Nationalrat Ulrich Giezendanner: Die Schweiz und der Bettag

Er kämpft lautstark für die freie Marktwirtschaft, die KMU-Betriebe und gegen neue staatliche Ansprüche. Doch Nationalrat Ulrich Giezendanner ist auch ein intensiver Beter. Eine Begegnung dem «Fuhrhalter der Nation».

Ulrich Giezendanner sagt, er liebe die Schweiz. Die Moral sei zwar am Verludern, aber er kämpfe als Christ gegen diese Entwicklung – auch durch das Gebet.

Was sagt Ihnen der Eidgenössische Dank-, Buss- und Bettag?
Für mich ist das ein wichtiger, traditionsreicher Tag. Für unser Land ist dieser Tag ein Zeichen, dass wir noch zu unserem christlichen Glauben und zu Jesus Christus stehen. Ich bin riesig stolz, dass unser Land einen solchen Tag kennt!

Wofür danken Sie am Bettag?
Sicher für mein Leben, für meine Familie, meine Freunde. Überhaupt danke ich Gott jeden Morgen, dass ich zu den Glücklichen gehöre, die an ihn glauben und zu ihm beten können. Dadurch bekomme ich viel Kraft und erfahre viel Segen.

Wofür tun Sie Busse?
Für meine Sünden! Ich kann ein noch so guter Christ sein – aber jeder Mensch ist ein Sünder. Gerade als Unternehmer erlebt man manche Gratwanderung. So bitte ich auch jeden Morgen um Gottes Hilfe, dass ich möglichst sündenfrei durch den Tag gehen kann.

Wo sind Sie selber gefährdet?
Zum Beispiel bei der Ehrlichkeit. Da ist man als Unternehmer immer gefordert.

Und wofür beten Sie – nicht nur am Bettag?
Vielleicht tönt es fast blöd, aber ich bete dafür, dass Ethik und Moral in unserem Land wieder mehr Bedeutung gewinnen. Im Moment verludert ja alles. Wenn ich den «Blick» lese – ich lese jeden Tag drei Zeitungen –, dann sehe ich, wie Unmoral und Respektlosigkeit um sich greifen. Und wenn ich die Bibel lese, bekomme ich manchmal schon den Eindruck, wir seien in der Endphase. Doch ich möchte unsere Welt noch möglichst lange erhalten. Darum bete ich auch, dass wir den Mut haben, für die Moral einzustehen. Ich habe zum Beispiel dem Schwulengesetz nicht zugestimmt. Man darf doch die Bibel nicht so auslegen, wie es einem gerade passt!

Das Volk kennt Sie als politischen «Polteri». Poltern Sie auch beim Beten?
Manchmal schon, wenn ich unzufrieden bin. Dann frage ich Jesus Christus: «Warum muss das jetzt sein?» Wir haben schon intensive Gespräche, Jesus und ich. Das Poltern ist halt meine Art. Dann hören andere auch besser zu. Ob Jesus dann besser zuhört, ist eine andere Frage…

Warum beten Sie?
Weil ich Gott, Jesus Christus und dem Heiligen Geist vertraue.

Wie beten Sie?
Zuerst kommen immer Dank, Lob und Preis. Dann bitte ich um Kraft und um den Segen für meine Familie und Freunde. Als drittes bitte ich um Hilfe für meine speziellen Probleme.

Was beten Sie als Patron alter Schule für Ihre Mitarbeiter?
Das ist jeden Morgen in mein Gebet integriert. Ich bete dafür, dass meine Chauffeure einen unfallfreien Tag haben, dass wir alle miteinander seriös und fair schaffen und dass wir einen gesegneten Tag erleben dürfen.

Wie haben Sie das Beten gelernt?
Es ist mein ganz grosses Glück, dass mich meine Eltern im christlichen Glauben erzogen und beten gelernt haben. Später hat mir Jesus Christus Leute geschickt, die mir die Bibel genauer erklärt haben. Nur so konnte ich auch die vielen schweren Situationen in meinem Leben durchstehen. Ich musste ja mit 19 das Geschäft übernehmen, weil mein Vater und meine Mutter innert dreier Monate durch Krankheit starben. Später verlor ich meine Frau und meinen ältesten Sohn durch Krankheit. Da merkte ich, was es heisst, Trost und Kraft durch den Glauben und das Gebet zu bekommen.

Mit wem zusammen beten Sie?
Ich bete natürlich am Montag im Hauskreis oder am Sonntag in der Kirche. Aber ich bete auch oft allein. Immer um 4 Uhr 30, wenn die Kirchenglocken läuten, gehe ich von zu Hause weg. Da fängt auch mein Gebet an. Auf dem ganzen Weg, an der Post vorbei und durch die Unterführung ins Industriequartier, bete ich laut. Während der Arbeit ist dann das WC meine persönliche Kapelle. Vor schwierigen Verhandlungen gehe ich in meine Kapelle. Meine zweite Kapelle ist mein Auto. Ich fahre jährlich 50000 bis 60000 Kilometer. Da rede ich oft mit Jesus Christus.

Und Gott hört Sie?
Davon bin ich überzeugt. Und ich finde es im Verlaufe eines Tages oft bestätigt.

Beten Sie vor einem politischen Auftritt?
Ja, aber nicht nur politisch, sondern auch geschäftlich. So weiss ich, dass ich nie allein bin!

Welche Rolle spielt das Gebet im politischen Alltag in Bern?
Keine. Das ist hart, aber es ist so! Wenn es den Bundeshaus-Beter Beat Christen nicht gäbe, würde noch weniger gebetet. Wenn Sie die Politiker nach dem Beten fragen, sagen zwar viele Ja, aber man lebt dann nicht so. Es gibt viele Scheinheilige!

Sollten Glaube und Gebet in der Schweiz vermehrt öffentlich gepflegt werden, wie beim Gebetsfrühstück in den USA?
Nein, das ist überhaupt nicht nötig, das wirkt wie eine Prozession. In erster Linie brauchen wir mehr Pfarrer, die nicht politisieren und wegen des hohen Lohnes Pfarrer geworden sind. Wir brauchen Pfarrer, die den Leuten Jesus Christus näher bringen und die Seelsorge ernst nehmen.

Warum bleiben Sie in der Kirche?
Weil die Kirche einen wichtigen Auftrag hat. Doch ich überlege mir manchmal schon, ob ich nicht in die EMK wechseln soll. Aber auch dort hängt vieles vom Pfarrer ab. Ich frage mich auch, ob ich gelegentlich, wenn ich mal mehr Zeit habe, für die Kirchenbehörde kandidieren soll. Dann könnte ich mehr Einfluss nehmen, damit die Kirche ihren Auftrag besser erfüllt.

Warum bekennen Sie Ihren Glauben offen?
Es gibt in der Bibel auch einen Missionsauftrag. Ich bin ein relativ bekannter Politiker, und da habe ich auf meine Art die Möglichkeit, diesen Auftrag wahrzunehmen.

Wie halten Sie es am Bettag mit dem Auto?
Das Auto hat für mich gar nichts mit dem Bettag zu tun. Das wird nur politisch ausgeschlachtet. Ich fahre am Sonntag ohnehin möglichst wenig Auto, denn der Sonntag ist der Tag des Herrn. Da suche ich Ruhe. Aber wenn ich im Tessin bin, fahre ich auch am Sonntag heim. Jesus Christus hat nie gesagt, man solle das Auto stehen lassen.

Also gar keine Sympathie für einen landesweiten autofreien Bettag, wie oft gefordert?
Sicher nicht, das ist fertiges Theater! Ohne Auto geht gar niemand mehr in die Kirche.

Ihnen eilt der Ruf voraus, Sie pflegten die freie Marktwirtschaft mindestens so stark wie Gottes Schöpfung. Leben Sie oft im Gewissenskonflikt?
Überhaupt nicht, das passt alles zusammen. Ohne Staat, ohne klare Richtlinien geht die Marktwirtschaft nicht, so wie der Christ mit der Bibel eine Grundordnung braucht. Doch man kann bei der freien Marktwirtschaft rasch abstürzen. Darum bete ich: «Lass mich, o Herr, als Unternehmer an der richtigen Stelle des Grates wandern!»

Wie reagieren Sie, wenn man Sie plötzlich nicht nur als «Fuhrhalter der Nation», sondern auch als «Beter der Nation» bezeichnet?
Das wäre völlig übertrieben. Ich bin leider nicht fähig, andere Menschen im Gebet mitzureissen. Dafür wären Pfarrer zuständig. Aber die Leute sollen wissen, dass ich intensiv bete. Ich hätte noch zwei Traumberufe: Pfarrer und Streitanwalt. Ich wäre kein guter Pfarrer für Menschen in Trauer, aber ich könnte mir vorstellen, auf der Kanzel die Bibel zu vertreten und den Leuten Jesus Christus näher zu bringen.

Ihr grösstes Gebetserlebnis in den letzten Wochen?
Im Juni war ich bei einem bedeutenden Unternehmer im Ruhrgebiet. Überraschend lud er mich zum Nachtessen mit seiner Familie bei sich zuhause ein. Vor dem Essen sprach er ganz selbstverständlich ein Dankgebet. Danach haben wir offen über den Glauben gesprochen. Es hat mich stark beeindruckt, dass das auf einer Chefetage so möglich ist.

Ulrich Giezendanner
Jahrgang 1953, verwitwet, drei erwachsene Kinder, wohnhaft in Rothrist AG. Geschäftsführender Gesellschafter der Giezendanner-Gruppe mit rund 130 Mitarbeitern und 100 Lastwagen. Seit 1991 Nationalrat der SVP. Mitglied der reformierten Kirchgemeinde Rothrist. Hobbys: Oldtimer (besitzt 27 alte Saurer-Lastwagen), Sport (Velofahren, Schwimmen), Reisen, Gärtnern vor seinem Tessiner Haus
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Datum: 17.09.2006
Autor: Andrea Vonlanthen
Quelle: ideaSpektrum Schweiz

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