. «Sicher gebundene Kinder sind deutlich ausgeglichener und selbstsicherer», sagt Regula Lehman in einem Interview mit dem Wochenmagazin ideaSpektrum. Sie seien ruhiger und hätten mehr Energie, um zu lernen. Untersuchungen belegten, dass Kinder «in guten Beziehungen lernbereiter und aufnahmefähiger seien». Lehmann schliesst daraus, dass es das Beste wäre, sich vom «kinderschädigenden Fremdbetreuungs-Hype» zu verabschieden.«Familie ist von Anfang an gegeben»
Familie sei von Beginn an gegeben und müsse nicht ständig neu ausgehandelt werden, sagt Elterncoach Lehmann im idea-Interview. «Wir sind als Menschen schöpfungsgemäss auf familiäre Bindung programmiert. Familie hat naturgegeben einen 'Heimvorteil', wenn es um Nähe, Vertrautheit, Geborgenheit und die Tragfähigkeit von Beziehung geht.» Sie sei deshalb der «bestmögliche Ort, um Kinder grosszuziehen».
Eltern unterstützen hat Priorität
Dennoch schränkt Regula Lehmann ein, dass es Situationen geben, in denen die leiblichen Eltern nicht in der Lage seien, ihr Kind angemessen zu versorgen. Doch sie warnt davor, diese Fälle zu generalisieren und daraus abzuleiten, Kinder seien generell in der Kita besser aufgehoben als in der Familie. Kinder sehnten sich danach, viel Zeit mit ihren leiblichen Eltern zu verbringen. Es müsse das erste Anliegen einer Gesellschaft sein, Eltern bestmöglich zu unterstützen und in ihrer Erziehungskompetenz zu fördern, sagt Lehmann.
Leibliche Bindung kann nicht ersetzt werden
Ist nicht letztlich die Qualität der Betreuung entscheidend? Für Regula Lehmann ist klar, dass die leibliche Bindung einzigartig ist und nicht gleichwertig ersetzt werden kann. Sie argumentiert am Beispiel von Adoptivkindern, die trotz liebevoller Adoptiveltern nach ihren leiblichen Eltern suchten, «weil es identitätsstiftend ist, die eigene Herkunft zu kennen und auch biologisch gesehen zugehörig zu sein».
Verlässliche und konstante Bezugspersonen zu haben, sei ein kindliches Grundbedürfnis, das von der Familie besser gestillt werden könne als von externen Personen, die nicht in einer familiären, sondern in einer «geschäftlichen» Beziehung zum Kind stünden. Zudem sei in vielen Kitas der Wechsel der Bezugspersonen zu hoch. Regula Lehmann: «Kleinkinder, die viel Zeit in der Kita betreut werden, haben nachweislich einen deutlich höheren Stresshormonspiegel.» Dies widerspreche der Theorie, dass es Kindern in der Kita besser gehe als in der Familie, und müsste eigentlich dazu führen, «dass wir in Familien investieren, statt einseitig Kitas zu bewerben und zu subventionieren», so Lehmann im idea-Interview.
Kinder brauchen konstante Beziehungen
«Berufstätigkeit und Muttersein lassen sich nur schwer vereinen», meint Lehmann. Idealerweise sollten Eltern von Kleinkindern höchstens halbtags arbeiten gehen und sich in der Betreuung, wo immer möglich, abwechseln. Sei dies nicht möglich, sollten Grosseltern oder andere konstante Betreuungspersonen eingesetzt werden. Vieles spreche dafür, dass Grosseltern in der Betreuung mithelfen. Auch dies seien «gewachsene Beziehungen und nicht einfach kündbar». Regula Lehmann: «Es stellt sich die Frage, wie wir unseren Alltag gestalten; befreundete Eltern könnten sich gegenseitig die Kinder hüten. Oder in alternative Lebensformen wie beispielsweise Mehrgenerationenhäuser investieren.»
Eltern sollen Betreuungsform frei wählen können
Auf die Frage, wo sie den Staat in Sachen Familienbetreuung in der Pflicht sehe, antwortet Familienhelferin Lehmann: «Ein Staat, der die Betreuung von Kindern fördern will, sollte die Eltern frei wählen lassen, wie sie ihre Kinder betreuen wollen. Das Geld, das jetzt der Fremdbetreuung in Kitas zugesprochen wird, sollte also an alle gleichermassen verteilt werden.» Dies würde es vielen Eltern erlauben, sich selber um ihren Nachwuchs zu kümmern.
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Quelle: idea Spektrum Schweiz