Wie geht beten?

Ein Selbstversuch

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Wie genau geht eigentlich beten? Denn irgendwie passt dieses «Müde bin ich, geh zur Ruh...» oder «Ich bin klein mein Herz ist rein...» nicht in jede Lebenslage. Aber wie kann man dann mit Gott kommunizieren? Autor Klaus Douglass hat 50 verschiedene, zum Teil aussergewöhnliche Gebetsarten unter die Lupe genommen und selbst ausprobiert.

Eine davon stellt er hier auf livenet.ch vor: Das Beten mit Gebärden. Was ihm Anfangs erst einmal befremdlich vorkommt, zeigt später doch grosse Wirkung:

Beten mit Gebärden

Ich stehe in einem Kreis von Menschen, die lernen wollen, «mit ihrem Körper zu  beten». Der Anleiter fordert uns dazu auf, die Augen zu schliessen und auf einen festen Stand zu achten. «Achte auf deine Verwurzelung im Boden. Spüre, wie der Boden dich trägt: der feste Grund unter deinen Füssen.» Es ist erst der Anfang der Übung, aber hier steige ich bereits innerlich aus. Das ist mir zu esoterisch. Mal ganz ehrlich: Wir befinden uns hier auf einer grossen Kugel, die sich mit annähernd 1'700 Stundenkilometern um sich selbst dreht und darüber hinaus mit über 100'000 Kilometern pro Stunde um die Sonne rast. Jeder «feste Grund», den ich da spüre, ist pure Einbildung. Die Kräfte, die mich an meinem Platz halten, sind die gleichen wie die, die auch in einer Achterbahn wirken. Zugegeben: Ich falle zwar hier wie dort nicht hinaus, aber von einem «festem Grund» mag ich da nicht wirklich reden.

So geht es weiter: Bevor wir zur eigentlichen Übung kommen, geht es um Körperwahrnehmung. Im Wesentlichen werden nun die «üblichen Verdächtigen» genannt, die man aus dem Autogenen Training kennt: «Die Füsse berühren den Boden, die Arme sind schwer, wir spüren, wie die Luft durch unsere Nase ein ­ und ausströmt» und Ähnliches. Ich glaube, ich erwähnte bereits, dass ich mit alledem nicht viel anfangen kann. Im Gegenteil: Jedes Mal, wenn der Anleiter uns auffordert, lockerer zu werden, etwa indem wir in den Knien etwas nachgeben oder die Schultern fallen lassen, spüre ich, wie ich mehr und mehr verkrampfe und mein Körper zunehmend zu schmerzen beginnt.

Schade eigentlich, weil dieser ganze Vorspann für das, was folgt, im Grunde gar nicht notwendig ist. Ich finde, es würde genügen, einfach eine Minute still zu stehen, sich zu sammeln, um dann anzufangen und den ganzen autogenen Schnickschnack im Vorfeld sein zu lassen. Denn was jetzt kommt, ist wirklich gut und hilfreich.

Warum ich diese Gebetsform ausprobieren möchte:

Das ganze Thema ist im Grunde ein verborgener Schatz. Wir beten in der Tat nicht nur mit dem Mund oder in Gedanken, sondern auch mit unserem Körper. Unsere Kommunikation hat immer einen verbalen und einen nonverbalen Anteil. Wobei Letzterer in aller Regel sehr viel aussagekräftiger ist als der verbale. Darum trauen wir auch dem, was wir beim anderen sehen, mehr als dem, was wir von ihm hören, und zwar aus einem einfachen Grund: Unser Körper lügt nicht.

Schon als Kinder haben wir gelernt, den Körpergesten unserer Eltern mehr zu glauben als ihren Worten. Wenn unsere Mutter mit traurigem Gesicht sagte: «Nein, nein, es ist nichts», wussten wir, dass sehr wohl etwas war. Oder wenn Vater sagte: «Das darfst du aber nicht», dabei jedoch leicht schmunzelte, war uns sofort klar: Da ist durchaus noch was zu holen.

Es ist spannend, einmal auf unsere Körpersprache zu achten, wenn wir beten. Stellen Sie sich vor, jemand spricht Kaugummi kauend, die Hände in den Hosentaschen, mit gelangweiltem Gesichtsausdruck folgende Worte: «Gott, du König aller Könige, Herrscher aller Herren, wir beten dich an.» - Wenn Sie finden, es sei ziemlich unwahrscheinlich, dass so etwas vorkommt, haben Sie noch nie einen von Konfirmanden gestalteten Gottesdienst erlebt. (...)

Die Leute vom Film nennen so etwas  eine «Text­Bild­Schere»: einen nicht zu überbrückenden Gegensatz zwischen dem, was wir sehen, und dem, was dazu gesprochen wird.

Darum finde ich einen Kurs zum Thema «Mit dem Körper beten» überaus reizvoll – dass man einmal in einzelne Körpergesten hineinspürt, ohne etwas dazu zu sprechen, sondern sich fragt: «Was sagt mein Körper da gerade? Was drückt er mit dieser Geste vor Gott aus?»

Mehr als nur Gymnastik

Und das finde ich an der Übung gut, die wir gerade machen: Der Anleiter geht, nachdem wir alle – na ja: nicht alle – unseren Körper wahrgenommen haben (und den Boden, der uns trägt), nahezu das komplette Programm durch. Die Texte, die er dazu spricht, helfen mir nicht immer. Etwa wenn er sagt, wir sollen unsere Arme heben, als würden sie «von unsichtbaren Fäden» gezogen, oder wenn wir den Himmel spüren sollen, der sich über unseren ausgebreiteten Armen wölbt. Dagegen spricht im Grunde genommen nichts, aber die gesamte Denk­ und Vorstellungsweise ist mir zu sehr von kosmischen Kräften durchwirkt, an die ich nicht glaube. Was aber klasse ist, sind die einzelnen Stationen, an die er uns führt.

Sitzen oder stehen?

Das beginnt in der Tat beim Stehen. Es gibt zweifellos viele Situationen, in denen es sich anbietet oder wo uns auch nichts anderes übrig bleibt, als im Sitzen zu beten. Aber «normal» ist das nicht. In nahezu allen Religionen dieser Welt stehen oder knien die Menschen vor Gott. (Ich lasse das Phänomen des Meditationssitzens dabei mal aus, denn das ist kein Sitzen im landläufigen Sinne.) Und zwar aus einem einfachen Grund: Es betet sich im Stehen anders als im Sitzen oder Liegen. Zweifellos ist es anstrengender, aber es drückt auch Respekt aus. Die aufrechte Haltung lässt uns  «aufrichtiger» werden. Wenn wir sitzen, machen wir uns selbst und Gott sehr viel leichter etwas vor, als wenn wir stehen. Probieren Sie es mal aus! Oder knien Sie sich mal bewusst vor Gott hin und spüren Sie sich in diese Geste hinein.

Mit den Händen beten

Und achten wir einmal auf unsere Hände. Sind sie gefaltet – und wenn ja: wo und wie? Vielleicht legen wir sie auch mal sanft auf unser Herz: eine Geste, die eine tiefe Innigkeit ausdrückt. Oder probieren wir mal aus, mit den Händen eine nach oben offene Schale zu formen, wie ein Durstiger, der Wasser aus einer springenden Quelle  entgegennimmt. Wie fühlt es sich an, wenn wir die Hände – immer noch nach oben geöffnet – weiter auseinander nehmen? Auch das ist eine empfangende Haltung. Allein dieser Schritt, dass ich meine Hände nicht mehr nur falte, sondern bei allen möglichen Gelegenheiten offen nach oben halte (etwa beim Segen im Gottesdienst), hat mein Gebetsleben revolutioniert!

Das Kreuz malen

Oder wir können uns auch bekreuzigen. Mit den Fingern unserer rechten Hand berühren wir der Reihe nach unsere Stirn, Brust, linke und rechte Schulter. Den Text «Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, Amen» lassen wir dabei, wie gesagt, gerne mal weg. Wir spüren uns nur in die Geste hinein: Wir sollen Gott lieben mit unserem Verstand (Stirn), mit unserem Herzen (Brust), mit unserem Wollen und Handeln (linke und rechte Schulter).

Beten mit den Armen

Schliesslich sind da unsere Arme. Was machen wir eigentlich mit denen, während wir beten? In vielen Religionen – und übrigens auch in der Bibel – beten die Menschen in aller Regel mit erhobenen Armen. Probieren wir es einmal aus: Halten wir – die Hände dabei nach oben geöffnet – die Arme zunächst auf Hüfthöhe. Führen wir sie langsam zusammen, dann wieder auseinander und spüren uns in diese Geste hinein.

Dann heben wir die Arme auf Herzhöhe, führen die Hände wieder langsam  zusammen und auseinander. Dann das Gleiche auf Schulterhöhe, und am Schluss  strecken wir unsere Arme nach oben zum Himmel, als wollten wir den Segen behutsam entgegennehmen, der uns von dort entgegenkommt. Schliesslich kreuzen wir die Arme vor der Brust, wie eine Mutter, die ihr Kind an ihr Herz drückt. Das ist
eine sehr zärtliche Gebärde, die Geborgenheit und Frieden vermittelt.

Am Ende der Übung, das heisst, nachdem wir einmal das komplette Programm absolviert haben, fordert uns der Anleiter auf, jeweils «unsere» Geste zu suchen, die Gebetsgebärde, die unsere gegenwärtige innere Verfassung am besten zum Ausdruck bringt. Das finde ich sehr schön. Verstohlen blinzele ich in die Runde. Jeder steht irgendwie anders da. Die einen haben die Hände erhoben, die andere zur Schale gefaltet, wieder andere die Arme vor der Brust gekreuzt. Alle sind wir innerlich an einem anderen Punkt. Nur das eine eint uns: Wir stehen vor Gott. Sind dabei ganz bei uns selbst. Das ist ausgesprochen schön. Und geht bei alledem ziemlich tief.

Aus dem Buch «Beten – ein Selbstversuch» von Klaus Douglass.

Buch bestellen:
Klaus Douglass: Beten - ein Selbstversuch



Autor: Miriam Hinrichs
Quelle: Buch «Beten – ein Selbstversuch»

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