Influencerin Merle Schoon
Schönheitsideale: «Du bist nicht dein Körper»
Der Schlüssel zu einem gesunden Selbstwert ist es, sich weniger mit seinem Körper und mehr mit seiner Seele zu beschäftigen, findet Merle Schoon. Die Christin und Influencerin machte selbst schlimme Erfahrungen mit Schönheitsidealen.
Wie bist du «Influencerin» bei Instagram geworden?
Merle Schoon: Ich habe vor zehn Jahren angefangen, Fitnessbilder zu
teilen. Ich hatte damals angefangen mit dem Fitnesssport, habe
Fitness-Accounts gefolgt. Die haben alle ihr Essen und Training gezeigt.
Das wollte ich auch. Dann habe ich irgendwann angefangen, auch meinen
Glauben zu teilen. Immer mehr Leute fanden das interessant. Irgendwann hat man mich dann als Influencerin betitelt. Ab 2015 habe
ich mir mehr Gedanken darüber gemacht, was ich poste. Dann kam auch der
Schritt, wo ich anfing, direkt in die Kamera zu sprechen und Stories
aufzunehmen.
Was hast du für Erfahrungen mit dem Thema «Körperdruck» gemacht?
Früher habe ich nur Fitnessinhalte konsumiert. Ich hatte das Gefühl:
Die anderen machen den gleichen Sport wie ich, sehen aber schöner aus.
Ich habe mir nur das angeschaut, was ich nicht bin. Ich habe damals
nicht reflektiert, dass ich etwas anschaue, das völlig ausserhalb der
Realität liegt. Ich dachte, die Menschen sind so und alle in der
Fitnessszene haben einen flachen Bauch. Es war ein grosser Druck, diesem
Ideal hinterherzulaufen.
Ich war später wegen meiner Essstörung in Therapie. Mein Therapeut und ich haben uns Bilder von Bäuchen angeguckt und ich war schockiert davon. Ich dachte, bei einem normalen Bauch sieht man immer ein Sixpack. Ich habe nicht verstanden, dass das nicht so ist. Auf einer Fitnessmesse habe ich Sportler gesehen, die sahen gar nicht so aus wie im Internet. Da fiel ein grosser Druck von mir ab. Ich war da Anfang zwanzig und hab mich trotzdem wie ein kleines Kind gefühlt, dem die Augen geöffnet werden.
Du hattest eine Essstörung und ein Burnout. Waren Social Media auch ein Auslöser für die Erkrankung?
Sie haben einen grossen Teil dazu beigetragen. Ich wollte immer ein
Leben zeigen, das es wert ist, angesehen zu werden. Alle Influencer
haben diesen Druck. Das ist verrückt. Wir wollen auf Social Media nicht
Unschönes sehen wie ein unaufgeräumtes Badezimmer. Man will sehen, was
schön ist, was einen inspiriert. Inspiration ist aber immer etwas, was
weit entfernt ist.
Was ist heute anders?
Heute fühle ich mich sehr frei und teile auch Fotos, auf denen ich
nicht schön aussehe. Noch vor fünf Jahren habe ich die krassesten Filter
verwendet, um nicht verurteilt zu werden. Habe vor dem Spiegel posiert.
Ich wusste, dass ich dafür Komplimente bekomme und dass die Menschen es
sehenswert finden.
Irgendwann habe ich gemerkt: Das bin ich nicht. Wenn die Kamera aus war, war ich ganz anders. Und trotzdem haben die Menschen bei Social Media mir gesagt: «Du bist so authentisch.» Heute weiss ich: Das können andere Menschen gar nicht beurteilen. Heute suche ich mir auch aus, was ich zeige. Aber ich habe nicht mehr den Druck, schön und makellos zu sein.
Wie geht es dir, wenn du die Posts anderer Influencer ansiehst?
Ich kenne die Tricks, die Filter und weiss genau, was die anderen
Menschen da tun. Und trotzdem merke ich als Konsumentin, wie es mich
beeinflusst. Ich gucke mir makellose Körper mit Sixpack an und merke,
wie ich wieder in diese Spirale komme, dass ich auch so aussehen will.
Und dann denke ich, dass es so viele Jugendliche gibt, die im Gegensatz
zu mir nicht wissen, was dahintersteckt.
Wie reagieren deine Follower auf deine Ehrlichkeit?
Das Feedback von Frauen ist immer positiv. Sie bedanken sich, dass
ich das teile, und sagen, dass sie erleichtert sind. Aber unter allen
Posts, in denen Frauen ihre Falten oder ihre Cellulite zeigen, gibt es
immer Männer, die schreiben: «Das sieht ja entsetzlich aus.» Oder: «Damit habe ich nicht gerechnet.» Das macht es Frauen noch schwerer.
Männer wissen teilweise gar nicht, wie Frauen richtig aussehen, weil sie
ja auch diese Inhalte konsumieren. So geht die Spirale immer weiter:
Frauen haben das Gefühl, das Ideal nicht zu erreichen. Männer haben aber
die Erwartung an Frauen, so auszusehen.
Auf deinem Kanal findet man Fotos aus dem Fitnessstudio und
du wirbst auch für das eine oder andere Produkt. Andererseits sprichst
du ganz offen von deinem Leben als Christin und zeigst, dass nicht alles
perfekt ist. Was ist dir auf deinem Kanal wichtig?
Ich bin Merle, die ihr ganzes Leben zeigt. Ich bin nicht Bibel-Merle,
oder Christfluencerin Merle. Ich halte nicht jeden Morgen meine Bibel
in die Kamera. Ich zeige intuitiv das, was mich bewegt. Ich poste auch
ästhetische Inhalte, weil ich die selbst auch gerne anschaue. Ein
schöner Feed lädt dazu ein, die Person näher kennenzulernen. Ich
retuschiere meinen Körper nicht.
In der Story achte ich nicht unbedingt auf Ästhetik, da bin ich «die Merle dahinter». Ich teile auch die Thematik mit der Essstörung und dem Burnout. Ich glaube, ich habe von Gott das Talent geschenkt bekommen, mein Herz auf der Zunge zu tragen. Dass ich Gedanken gut in Worte fassen kann und es anderen eine Stimme gibt. Auch wenn ich in meinem Feed Filter benutze, ist das, was ich sage und denke, immer ungefiltert.
Tatsächlich mache ich total ungern Bilder von mir selbst. Das fällt mir wirklich schwer. Ich finde, ich grinse immer blöd und sehe immer gleich aus. Neulich habe ich den ganzen Prozess dahinter mal geteilt: dass ich keine Lust habe, ein Bild zu machen, aber für meinen Feed eines brauche. Dass es schön aussehen muss, dass ich aber bis eben noch einen Schlafanzug anhatte, dass die Strumpfhose riss und ich mit den neuen Schuhen in Hundekot getreten bin. Dass es am Ende nur zwei Bilder gab, die gut aussahen. Das Feedback war cool: Die Leute haben gemerkt, wieviel Aufwand das ist und wie wenig ehrlich das Bild an sich eigentlich ist. Das hat mir gezeigt, dass ich die Leute mehr in den Prozess mit reinnehmen muss. Man teilt sonst immer nur das fertige Ergebnis. Deshalb habe ich mich auch vor einem halben Jahr dazu entschieden, das Thema rund um mein Burnout und die Essstörung öffentlich zu machen. Ich will den Menschen dort begegnen, wo sie gerade sind.
Bekommst du Kritik von Nutzern, die einen Widerspruch zwischen den Fitnessinhalten und dem Christlichen sehen, was du teilst?
Wenn ich für etwas kritisiert werde, dann immer für die
Fitness-Inhalte. Das Traurige ist: Es sind immer Leute, die neben mir in
der Gemeinde sitzen und nett grüssen, aber hinter meinem Rücken sagen: «Du darfst keine Leggings beim Sport tragen.» Ich habe mich darin lange
gefangen gefühlt und viel darüber gebetet. Aber Fitness gehört zu mir.
In der «Welt» ist es total cool, als jemand wahrgenommen zu werden, der
im Fitnessstudio die Gewichte hebt und gleichzeitig Pastorin oder
Theologiestudentin ist.
Hat Fitness für dich auch etwas mit dem Glauben zu tun?
Mein Körper ist ein Tempel und ich möchte, dass ich auch noch mit 80
Jahren eine coole Oma bin, die ihre Enkel hochheben kann. Ich möchte
einfach gesund sein. Wenn Jesus in mir wohnt, soll er sich wohlfühlen.
So lange ich coole Gespräche mit Leuten habe, die nichts mit Jesus zu
tun haben und mehr darüber wissen wollen, ist es okay, dass ich in den
eigenen Reihen kritisiert werde. Ich bin nur Gott Rechenschaft schuldig.
Ich prüfe immer meine Motive, aber wie es ankommt, kann ich nicht
beeinflussen.
Was hältst du von der Body-Positivity-Bewegung auf Instagram,
die ja ein Gegenpol zu den perfektionierten Darstellungen sein will?
Erst habe ich «Juchhu» geschrien. Mittlerweile hat das aber ein
ziemliches Ausmass angenommen. Es nimmt zwar viel Druck raus. Aber
trotzdem geht es darum: Du bist dein Körper. Man macht fast eine
Ersatzreligion daraus, dass man seinen Körper annimmt und schön findet.
Viele glauben dann, sie sind falsch, wenn sie das nicht lieben können.
Beim Thema Selbstwert ändert die Bewegung nichts. Wir müssen davon wegkommen, dass der Körper so einen hohen
Stellenwert hat. Ich bin die letzte, die sagt, dass der Körper nicht
wichtig ist. Auch als Christin sage ich: Kümmere dich um deinen Körper,
ernähre dich weitestgehend gesund, bewege dich. Aber dein Selbstwert
wird nicht über deinen Körper definiert. Du bist nicht dein Körper.
Das heisst, man muss nicht alles schön finden an sich?
Wenn wir uns selbst annehmen wollen, ist der Schlüssel, dass wir uns
weniger mit unserem Körper beschäftigen und mehr mit unserem Herz und
unserer Seele. Ich habe an meinen Beinen ein Lipödem, eine
Fettverteilungsstörung. Das muss ich nicht schön finden und auch nicht
lieben. Es ist einfach okay, so bin ich geschaffen. Ich bin immer noch
von Gott geliebt.
Das Interview erschien zuerst in der Ausgabe 3/2021 des Christlichen Medienmagazins PRO.
Zur Webseite:
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Autor: Swanhild Brenneke
Quelle: PRO Medienmagazin