Wer hat eigentlich den Muttertag erfunden?

Die Heilsarmee brachte diesen amerikanischen Festtag vor bald 100 Jahren nach Europa. Seine Vorläufer sind aber bedeutend älter. Unumstritten ist er aber bis heute nicht.

Während die eine Seite rätselt, welchen Kuchen sie heuer backen und welches Gedicht sie aufsagen soll, weiss die andere, die der Mütter, bisweilen nicht so recht, ob sie sich tatsächlich geehrt fühlen soll.

Verehrte Göttinnen – verehrte Mütter

Abgesehen von kommerziellen Interessen hat der Muttertag zweifellos auch einen natürlichen Grund. Denn in den grauen Vorzeiten gab es in jedem Kulturkreis zumindest eine hoch verehrte Göttermutter: Rhea und Hera bei den Griechen, Kybele und Juno bei den Römern, Manu bei den Kelten und Frigg bzw. Freja bei den Germanen; Göttinnen also, mit denen sich Frauen und Mütter identifizieren konnten. Die eigene Wertschätzung war damit inklusive.

Die heute gängigen Weltreligionen haben damit Schluss gemacht. Kein Wunder, dass Frauen sich wieder für einen Tag der Mütter eingesetzt haben. Anna Jarvis war nicht die erste, aber die erfolgreichste in diesem Bemühen. Ihre Energie ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass sie eines von elf Kindern war. Sie wählte den Todestag ihrer Mutter Ann Marie Reeves Jarvis, den 8. Mai 1905, und feierte diesen erstmals zwei Jahre später in einer Kirche ihres Heimatortes Grafton in West-Virginia.

Der Präsident sagte ja

Bereits im Jahr darauf war ein Name für das Fest gefunden: „General Memorial Day Of All Mothers“. Die Muttertagsfeiern breiteten sich regional aus und erreichten 1911 Philadelphia. Zahlreiche Eingaben bei Präsident Woodrow Wilson bewogen diesen schliesslich 1914, den Muttertag zum nationalen Feiertag zu erheben. Zweifellos beeinflusste den Politiker dabei auch einiges Kalkül. Es war sowohl eine Geste in Richtung der stark gewordenen Frauenbewegung als auch im Hinblick auf den heraufdämmernden Krieg: Der Muttertag war in seinem Ursprung als Friedenstag ausgelegt.

Die Vorläufer

Bereits lange vorher hatte sich Anna Jarvis’ Mutter dem Thema gewidmet. Von ihren 11 Kindern hatten nur 4 das Erwachsenenalter erreicht. 1858 gründete sie die 'Mothers Days Works Clubs', die an einer Beseitigung sanitärer Mißstände arbeiteten – dem wichtigsten Grund für die hohe Kindersterblichkeit. Und schon drei Jahre später bot der Bürgerkrieg ein weiteres Arbeitsfeld.

Nach Beendigung der Kämpfe versuchte Ann Marie Reeves Jarvis 1865 eine Bewegung der Mütter und Familien für den Frieden zu installieren. Sie trug den Namen „Mothers’ Friendships Day“. Allerdings war ihm nur wenig Aufmerksamkeit beschieden. Das grösste Vermächtnis dieser Pionierin blieben damit ihr Todestag, der den späteren Muttertag begründete, und der Eifer ihrer Tochter.

Julia Ward Howen

Ann Marie Reeves Jarvis war nicht allein auf weiter Flur gestanden: Julia Ward Howe war bereits als Texterin der „Battle Hymn Of The Republic“, des meistgesungenen Liedes des Bürgerkrieges, bekannt geworden. 1870 schliesslich startete sie eine eigene Initiative für einen „Mütter-Friedenstag“. Denn es sollten nicht länger Männer und Söhne in Kriegen geopfert werden. Auch ihr blieb vorerst ein weiter reichender Erfolg versagt.

„Finsteres“ Mittelalter?

Wie so häufig dürfen die USA auch beim Muttertag nicht in Anspruch nehmen, sie seien die ersten gewesen. Da hatten nämlich die Engländer die Nase voran, lange bevor Amerika überhaupt entdeckt wurde. Ein Mann, Heinrich III (1216-1239), rief den 'Mothering Day' ins Leben. Gefeiert wurden nach seinem Willen allerdings nicht die menschlichen Mütter. Sein Dank galt vielmehr der 'Mutter Kirche'.

Das gemeine Volk liess es sich jedoch nicht nehmen, dem königlichen Willen seine eigenen Intentionen folgen zu lassen. Bald schon wurde es üblich, dass am „Mothering Day“ die erwachsenen Kinder nach Hause zurückkehrten und der Mutter einen „Simmel Cake“ (oder „Simnel Cake“, einen Semmelbrösel-Kuchen) mitbrachten.

Ein Friedensfest geht um die Welt

Interessanterweise war es die Heilsarmee, die den amerikanischen Muttertag nach Europa brachte. Noch 1917, während des Krieges also, fand er in der nicht direkt betroffenen Schweiz Eingang. Es folgten in den nächsten beiden Jahren die nördlichen Länder Norwegen und Schweden. Deutschland wurde 1922 durch eine massive Initiative des Blumenhandels mit dem Muttertag beglückt. Spätestens ab diesem Zeitpunkt gewann der kommerzielle Aspekt die Oberhand.

Idealismus steckte hingegen noch dahinter, als Marianne Hainisch, die Mutter des ersten österreichischen Bundespräsidenten Michael Hainisch, in ihrem Land den Muttertag via Rundfunk durchsetzen konnte. Das war im Jahr 1927. Doch schon 1933 war wohl ideologisches Kalkül der Antrieb, dass die Nazis diesen Tag in ihr Mütterkonzept einbanden und offiziell installierten.

Auch Kommerz verpflichtet

Ann Jarvis (gestorben 1946) musste noch die totale Kommerzialisierung ihrer Friedensidee miterleben. Sie selbst war nie Nutzniesserin geworden, weil sie kinderlos blieb. Ihre Idee wurde dann von den kommunistischen Staaten kopiert, die sich allerdings auch mit dem Datum vom Kommerzfestival absetzten und ihre Mütter am 8. März feierten. Heute noch wird an diesem Tag der „International Tag der Frauenrechte – International Women's Rights Day“ begangen.

Natürlich wird vielerorts nicht mit Kritik am Muttertag gespart. Diesen Tag zu ignorieren und nicht zu begehen, das können wir uns aber kaum mehr vorstellen. Dennoch graut vielen davor: den Müttern, den Vätern und den – meist älteren – Kindern. Der „Muttertag“ ist teilweise zu einer konsumierbaren Pflichtveranstaltung mit standardisierten Ritualen und Geschenken verkommen, zu einem Festtag für Kaufleute. Zwar wird die Mutter in den Mittelpunkt gestellt, oft aber leider nur an diesem einen Tag.

Autor: Heinrich Hofer

Datum: 22.12.2004

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