Christian Moser
Freiwillig ins Gefängnis
Gefängnisse und Gerichtssäle kennt Christian Moser von innen. Seit 22 Jahren kümmert er sich als freiwilliger Mitarbeiter im Justizvollzug um Häftlinge und Strafentlassene.
Freude in den eintönigen Alltag von Straftätern bringen, ist Christian Mosers Herzensanliegen. Der ehemalige Unternehmer verrät: «Ab und zu seufzt meine Frau Hildegard während unserer Gebetszeit über das alles beherrschende Thema: 'meine' Häftlinge.» Warum ihm Strafgefangene seit Jahren so am Herzen liegen, weiss Moser nicht einmal selbst. Vor rund 30 Jahren kontaktierte er die Gefährdetenhilfe Scheideweg in Deutschland und gründete das schweizerische Pendant, das in diesem Jahr sein 25-Jahre-Jubiläum feiert. Seither hat der 81-Jährige viele Gefängnisse von innen gesehen: Pfäffikon, Winterthur, Lenzburg, Schaffhausen, Frauenfeld, Regensdorf und das neuste in Cazis. Er kennt unzählige Aufseher und Gefängnisleiter persönlich.
Aber im Zentrum stehen für ihn die Häftlinge. Jeder dieser Männer hat Anrecht auf Besuch, eine Stunde pro Woche. Bei manchen ist der Kontakt zur Familie abgebrochen oder die Familie lebt im Ausland, dann springen Freiwillige ein. Einer davon ist Christian Moser. Seit 22 Jahren besucht er 14-täglich seine Klienten – in «Spitzenzeiten» waren es neun – für jeweils eine Stunde. Untersuchungshäftlinge begleitet er auf Wunsch an die Gerichtsverhandlung. Vor dem ersten Besuch erhält er ein Blatt mit den wichtigsten Angaben zum Inhaftierten: Vorname, Name, Zivilstand, Geburtsdatum. Auch über das Delikt und die Länge der Strafe weiss er Bescheid. «Bei der ersten Begegnung erzähle ich mindestens so viel von mir, wie ich von meinem Gegenüber weiss», berichtet Moser. Mit den meisten sei er sofort per Du.
«Wir haben die Wahl»
Die weiteren Gesprächsthemen bestimmen grösstenteils die Häftlinge selber. Manche wollen wissen, was in der Welt da draussen läuft. Andere lassen sich erklären, was unter gutem Verhalten zu verstehen sei, damit ihre Haft verkürzt wird. Und an manchen Tagen steht ein aktueller Konflikt mit einem Mitgefangenen oder Vorgesetzten aus der Werkstatt im Vordergrund.
Ab und zu wählt Moser das Gesprächsthema selber aus, am Gründonnerstag zum Beispiel. Der Mann, den er besuchte, hat mit dem «Gott da oben» nur wenig am Hut. Er erzählte ihm, dass zwei Kriminelle neben Jesus am Kreuz hingen. «Der eine hat seine Chance genutzt, der andere nicht. Wir haben die Wahl.» Das ist die Botschaft, die der Senior dem Albaner überbrachte. Dass er mit Häftlingen über Gott, die Bibel und Vergebung spricht, stösst nicht auf Widerstand. Auch nicht bei den Verantwortlichen des Vereins team72, die für die Koordination und fachliche Begleitung (Supervision) der Freiwilligeneinsätze im Zürcher Justizvollzug verantwortlich sind.
Im Lockdown Briefe geschrieben
Die Pandemie hat den Besuchsdienst verändert. Während des Lockdowns waren auch für Moser die Gefängnistüren geschlossen. «Ich habe stattdessen rund 100 Briefe geschrieben,» berichtet er. Nun seien Besuche wieder möglich, mit Masken zwar und ohne Umarmung.
«Das schlägt auf die Moral der Inhaftierten.» Christian Moser hat so viele Straftäter besucht wie wohl kaum ein anderer Freiwilliger. Nun will der Vater von sechs erwachsenen Kindern und Grossvater von 13 Enkeln diese Aufgabe langsam abgeben. Strafgefangene werden aber bis an sein Lebensende einen Platz in seinem Herzen und seinen Gebeten einnehmen – damit wird sich «seine Hildegard» vermutlich arrangieren.
Dieser Artikel erschien zuerst im Magazin IDEA Schweiz.
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Autor: Helena Gysin
Quelle: IDEA Schweiz