„Winnetou ist mein Schicksal“

Ein Mann, seine Rolle und seine Überzeugung. Filmstar Pierre Brice im Gespräch.

Pierre Brice ist Winnetou, Winnetou ist Pierre Brice. Das Leben des französischen Schauspielers ist seit 43 Jahren von der Rolle des Apachenhäuptlings geprägt. Pierre Brice wurde damit zu einem Idol von Generationen. Angeblich, so eine Umfrage, kennen ihn 83 Prozent aller Deutschen. Seine ungebrochene Popularität nutzt der 76-Jährige heute für humanitäre Projekte. Wie kaum ein anderer Schauspieler steht er für ethische Werte, Toleranz und Respekt ein. Überzeugungen, die Brice in seinem Leben und durch den Glauben sammelte.

Herr Brice, mit Winnetou wurden Sie zum Star. Was verbindet Sie heute noch mit der Figur?
Pierre Brice: Winnetou war nicht bloß eine Rolle, er ist eine Philosophie. Diese Indianerfigur, die Karl May geschaffen hat, kämpft für besondere Werte: Friede, Freiheit, Menschenrechte, Toleranz, Nächstenliebe. – Winnetou hat für alle guten Werte gekämpft, die es gibt. Und auch ich habe mich mein Leben lang für diese Werte eingesetzt. Deswegen ist meine Persönlichkeit dem Charakter dieser Figur sehr ähnlich.

Hat Sie das manchmal gestört, dass stärker Ihre Rolle als die Person Pierre Brice wahrgenommen wurde?
Ja, aber das habe ich akzeptiert. Denn Winnetou habe ich viel zu verdanken. Durch ihn erlebte ich eine überwältigende Popularität, ein tiefes Vertrauen in meine Person und darf bis heute ein herzensgutes Publikum erleben, das mir seid 43 Jahren treu ist. Aber hinter all diesen Vorzügen stecken auch Nachteile. Nämlich, dass Produzenten wie auch Zuschauer Pierre Brice auf Winnetou reduzieren und in ihm selten eine andere Persönlichkeit sehen.

Das klingt so, als fühlte sich ein Teil von Pierre Brice vergessen?
Vielleicht – denn ich erwarte noch andere Rollen, zum Beispiel komische. Verschiedene Rollen zu spielen, ist der Wunsch eines jeden Schauspielers. Zwar habe ich schon viele unterschiedliche Charaktere gespielt, doch es wäre schön, wenn ein Produzent noch mal sagen würde: Pierre Brice ist nicht nur Winnetou, sondern auch ein ausgezeichneter Komiker.

Aus Ihrer Erfahrung heraus: Ist es die Rolle, die einen Schauspieler zum Star macht oder eher der Mensch dahinter?
Das Ganze, Rolle und Charakter, ist ein Ensemble – ein Zusammenspiel. Selbstverständlich spielt die Rolle, die ein Schauspieler verkörpert, im wahrsten Sinne des Wortes eine entscheidende Rolle. Und in Bezug auf meine Darstellung als Winnetou habe ich einmal gelesen, ich hätte Winnetou nicht nur ein Gesicht gegeben, sondern auch eine Seele. Vielleicht beantwortet das ein wenig Ihre Frage.

Also ist es der Mensch dahinter.
Ich glaube schon. Andererseits ist die Schauspielerei nie ganz unbeteiligt. Es kommt immer auch darauf an, wie Schauspieler und Publikum miteinander umgehen. Als jemand, der seine Rolle akzeptiert hat, bin ich in den 60er-Jahren sehr offen auf die Menschen zugegangen.

Diesen Jahren entsprang auch eine Reihe weiterer Stars, wie es sie heute kaum noch gibt: Brigitte Bardot, Marlon Brando, Sophia Loren. Was fehlt den so genannten „Stars“ von heute?
Das Mysterium. Heutzutage weiß man fast alles über die Prominenten. Sie gestalten ihr Leben nicht mehr als etwas Geheimnisvolles. Jeder Fernsehzuschauer weiß, welcher Prominente mit wem die Nacht verbracht hat und was er regelmäßig zum Frühstück trinkt. Damals war das anders – Stars hatten etwas Mysteriöses an sich. Ein klassisches Beispiel für solch eine Persönlichkeit, die ein Leben lang dieses Rätselhafte aufrechterhalten hat, ist Marlene Dietrich.

Gibt es ein Erlebnis, dass Sie persönlich besonders stark geprägt hat?
Das war 1995 der „Pierre Brice Hilfskonvoi“ nach Bosnien. Im Vorfeld hatte ich damals mit der Hilfe von einigen Freunden zwei Millionen D-Mark gesammelt. Von diesem Geld haben wir acht 35-Tonner mit Lebensmitteln und Medikamenten beladen und sind ohne irgendein Geleit in schwer umkämpftes Kriegsgebiet von Bosnien gefahren. Unser Ziel waren nicht die Depots der Hilfsorganisationen, sondern ausgemergelte Flüchtlinge und einfache Leute. Dieser Einsatz war sehr gefährlich. Es herrschte gerade die Zeit der großen Offensive der Bosnier gegen die Serben. Einige Male gerieten wir unter Beschuss. Aber wir haben unser Ziel erreicht. Diese zwei Wochen waren ein außerordentliches Erlebnis für mich. Ich bin sehr stolz darauf.

Nicht jeder Star setzt sich so engagiert für einen guten Zweck ein.
Ich denke, dass jeder, der einen Ruf hat, der eine Bekanntheit besitzt, diese nutzen sollte, um Not leidenden Menschen zu helfen. Ich habe damals mein Leben riskiert, um Kindern und Erwachsenen in Bosnien direkte Hilfe zu bringen. Und ich kann heute nur sagen: Selten war ich so glücklich wie während dieser humanitären Aktion.

Das war nicht das erste Mal, dass Ihr Leben bedroht war. Bevor Sie Schauspieler wurden, kämpften Sie vier Jahre als Soldat in Indochina. Welcher der beiden Lebensabschnitte hat für Sie rückblickend mehr Gewicht?
Meine Zeit beim Militär und der Kampf gegen den Kommunismus in Indochina haben mich stark beeinflusst. Denn Momente, in denen man sein Leben riskiert, sind sehr prägnant und bleiben für immer in Erinnerung. Ich bin ich etliche Male mit dem Leben davongekommen. Oft habe ich, wenn ich in Gefahr war, gebetet. Letzten Endes durfte ich wohlbehalten nach Frankreich zurückkehren, dafür bin ich sehr dankbar.

Inwieweit spielt der Glaube eine Rolle in Ihrem Leben?
Ich glaube an Jesus Christus. Er ist für mich Gott und war ein Mensch. Wir wissen heute alle, dass Jesus gelebt hat. In Bezug auf Gott weiß ich es jedoch nicht. Ich hoffe, dass er existiert. Aber für mich persönlich ist Jesus wichtig: Er hat uns Menschen den Weg gezeigt. Und ich habe immer versucht, diesem Weg zu folgen. Bis heute. Angefangen hat das als ich 15 war. Ich steckte damals in Lebensgefahr, mitten in einem Schiffbruch, und habe gebetet: „Bitte Gott, lieber Jesus, wenn du existierst, wenn du mich rettest, verspreche ich, dass ich mein Leben lang jeden Tag mit dir reden werde.“ Und ich bete – bis heute – jeden Abend. Oft bete ich auch tagsüber und sage zwischendurch einfach Dankeschön.

Wie erklären Sie sich Gott?
Gott ist für mich ein Bewusstsein. Mit dem Bewusstsein kann ein Mensch in seinem Leben schöne oder furchtbare Sachen anrichten. Es kommt daher auf die Orientierung an. Um mein Bewusstsein auszurichten, muss ich ein Gesicht vor mir haben – und das ist für mich Jesus. Er existiert und er hat gesagt, er ist der Sohn Gottes. Außerdem hat er uns geboten: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Ich persönlich glaube an diese Liebe zum Gegenüber. Nur so können Menschen gemeinsam in Ruhe und Frieden miteinander leben. André Malraux, ein großer französischer Politiker unter de Gaulle, hat einmal gesagt: „Das 21. Jahrhundert wird spirituell. Wenn nicht, werden wir sterben.“ Es hat schlecht angefangen, unter anderem mit den gefährlichen Theorien von einem gewissen Herrn Bush, aber es bleiben uns ja noch einige Jahre.

Die spirituelle Sehnsucht stellt man auch bei immer mehr Prominenten fest. Viele äußern sich zu ihren Glaubensansichten. Glauben Sie, das hat Auswirkungen auf die Zuschauer?
Dass sich daraus irgendein Vorteil ergeben sollte, glaube ich zunächst einmal nicht. Für mich hat das nichts mit dem Beruf zu tun. Man kann inzwischen gut über den Glauben reden, aber das persönliche Glaubensleben bleibt eine individuelle Sache. Andererseits könnte es durchaus sein, dass das Lesen eines Statements einen Einfluss auf einzelne Zuschauer haben kann. Und wenn Sie meine Meinung wissen möchten, dann kann ich nur das wiederholen, was ich vorhin bereits gesagt habe: Einfach dem Beispiel von Jesus Christus folgen! Er hat gesagt, liebe deinen Nächsten – das ist wichtig.

Interview: Stefan Rüth

ZUR PERSON

ERFOLG IM INIDANERKOSTÜM

Kaum ein anderer Filmschauspieler wurde so sehr mit seiner bekanntesten Rolle identifiziert wie Pierre Brice. Als Karl Mays Apachenhäuptling Winnetou spielte er sich in die Herzen des Publikums. Sein legendäres Debüt im Indianerkostüm „Der Schatz im Silbersee“ bescherte ihm 1962 schlagartig eine Popularität, die bis heute ungebrochen ist. Insgesamt stand Brice für elf Winnetou-Filme vor der Kamera, schrieb zwei TV-Serien und agierte 15 Jahre bei Karl-May-Festspielen auf und hinter der Bühne.

ENGAGEMENT AUS ÜBERZEUGUNG

Pierre Brice wurde 1929 als Pierre Louis le Bris in der französischen Hafenstadt Brest geboren. Als Botenjunge engagierte er sich im Widerstand gegen die deutsche Besatzung; später meldete er sich freiwillig, um im Indochinakrieg gegen den Kommunismus zu kämpfen. Für seine Überzeugungen zeigt Brice stets Flagge. So auch 1995 als er einen humanitären Hilfskonvoi in das Kriegsgebiet von Bosnien organisierte und anführte. Hilfe für Notleidende liegt dem UNICEF-Botschafter sehr am Herzen. Für besondere Leistungen in der deutsch-französischen Freundschaft und die wertevermittelnde Darstellung des Winnetou erhielt er das Bundesverdienstkreuz.

GLÜCKLICH IN FRANKREICH

2006 feiert Pierre Brice Silberhochzeit, mit seiner großen Liebe, der deutschen Hella Krekel. Sie zähmte den Junggesellen und Frauenheld im Alter von 52 Jahren. Gemeinsam leben die beiden heute in der Nähe von Paris, auf einem Landsitz mit Pferden, Hunden, Schafen und Schweinen. Hella Brice veröffentlichte vor kurzem einen Bildband („Wie ich dich sehe“, Lübbe) über Pierre, der witzige, anrührende und bisher unveröffentlichte Fotos des Stars zeigt.

Datum: 01.09.2006
Quelle: Neues Leben

Adressen

CGS ECS ICS