Neuer brasilianischer Präsident
Gebetserhörung oder Gewaltherrscher?
Am 7. und 28. Oktober fanden in Brasilien Präsidentschaftswahlen statt. Sieger ist Jair Bolsonaro. Im eigenen Land, aber auch international, wird dies sehr unterschiedlich bewertet: Die einen sehen ihn als christliche Alternative zu seinem Vorgänger, die anderen fürchten einen Rechtsruck im Land und eine weitere Militarisierung des Landes.
Der 63-jährige Bolsonaro hat italienische Vorfahren. Er besuchte die Militärakademie und war als Fallschirmspringer in der brasilianischen Armee. Seine politische Karriere begann er 1988 im Stadtrat von Rio de Janeiro. Seitdem war er Mitglied zahlreicher Parteien und bekleidete mehrere Ämter. Bei der brasilianischen Präsidentschaftswahl 2018 trat als Kandidat der PSL (einer rechtskonservativen, wirtschaftsliberalen Partei) an und erzielte im zweiten Wahlgang mit 55,1 Prozent der Stimmen die absolute Mehrheit. Bolsonaro wird sein Amt im Januar 2019 antreten.Eine desolate Situation
In jedem Fall tritt Bolsonaro ein schweres Amt an. Wenn das Land nicht gerade Karneval, eine Fussball-WM oder eine Olympiade feiert, befindet es sich wirtschaftlich fast im freien Fall. Brasilien ist bevölkerungs- und flächenmässig der fünftgrösste Staat der Erde, doch das Land ist tief gespalten. Neben wenigen Superreichen wächst die Armut im übrigen Volk. Korruption hat das Land im Griff – gegen die Hälfte aller Parlamentarier laufen deswegen Ermittlungen.
Und die Gewalt nimmt immer weiter zu: Momentan sterben mehr als 60'000 Menschen jährlich einen gewaltsamen Tod. Die Polizei bekommt Drogenhandel und Bandenkriminalität nicht in den Griff. All dies bildet die Basis für die Entscheidung der Brasilianer für ihren neuen Präsidenten: Sie fühlen sich verraten, sind leere Versprechungen müde und wollen endlich eine Veränderung. Doch was will der neue Präsident erreichen?
Polarisierende Positionen
Jair Bolsonaro ist für viele Brasilianer ein Hoffnungsträger – gerade für evangelikale Christen. So unterstreicht das evangelische Nachrichtenmagazin Idea, dass seine Frau einer Pfingskirche angehöre und er selbst – als Katholik – sich habe taufen lassen. Ausserdem sei er ein ausgesprochener Gegner gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften bzw. Eheschliessungen. Die seit fast 30 Jahren mit ihrem Ehemann in Brasilien tätige Missionarin Gabriela Fuchs sprach gegenüber Idea von einer «positiven Grundstimmung» und unterstrich die Hoffnung, dass Bolsonaro die schlechte wirtschaftliche Lage stabilisieren könne.
Demgegenüber haben andere grosse Bedenken. Im Wahlkampf hatte der oft als «Donald Trump Brasiliens» bezeichnete Politiker die Militärdiktatur der Vergangenheit verklärt und auch für die Zukunft als Modell vorgeschlagen. Alexandra Endres listet in der ZEIT weiterhin auf, dass er pro Todesstrafe sei, dass «nur ein Polizist, der einen Kriminellen töte, … ein guter Polizist [sei]» und er «nie dagewesene Säuberungen» ankündigte, «um seine Gegner aus dem Land zu vertreiben». Der Hauptgeschäftsführer des katholischen Hilfswerkes Misereor, Pirmin Spiegel, nannte Bolsonaro laut Idea einen «ultrarechten Politiker» und bezeichnete seinen Rassismus gegenüber «traditionellen Völkern» als sehr beunruhigend.
Zweimal «Mission Gottes»
Erschwert wird die Beurteilung Bolsonaros dadurch, dass beide Seiten ihre Meinung durch die Bibel bzw. den christlichen Glauben legitimiert sehen. «Ganz sicher ist dies eine Mission Gottes. Wir sind bereit, sie zu erfüllen», verkündete der Politiker nach seiner Wahl. Er werde auf Basis der Bibel und der Verfassung regieren. Das hielt ihn jedoch nicht davon ab, «Indigene, Afrobrasilianer und sexuelle Minderheiten» zu verunglimpfen. «Manche Aktivisten und Künstler fürchten jetzt um ihr Leben» (ZEIT).
Während des hitzigen Wahlkampfs wurde Bolsonaro von einem Attentäter mit dem Messer schwer verletzt. Auch dieser dachte, im Auftrag Gottes zu handeln. Die Zusammenschau dieser absurden Gewalttaten und -androhungen aus beiden politischen Lagern erinnern an das Segnen von Kanonen im Krieg – auf beiden Seiten der Front.
Klar scheint bis jetzt, dass hier ein Präsident an die Macht gekommen ist, der Sicherheit und Kontrolle gross schreibt. Der Demokratie durchaus anders versteht als Menschen in Europa. Dessen Amtsantritt von vielen Hoffnungen und Ängsten begleitet wird. Und dessen Befürworter und Gegner sich beide auf Gottes Seite sehen – bis hin zum Einsatz von Gewalt. Doch gerade hier sollte deutlich werden, dass biblische Überzeugung – vor welcher politischen Ausrichtung auch immer – Segen und Frieden sucht und nie die Gewalt.
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Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet / Idea / DIE ZEIT