Interview mit Emanuel Kohli
Worship: Gott Antwort geben
In jedem Gottesdienst singen wir Lieder. Dabei geht es um viel mehr als um Stilfragen, persönlichen Geschmack oder blosses Singen. Ein Gespräch über Anbetung mit Emanuel Kohli, Musiker der Prisma-Kirche Rapperswil.
Emanuel, was ist «Worship» für dich?
Emanuel Kohli: Worship ist die Antwort des Menschen auf Gottes Offenbarung. Gott offenbart sich, und die angemessene Antwort des Menschen, der dies erkennt, ist Lob und Dankbarkeit. Das ist für mich Worship. Das beinhaltet auch eine Connection zu Gott – es ist nicht um luftleeren Raum, es gibt ein Gegenüber.
Also Gott offenbart sich, geht eine Verbindung ein zu uns, und die logische Folge daraus ist, dass wir als Reaktion ihn anbeten.
Genau.
Das klingt sehr umfassend. Oft hört man den Satz: «Worship ist mehr als Musik.»
Ja, das stimmt natürlich. Musik ist einfach ein sehr geeignetes Medium für Worship, weil Musik den Menschen auf einer Ebene ansprechen kann, auf der ihn sonst nichts ansprechen kann. Da hat Musik etwas sehr Spezielles.
Mehr als Sprache?
Ja, denn durch die Musik kommt zur Sprache noch ein besonderer Klang, die Tonhöhe und Rhythmus dazu, und zusammen mit Instrumenten wird die Seele auf einer anderen Ebene erreicht.
Musik bringt also mehr in uns zum Klingen?
Genau. Es spricht die emotionale Ebene stärker an. Und wenn sich nun die Verbindung mit Gott und die Emotionen in der Musik vereinen, nicht auf manipulative, sondern auf eine gute Art, dann erlebe ich das als «ein Stück Himmel auf Erden». Musik hat auch die Fähigkeit (und das nicht nur bei Christen), ein Ewigkeitsempfinden in uns zu wecken, dass wir merken: «Hier geht etwas über uns hinaus», es geht in eine andere Dimension.
Nun erlebe ich aber diese «Ewigkeitsdimension» nicht jedes Mal, wenn ich im Gottesdienst bin. Ist denn wahre Anbetung nur dann möglich, wenn die Musik es vermag, etwas in mir zum Klingen zu bringen?
Nein, natürlich nicht. Dann wären wir davon abhängig, von Emotionen, von einer gewissen Musikqualität, von einem Setting (z.B. gedämpftes Licht, Lautstärke, Stil) – diese Faktoren beeinflussen uns natürlich, aber die Musik bleibt trotzdem Medium, sie ist nicht die Anbetung selbst. Es geht also nicht ums Medium und das, was man durch dieses Medium erlebt, sondern letztendlich um den Schöpfer. Die Anbetung geschieht in meinem Herzen. Es ist schön, wenn die Emotionen auch stimmen, aber das ist nicht zwingend die Voraussetzung. Manchmal braucht es den inneren Ruck: «Jetzt bete ich trotzdem an.» Der Ruck «Lobe den Herrn, meine Seele», das ist eine Selbstaufforderung aus den Psalmen. Aber manchmal kann auch Schweigen angebracht sein. Anbetung aus Zwang ist keine Anbetung – wenn Anbetung auch Beziehung ist, ist sie auch Liebe, und das geht nicht mit Zwang.
Wenn man auf der Bühne ist, hat man häufig gar nicht die Wahl – ich muss «performen», egal ob mir danach ist oder nicht.
Ja, natürlich zwingen wir niemanden, wenn es gar nicht geht. Aber Anbetung ist auch ein Dienst an der Kirche. Da kann ich nicht einfach sagen, ich steige jetzt aus. Und wir bereiten uns auch darauf vor, da steht der Dienstgedanke dann schon im Vordergrund.
Wir haben zwei Jahre Pandemie hinter uns. Eine Zeit lang durften wir gar nicht singen. Hat sich dein Verständnis von Worship dadurch verändert?
Die Pandemie hat uns im Westen gezeigt, wie zerbrechlich unser System ist. Sie hat «etwas zurechtgerückt» in uns als Gesellschaft: Dieses «Wir haben's im Griff», das zumindest unsere Generation nie anders gekannt hat – wir haben nie einen Zerbruch erlebt, dass Dinge plötzlich nicht mehr funktionieren. Diese Erfahrung hat viele existentiell getroffen, dass in unserem grossen Wohlstand eine so hohe Unsicherheit möglich ist. Dass das Leben in so kurzer Zeit so anders sein kann. Ich hoffe, dass dies uns als Christen auf Gott zurückgeworfen hat. Aufs Vertrauen in ihn, dass er die Kontrolle nicht verliert, obwohl er eine Pandemie «zugelassen» hat – ich hoffe, dass sich dies in unserer Anbetung widerspiegelt: Gott ist unser Freund, aber er ist auch der, der uns «den Stecker ziehen» könnte, wenn er wollte. Er steht so weit über uns. Das tut uns auch als Freikirchler gut – wir sind stark in der Beziehungsebene, wir können auf Augenhöhe mit Gott reden. Was für ein Privileg...
... wir brauchen keine traditionelle Liturgie ...
Ja, aber wir müssen eben auch sehen: Da ist auch der «ganz andere Gott», der Herrscher über alles ist.
Luther spricht sogar vom «verborgenen Gott», von dem Gott, den wir nie vollständig erfassen können, was Ehrfurcht auslöst.
Genau, er bleibt «anders». Und diese Seite haben wir in der Pandemie erfahren. Aber wir haben auch erfahren: «Es geht auch anders.» Wir können tatsächlich auch mit Maske oder ohne Gesang anbeten. Wir mussten andere Formen finden, die Anbetung geht weiter, auch wenn der Gemeindegesang verstummt.
Sind diese neuen Formen eine Bereicherung für dich, oder bist du froh, dass wir wieder zurückkönnen?
Ich bin froh, dass wir zurückkönnen, weil wir eine Überzeugung haben für diese Form, wie wir Anbetung gestalten. Wenn eine Gemeinde anbetet, gibt es diesen «Miteinander-Effekt». Wenn Leute gemeinsam singen, ist dies einzigartig – es ist schon an einem säkularen Konzert super – aber wenn ich auf der Bühne stehe und der «Chor der Heiligen» (so hätte es vielleicht die Bibel genannt) ins Lob Gottes einstimmt, bekomme ich am meisten Hühnerhaut, und merke: Das ist jetzt dieser Vorgeschmack auf den Himmel. Wenn wir in Einheit uns auf den Höchsten ausrichten und ihm eine Antwort geben auf seine Offenbarung und Liebe.
Du bist in der Prisma Kirche in Rapperswil als Musiker angestellt und ihr schreibt auch eigene Songs. Warum?
Das hat verschiedene Gründe. Hauptgrund ist, dass es für die Kirche, für ihre Identität, fürs Wir-Gefühl, für die Einheit hilfreich ist. Wir spielen aber extra nicht nur eigene Songs, damit wir auch ein gemeinsames Repertoire mit anderen Schweizer Kirchen haben. Ein gemeinsames Liedgut ist mehr denn je in Gefahr. Wir wollen das Verbindende mit anderen Kirchen behalten.
Mit den eigenen Songs haben wir hingegen die Chance, das aufzunehmen, was unsere Leute hier und jetzt bewegt. Am stärksten ist dies, wenn wir z.B. einen Song schreiben für eine Kampagne oder Predigtreihe, die über längere Zeit läuft. Dabei kommt sehr stark zum Tragen, was uns prägt und was uns wichtig ist. Wir versuchen das, was uns ausmacht, wie wir denken, unsere Kultur, in die Songs zu bringen. Es ist unsere Sprache, unser Verständnis.
Wie entsteht ein Song?
Es gibt verschiedene Varianten. Wir haben Songs, die hat jemand alleine geschrieben, aber auch solche, die unter Mitwirkung von vielen entstanden sind. Manchmal setzen wir ein Treffen an und schreiben einen Song – das gelingt nicht immer auf Anhieb, aber manche Songs sind so entstanden. Ein banaler Faktor des Songwritings ist, sich Zeit dafür zu nehmen. Dann treffen wir uns, vielleicht kommt nicht viel an Inspiration, aber es kann auch sein, dass jemand schon eine Inspiration mitbringt an die Session, dann entwickeln wir gemeinsam weiter. Inspiration kann man nicht planen, die bleibt ein Mysterium. Und manchmal ist es harte Arbeit.
Nicht alle Gemeinden können sich Angestellte im Musikbereich leisten. Was ist in deinen Augen das wichtigste, wenn ich in einer kleinen Gemeinde diene im Musikbereich?
Es gibt einen musikalischen und einen geistlichen Faktor. Auf der musikalischen Ebene gilt «Weniger ist mehr». Nicht weniger üben – aber im Arrangement lieber einfach und solide, als kompliziert und dafür 'gwaggelig' / unsicher. Lieber den einfacheren Groove, das Solo weglassen, einen geraden Beat spielen, aber dafür stimmt er bis zum Schluss. Das gibt ein Fundament, bei dem die Leute wie auf den Zug aufspringen können und fröhlich «mitfahren», ohne dass sie Angst haben müssen, dass der Wagen abgehängt wird oder der Zug entgleist. Es gibt auch den Musikern mehr Freiheit, wenn sie die Lieder so spielen, dass sie sie gut beherrschen. Den Mut haben, einfach zu bleiben. Es ist beim Worship auch nicht schlimm, wenn man den Eindruck hat «Jetzt habe ich keine musikalische Glanzleistung vollbracht». Es geht beim Gemeindegesang nicht primär um die Abwechslung oder um eine konzertreife Darbietung.
Auf der geistlichen Ebene: Wir alle haben die Möglichkeit, von etwas Grösserem zu träumen als wir im Moment drinstehen. Egal wo wir sind, diese Möglichkeit gibt's immer. Aber da müssen wir lernen zu sagen: «Gott, ich nehme das, was du mir gegeben hast, und ich fokussiere nicht auf das, wovon ich träume, oder wovon ich denke, dass ich eigentlich dafür gemacht wäre. Du, Gott, teilst mir Talente zu» – und das sind bei manchen 20 Leute, anderenorts 80 oder 500 Leute im Gottesdienst – im Gleichnis der Talente ist nie ein Thema, wieso der eine weniger bekommt als der andere. Das einzige, das den Besitzer interessiert, ist: «Was hast du mit dem gemacht, was ich dir anvertraut habe?» Das soll unser Fokus sein. Egal, ob ich vor 20, 80 oder 500 Leuten Worship leite: Die Frage ist nicht, sind es 20, 80 oder 500 – sondern: Habe ich genommen, was Gott mir anvertraut hat, und habe ich es gut gemacht? Das ist immer wieder eine Herausforderung, aber es befreit mich, weil ich mit bestem Wissen und Gewissen auf das fokussiere, was ich habe und wo ich drinstehe.
Es befreit vom Zahlendenken...?
Ja, genau. Es verhindert, dass man Zeit und Aufwand verschleudert für etwas, das möglicherweise nie eintrifft. Das Gute daran ist, dass wir das, was Gott uns in die Hand gibt, auch besser nutzen, wenn wir nicht immer von etwas Besserem träumen.
Spannend – aber wenn niemand mehr davon träumt, dass etwas anders wird, dann fehlt auch der Motor für Veränderung.
Genau. Es geht nicht darum, dass wir einfach zufrieden sein sollen und die Kirche keinen Auftrag mehr hat. Es ist ein Zufriedensein mit dem, was Gott einem zugeteilt hat, statt unzufrieden zu sein, weil ich das und das haben müsste. Aber es gibt natürlich noch diese heilige Unzufriedenheit, dass Gott noch viele Menschen erreichen möchte.
Hat das mit Worship zu tun?
Sicher auch. Ich glaube, dass die Anbetung uns mit Gottes Herz und seinen Gedanken in Einklang bringen möchte. Und diese sind aus der Bibel relativ klar: Er möchte allen Menschen begegnen. Ich kann schlecht anbeten und gleichzeitig Gottes Willen ignorieren. Das passt nicht zusammen.
Erlebt ihr auch, dass Leute durch den Worship Gott begegnen, die ihm vorher noch nicht begegnet sind?
Ich bekomme wenig direkte Rückmeldungen. Aber wir hören schon immer wieder, dass Leute auch wegen des Worships in die Gottesdienste kommen, zum Teil auch kirchenferne Leute. Und wir erleben in Alphalivekursen, an denen wir in einem sehr kleinen Rahmen spielen (ein Instrument und Gesang), dass Musik auch mithilft bei geistlichen Durchbrüchen.
...dass Gott den Leuten begegnet und etwas in ihnen vorbereitet.
Genau. Oder dass wir in Gottesdiensten Leute weinen sehen, dann wissen wir: Offenbar geschieht hier jetzt gerade etwas.
Wenn du ein Worship-Set leitest, wie bereitest du dich ganz praktisch vor?
Ich beginne mit der Song-Auswahl – ich schaue, welche Crew ich habe, nicht alle Songs funktionieren mit allen Leuten gleich gut. Dann haben wir auch eine Beschränkung im Repertoire: Partizipation ist ein hoher Wert bei uns – das geht nur, wenn die Leute die Lieder kennen.
Das heisst, du schränkst die Auswahl an Liedern ein, damit die Leute sattelfest werden?
Richtig. Neue Songs lehren wir die Leute gut, das heisst wir bringen sie häufig. Konkret haben wir jeweils zwei Lieder, die als neu gelten, und eines davon muss in jedem Gottesdienst drankommen, bis wir sehen, dass die Leute sie singen können.
Wie viele Lieder habt ihr im Repertoire?
Zwischen 30 und 40. Das reicht und wird nicht langweilig, weil das Repertoire sich beständig verändert. Wir führen neue Lieder ein, dafür fallen alte raus. Wir entscheiden aktiv, welche Songs wir rausnehmen, aber aufgrund von Statistik. Das ist ein einfacher und klar greifbarer Faktor. Wenn ein Song zu selten gespielt wird, ist er nicht mehr bekannt. Und wenn keiner unserer fünf Worship-Leiter den Song bringt, hat das meistens Gründe. Ich gehe davon aus, dass wir alle ein Gespür dafür haben, welche Lieder unserer Kirche guttun. Das Nichtgespielt werden ist ein Indiz, dass die Zeit für ein Lied abgelaufen ist. Wir behalten manchmal Songs trotzdem im Repertoire, wir haben ein «Zusatzrepertoire», in dem alte Choräle drin sind, oder Lieder, die speziell im Kirchenjahr stehen (Ostern, Weihnachten etc.). Manchmal bleiben Lieder auch aufgrund theologischer Entscheidungen im Repertoire.
Ihr schaut also auf die Inhalte beim Einführen von neuen Liedern?
Ja, wir schauen, dass die Inhalte theologisch korrekt sind, aber nicht nur das, sondern auch, dass der Schwerpunkt stimmt.
Also z.B. nicht «ich-ich-ich und mein Jesus»?
Es gibt Sachen, die sind theologisch nicht falsch, aber wir würden sie nicht so ins Zentrum stellen.
Zurück zur Praxis des Leitens.
Ich suche die Songs aus dem Repertoire aus – aus dem Repertoire, damit wir eine hohe Partizipation haben, und dann schaue ich, unter welchem Thema der Gottesdienst steht (normalerweise weiss ich das Thema, aber die Predigt steht zum Zeitpunkt, an dem ich die Lieder aussuche, noch nicht). Dann wirkt der Heilige Geist halt in der Vorbereitung. Dann nehme ich die passenden Songs, aber nicht krampfhaft, es muss nicht alles 100 Prozent passen – was mir wichtig ist, ist ein roter Faden in den Liedern. Ich muss als Leiter durch das Set hindurch leiten können, es muss auch eine musikalische Brücke geben...
...also Dur und Moll, in der gleichen Tonart, oder was bedeutet das?
In der gleichen oder verwandten Tonart ist natürlich schön, aber es geht eher darum, dass auf einen «happy clappy» Song nicht ein mega ruhiger, tiefer Song folgt und danach happy clappy. Ich überlege: Wo hole ich die Leute ab, und wohin bringe ich sie? Meistens ist bei uns im Gottesdienst der Worship vor der Predigt. Da benutzen wir ein «Trichtermodell»: Wir kommen von aussen, beim Startersong sind wir sehr niederschwellig, im Verlauf des Worships beginnen wir zuzuspitzen, danach kommt die Message / Predigt, diese folgt dem gleichen Modell und spitzt zu. Nach der Predigt kommt ein Vertiefungssong, damit versuchen wir einen «defining moment» zu kreieren, dass – soweit es an uns liegt – das Lied zur Predigt passt. Danach öffnen gehen wir wieder in die Weite. Wir wollen die Leute nicht «komplett versenkt» aus dem Gottesdienst entlassen. Immerhin ist danach noch Gemeinschaft angesagt. Ich achte auf Übergänge, und wenn ich merke, da wird es beim Übergang einen Bruch geben, dann weiss ich, das muss ich mit Worten abfedern.
Also eine aktive Brücke bauen.
Genau. Und dann werde ich den Sprachbeitrag auch entsprechend engagierter beginnen und dann etwas ruhiger werden. Das ist das Grundschema. Nicht alles läuft so, aber oft. Danach haben wir Probe, wir üben die Songs, die Übergänge, wir beten, wir bereiten den Sonntag im Gebet vor. Dann gehe ich vermehrt «auf Sendung beim Heiligen Geist» und versuche zu sehen, ob es etwas Spezifisches gibt, das dran ist. Auch während des Leitens im Gottesdienst – dann ist es am stärksten. Manchmal spüre ich Impulse, aus denen ich nicht schlau werde, aber dann mache ich es meistens einfach so. Ich versuche zu hören. Und deshalb glaube ich, auch wenn wir einen relativ fixen Ablauf haben, hat es durchaus Platz, wenn Gottes Geist noch etwas eingibt.
Dieser Artikel erschien zuerst im FEG-Magazin.
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Autor: Deborah Vassen
Quelle: FEG-Magazin