Beziehung
Braucht ein gläubiger Mensch weniger Sex?
Freude am geliebten Partner, an prickelnder Erotik, an Sinnlichkeit und Leiblichkeit, am sich Fallenlassen und Hingeben: Viele Menschen verbinden genau das mit der Vorstellung einer erfüllten Sexualität.
Doch nicht immer erleben wir Sex problemlos. Was so schön sein könnte, belastet und überfordert auch. Gerade Ehepaare stehen oft vor einer Zerreissprobe. Viele leiden an ihrem «Intimleben», gehen verbittert und lieblos miteinander um.
Frust ohne Ende?
«Ich gehe kaputt in unserer Ehe! Meine Frau will einfach nicht mehr ins Bett mit mir.» - «Er will immer nur das eine. Ich fühle mich missbraucht von ihm!» - «Da steckt so viel Sehnsucht in mir und ich erhalte kein bisschen Rückmeldung.» - «Wir würden so gerne, aber es klappt einfach nicht. Ich verkrampfe, obwohl ich das gar nicht will.»
So oder ähnlich höre ich es in der Eheberatung immer wieder. Als hätte Gott uns mit der Sexualität vor allem eine Last mit auf den Weg gegeben! Woher kommen unsere Schwierigkeiten mit dem Sex?
Grenzen der Lust
In unserer Gesellschaft ist sexuelles Vergnügen relativ unkompliziert zu haben. In Sprache und Bild, Mode, Kunst, Werbung, Fernsehen und Literatur: Überall ist Sex eine gutgehende Ware. Sex wird zur Erlebnisoption, dient der Unterhaltung, ist ein Spass, den man sich gönnt.
Je exotischer das Geschehen, desto höher das Interesse: Menschen werden zu Erregungssammlern, ständig auf der Suche nach dem nächsten Kick. Unvermittelt verliert die Sexualität dabei den Charakter des Besonderen, des genial Schönen.
Viele übersehen, dass es biologische und physische Grenzen der Lust gibt. Wir sind inzwischen sexuell so abgefüllt, dass wir schon wieder lustlos werden. Die ständige Stillung des kleinen Hungers zwischendurch verhindert das genussvolle Menü.
Kultivierter Sex
Doch es wäre verkürzt, die Last mit der Lust einfach auf die «Sexualisierung der Zeit», auf Reizüberflutung oder Pornografie zu schieben. Die Sehnsucht nach Sex ist eine in uns allen angelegte Kraft, die ihre eigene Dynamik entwickelt.
Jeder Mensch hat erotisch-sexuelle Bedürfnisse, die befriedigt werden wollen. Zu allen Zeiten mussten Menschen daher lernen, ihre Sexualität verantwortlich zu gestalten und mit sexuellen Empfindungen und Wünschen «kultiviert» umzugehen.
Keine leichte Aufgabe! Denn Verzichten und Warten können gehörten noch nie zu den leichtesten Tugenden.
Schmerzhafter Verzicht
Biblische Lebensregeln wollen helfen, nach Gottes Massstäben zu leben, nehmen aber die Last mit der Lust nicht einfach weg. Gerade christliche Singles erleben dies in besonderer Weise:
Da die eigene Sexualität und sexuelle Zuwendung ausserhalb der Ehe nur eingeschränkt erfahren und ausgelebt werden können, wird der unfreiwillige Verzicht darauf von vielen als schmerzhaft und leidvoll erlebt.
Andere Christen verzweifeln an eigenen Abhängigkeiten und zwanghaft ausgelebter Sexualität - trotz Ehe. Dahinter stehen oft tiefsitzende Verletzungen, unerfüllte Sehnsüchte und legitime, aber nicht erfüllte Bedürfnisse.
Lust und Last
All dies macht deutlich: Lust und Last gehören in der Sexualität untrennbar zusammen. Sie sind wie zwei Pole, zwischen denen sich Energie entfaltet. Stellen wir uns also der Last, damit wir die Lust geniessen können!
Fehleinschätzungen
«Mir kann es nur gut gehen, wenn mein Sexualtrieb befriedigt wird»
Eine klare Fehleinschätzung! Die in den Medien transportierten Aussagen zu «gutem Sex», Orgasmusfähigkeit und der Intensität des sexuellen Erlebens führen oft zu utopisch hohen Erwartungen. Hier werden Traumwelten erzeugt, denen die Wirklichkeit nicht standhält.
«Wenn es im Bett klappt, lösen sich alle anderen Probleme von selbst»
Sex als «Frustschutzmittel» löst keine anders gelagerten Konflikte, zum Beispiel auf beruflicher Ebene! Und sexueller Spannungsabbau garantiert noch keine spannungsfreie Beziehung.
Sex kann zwar ein letztes funktionierendes Element in einer Beziehung sein, ist dann jedoch ein Indikator für vorhandene Spannungen an anderer Stelle. Sexuelle Probleme sind in einer Ehe meistens Beziehungsprobleme.
«Mein Partner hat die gleichen Sehnsüchte wie ich!»
In vielen Ehen werden die unterschiedlichen sexuellen Bedürfnisse des Partners nicht ernst genommen. Ebenso wird die Unterschiedlichkeit im Verlauf und dem Erleben des Geschlechtsverkehrs nicht bedacht.
Sexuelle Befriedigung und Orgasmus sind nicht immer dasselbe: Der Weg zum Höhepunkt kann genussvoller sein als der Orgasmus selbst.
«Mein Partner weiss, was ich will»
Schön, wenn er es weiss. Aber weiss er/sie es wirklich? Vorsicht davor, die eigenen Vorstellungen in die Gedanken des anderen hineinzudenken! Wir überhöhen sehr schnell eigene Erwartungen und programmieren damit Frust.
«Ein gläubiger Mensch braucht nicht so viel Sex!»
Kann sein, dass er mit der Last besser umgehen kann. Aber das sexuelle Bedürfnis hat nichts mit Gläubigkeit zu tun. Auch Christen sind sexuelle Wesen mit natürlichen Wünschen und Bedürfnissen. Vorsicht vor falscher Vergeistlichung des Themas!
Hilfreiche Regeln!
1. Achten Sie sich in Ihrer Unterschiedlichkeit!
Sagen Sie grundsätzlich Ja zum Partner. Zu seiner Persönlichkeit, seiner Andersartigkeit, seinen unterschiedlichen sexuellen Bedürfnissen.
Diese Haltung ist Grundvoraussetzung für erfüllenden Sex. Sie bringt ausserdem Lockerheit und entlastet.
2. Werden Sie sich Ihrer wahren Sehnsüchte bewusst!
Fragen Sie sich: «Nach was sehne ich mich, wenn ich mit meinem Partner schlafen will? Welche Leere soll gefüllt werden? Bin ich nur bei meinen Bedürfnissen oder sehe ich auch den anderen?» Hier läuft oft vieles durcheinander und zurück bleibt ein Gefühlschaos. Wichtig ist, mit unseren Bedürfnissen in «Fühlung» zu sein. Und bitte keine gegenseitige moralische Bewertung dieser Bedürfnisse!
3. Bleiben Sie im Gespräch und äussern Sie Ihre Wünsche!
Sex ist immer nur Teilbereich des Miteinanders. Dazu gehört auch der Gedanken- und Herzensaustausch. Die ganzheitliche Arbeit an der Beziehung ist Grundvoraussetzung für hingebungsvollen Sex. Manches Paar sollte deshalb vielleicht ein Kommunikationstraining besuchen.
4. Achten Sie auf die richtige Zeit!
Genug Zeit haben und auf den richtigen Zeitpunkt, zum Beispiel den Zyklus, achten ist wichtig. Finden Sie das individuell heraus. Rücksicht in diesem Punkt gehört zur gegenseitigen Achtung.
5. Finden Sie Ihren eigenen Weg!
Jedes Paar trägt für seinen eigenen Weg die Verantwortung. Ein gutes Buch kann helfen Lust und Frust im Intimleben miteinander anzusprechen.
Lustvolle Erfahrung
Sollten Sie mit Ihrem Sexualleben nicht klarkommen, gibt es Menschen, die Sie um Rat fragen können. Mit denen Sie Ihre Situation vertraulich und kompetent angeleitet besprechen können. Manche Last lässt sich teilen. Viele Probleme lassen sich klären.
Und wo die Freude am Sex verloren gegangen ist, kann sie auch wieder gewonnen werden. Damit Sexualität wieder zu dem wird, als was sie gedacht ist: Ein genial schönes Geschenk Gottes an unser Leben und eine lustvolle Erfahrung.
Buch zum Thema:
Kevin Leman: Licht an, Socken aus!
Autor: Bernhard Kuhl
Quelle: Chrischona Magazin