Berührender Täufer-Film: Wie Glaube reift und Leben gestaltet

Er läuft und läuft und läuft: In Bern geht „Im Leben und über das Leben hinaus“ von Peter von Gunten bereits in die 17. Woche – eine kleine Sensation. Nun ist der grosse, stille Film über die Täufer auch in Zürich zu sehen.

Die Mennoniten-Gemeinde Sonnenberg ob Tramelan im Berner Jura hat dem Filmemacher Peter von Gunten vor Jahren ihre Türen geöffnet – und nichts vorgespielt. Im Dokumentarfilm ist zu sehen, wie Jugendliche unterrichtet und dabei auf das Bekennen des Glaubens hingeführt werden, das traditionell mit der Wassertaufe verbunden ist. Was dabei abgeht, in der Intensivwoche (Disco inklusive), bei den Unterrichtenden, in Gesprächen, wenn die Teenager ihr eigenes Glaubensbekenntnis formulieren, bildet einen Hauptstrang im zweieinhalbstündigen Film.

Die Gemeinschaft bewahren, Freiheit gewähren

Die Mennonitengemeinden auf den Jurahöhen, einst entstanden durch Verbannung der Täufer aus dem Emmental, leben nicht mehr in der früheren Abgeschiedenheit, doch durchdringen ihre Verwurzelung in der Tradition und ihr Zusammenhalt den Film. Der Älteste (Pastor) Michel Ummel erzählt den Jugendlichen im Unterricht, dass zwei, die im Streit lagen, sich an Ostern vor der Gemeinde versöhnten. Er macht deutlich, dass man nicht als Christ geboren wird, und erläutert die Taufe, steht auch dem Regisseur Red und Antwort zu den Wagnissen des Unterrichts.

Seit einigen Jahren gestatten die jurassischen Gemeinden Frauen, Jugendliche nicht nur zu unterrichten, sondern auch zu taufen. Die Katechetin Nelly Gerber-Geiser hilft den Mädchen des zweijährigen Kurses, im Glauben an Christus zu reifen und ihn bei der Taufe im Juraweiher – gewünscht und gewährt – zu bekennen. Die Portraits der Jugendlichen, die in der familiären Gemeinde zur religiösen Mündigkeit geleitet werden, gehören zum Eindrücklichsten des Films.

Berndeutsch in Indiana

Ins Portrait der Jura-Mennoniten verwebt Peter von Gunten Szenen von Täufern in Berne im US-Bundesstaat Indiana, in der Neuen Welt. Eine 96-jährige Lehrerin weiss, dass ihr „Grossgrossvater“ Peter Sprunger, ein ausgewanderter Schweizer, als erster hier im Ort geboren wurde. Heute weist Berne 15 Kirchen auf.

Die Pianistin Vera von Gunten, 92, hat ein Dritteljahrhundert lang Gottesdienste begleitet, ohne an einem Sonntag zu fehlen. Heute im Altersheim ‚Swiss Village’ daheim, findet sie, man könne „no geng Spass ha“. Bodenständige Lebensfreude im Greisenalter – und „das Herz ist noch teils in der Schweiz“, wie die Heimpastorin Anita Rediger formuliert.

„God Bless America“

Sie und der Pastor der Mennonitenkirche äussern sich auch differenziert zur schmerzlichen Spannung zwischen der Gewaltlosigkeit des Täufertums und der aktuellen Politik Washingtons, das Truppen im Irak und in Afghanistan stehen hat. „God Bless America“ wird gesungen – gilt der Segen denn niemand anderem?

Doch geht es von Gunten auch in den USA in erster Linie um das gemeinsame Leben der Täufer und die Kraft, die daraus erwächst. Kraft, die auch genährt wird durch Besuche in der alten Heimat, im Schloss Trachselwald im Emmental, wo die Täufer gefoltert und zu Märtyrern wurden.

Lebensräume mit Gedächtnis

Immer wieder lässt der Berner Filmemacher die Kamera auf Strassen, Wiesen und Wäldern ruhen, zeigt die Lebensräume, welche die Täufer einst der Wildnis abzuringen hatten und welche heute industriell beackert und von Trucks und Bahnen durchschnitten werden.

An jene Täufer, die sich der Moderne verweigern, die Amischen, tastet sich der Film sorgfältig heran. Sie pflügen mit Pferden – und wollen nicht abgebildet werden. Peter von Gunten erlangte nach drei Jahren die Erlaubnis, Frauen aus dem Hintergrund beim Kinderhüten zu filmen (sie singen „Niene geits so schö u luschtig…“). Die Schulstube voller Schüler versagte er sich aus Respekt vor der Gemeinschaft; wir sehen bloss die Stühle.

Gebannt und traurig

Das Zurechtweisen, Ausschliessen (Bannen) und Meiden von Gemeindegliedern, denen Fehlverhalten vorgeworfen wird, gehört zu den bestimmenden Merkmalen der Amischen seit ihrer Abspaltung von den Menonniten 1693. Das Leben zweier Eheleute, die, vom Schickal hart getroffen, später grundlos ausgeschlossen wurden, endet in Einsamkeit – das Lächeln der Bäuerin vermag die Trauer nicht aufzuhellen, springt kaum je auf den Gatten über.

Doch der Film endet mit dem lebensbejahenden Glauben der jungen Schweizer. Und dem Chor der Gemeinde, die bei der Täuferbrücke in der Wildnis Gott mit dem Gesang der Vorfahren lobt.

Mit dem Regisseur im Gespräch

Als Ausdruck der neuen Beziehung, die im Juni 2004 mit dem Begegnungstag entstand, offerierte die Zürcher reformierte Landeskirche ihren Mitarbeitern am Sonntag „Im Leben und über das Leben hinaus“ – zuerst die Vorführung und anschliessend ein Gespräch mit dem Regisseur Peter von Gunten, dem Mennonitenältesten Michel Ummel und Kirchenratspräsident Ruedi Reich.

Dabei kamen die nicht aufhebbaren „freundschaftlichen Spannungen“ (Ummel) zwischen Täufern und Landeskirchlern in Kirchen- und Taufverständnis ebenso zur Sprache wie das Gemeinsame des Glaubens. Und die Freude über einen sensiblen grossen Film, der diesen Kern abbildet.

„Im Leben und über das Leben hinaus“
Bern: Kino ABC, Moserstrasse 24, 18 Uhr (letzte Tage!)
Zürich: Kino Riffraff, Neugasse 57 (Nähe Langstrasse), täglich 18 Uhr

Der Film im Internet:
www.artifar.com/clients/vogu/imleben05.html

Bilder aus dem Film: Peter von Gunten, CINOV Filmproduktion, Bern

Datum: 30.08.2005
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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