Interview mit Markus Spieker
Was bedeutet Jesus für dich?
Dominik Klenk spricht mit dem Journalisten und Historiker Markus Spieker über sein 1000-seitiges Werk «Jesus. Eine Weltgeschichte.» und die Bedeutung der Ostergeschichte für ihn persönlich. Pünktlich zu Ostern erschien das Hörbuch zum Bestseller.
Du hast dein 1000-seitiges Werk abgeschlossen. Das
Buch wurde ein grosser Erfolg. Wie geht es einem, wenn man mit ein
bisschen Abstand darauf zurückschaut?
Markus: Überwiegend sehr positiv. Gerade in den
aktuellen Zeiten mit viel Krise und Unsicherheit ist es immer schön,
wenn man sich an etwas festhalten kann. Da gibt es einfach nichts
Besseres als Jesus. Nachdem ich mich doch sehr intensiv mit Jesus
beschäftigt habe, ist mir die Wertigkeit von Jesus noch grösser geworden.
Deshalb fühle ich mich ganz gut! Ich bin im Nachhinein auch erstaunt,
dass ich diesen Kraftakt hinbekommen habe. Und ich bin ganz dankbar,
dass ich im Moment nicht so ein Brett vor mir habe.
Nimm uns mal ein bisschen hinein in deine Schreibwerkstatt:
Wie bist du das Projekt angegangen? Du hast ja noch einen Vollzeitjob
als Fernsehjournalist. Wie hast du dich dem Projekt genähert? Wie viele
Bücher hast du gelesen?
Über 1000 auf jeden Fall. Genau gezählt hab ich die natürlich nicht.
Da kommen dann noch Aufsätze dazu – also sehr, sehr viele Schriftstücke
über einen längeren Zeitraum. Ich hatte die Idee vor neun Jahren. Ich hatte
mein Projekt eine Zeit lang zurückgestellt, weil ich in Indien
Korrespondent war und dort wenig Zeit hatte. Aber nach der Rückkehr aus
Indien bin ich das Projekt wieder voll angegangen. Das sieht zeitlich so
aus, dass man morgens um 4 oder 5 Uhr aufsteht und versucht, drei bis vier Stunden zu schreiben. Manchmal noch ein bis zwei Stunden abends. Ich
bin dankbar für meine Frau, die das mitgemacht hat!
Vom Prozess der Recherche ist es so, wie ich sonst auch als Journalist arbeiten würde. Ich hol mir dann einfach alle Informationen zu dem Thema. Ich habe mir vorher eine Gliederung gemacht, welche Themen ich behandeln möchte. Es sind 144 Kapitel und es ist klar, dass ich dafür viele Informationen brauche. Ich habe versucht, die Bücher zu besorgen, die dazu wichtig sind. Es wurden dann natürlich immer mehr, weil in jedem Buch gibt es dann weitere Verweise auf andere Bücher und dann erscheint wieder ein neuer Artikel. Kurz vor der Abgabe habe ich noch Sachen gefunden, die eigentlich auch noch ins Buch mussten. Das Schwierige ist, dass es nicht aufhört, wenn man fertig ist. Eine Zeit lang konnte ich gar nicht mehr Bibel lesen, weil ich Angst hatte, dass ich eine Stelle finde, die unbedingt noch mit ins Buch muss. Oder man sieht: Es erscheint ein neues Buch, das einen Aspekt abdeckt, der wichtig gewesen wäre. Dann ist da die Angst, dass man vielleicht doch nicht auf dem neuesten Stand ist. Zum Glück ist da nichts Dramatisches in der Zwischenzeit passiert. Es wurden keine Knochen oder andere Fundstücke in Galiläa gefunden, die alles in ein neues Licht rücken würden. Aber insgesamt war es eine Menge Arbeit!
Du bist dein Werk einerseits als Historiker angegangen,
gleichzeitig mit einem klaren theologischen Anspruch. Und du hast die
Person Jesus mit deinem persönlichen Leben verbunden. Das ist eine
gewagte Architektur. Wie hast du geschaut, dass dieses Haus stehenbleibt
und an Form gewinnt? Konntest du dich an irgendwas orientieren oder
bist du das intuitiv angegangen?
Da war sicher viel Intuition dabei. Es ist sicher ein Vorteil, dass
ich nicht ganz jung war, als ich das Buch angefangen habe. Mit der
Recherche habe ich Anfang 40 begonnen und als ich angefangen hatte zu
schreiben, war ich schon Ende 40. Ich hatte also schon ein bisschen
Erfahrung, auch im Glauben. Ich kannte die Bibel schon ganz gut und
wusste sehr viel. Ich wusste deshalb, auf was ich mich konzentrieren
soll.
Als Christ erfährt man am Anfang sehr viel über den Glauben, aber Jesus taucht wie eine Figur in einem grossen Drama auf. Natürlich ist Jesus die wichtigste Figur, aber wenn man die Bibel liest, taucht er ja im letzten Viertel erst so richtig auf. Auch, wenn es schon vorher Prophezeiungen gibt. Mir war wichtig, den Mittelpunkt meines Glaubens nochmal richtig zu erfahren. Jeder, der mal eine Datingphase hatte, erinnert sich: Wenn man sich in eine Person verliebt, dass man dann ganz gierig ist auf alle Informationen über diese Person. Teilweise werden Nebensächlichkeiten auch ganz spannend und wichtig. Mir ging das ein bisschen so mit Jesus. Ich war jetzt nicht so drauf, dass ich gesagt habe: «So viele Jahre im Glauben, ich kenn das alles.» Ich war eher berauscht davon, dass es noch so viel Neues zu entdecken gab, mit neuen Gewichtungen auch. Das war im Prinzip das, was mich durchgetragen hat.
Viele stellen in Frage, ob es Jesus wirklich gab. Was sagst du zur Quellenlage?
Die Quellenlage ist ganz eindeutig. Dass Jesus gelebt hat und auch
den Zeitraum, in dem wir glauben, dass er gelebt und gewirkt hat,
bezweifelt heute eigentlich kein vernünftiger Mensch mehr. Dass er
wahrgenommen wurde als jemand, der Wunder tut und grosse Weisheiten
verkündet, ist heute auch zweifelsfrei. Dass er gekreuzigt wurde und
seine Jünger anschliessend davon ausgegangen sind, dass er auferstanden
ist – das ist auch Fakt. Die Geister scheiden sich eigentlich nur an der
Frage, ob all das den Anspruch Jesu und seiner Nachfolger untermauert,
dass er der fleischgewordene Gott ist. Dass der Schöpfer der Welt, an
dem aller Sinn dran hängt, in die Welt gekommen ist und uns sein Gesicht
gezeigt hat. Ich hab manchmal den Verdacht, dass selbst Christen nicht
so richtig klar geworden ist, dass sie Gott gegenüber stehen, und dass
sie in dieser finalen Offenbarung Gottes Wesen, soweit es für uns
Menschen überhaupt nachvollziehbar ist, erkennen können. Das ist es, was
an Jesus am meisten berauscht.
Ist es auch das, was dich fasziniert?
Fasziniert ist noch fast zu kurz gegriffen. Ich würde sagen «beglückt». Das Johannes-Evangelium endet mit der Begegnung von Jesus
mit Petrus, der ihn kurz vorher verraten hat. Jesus fragt Petrus: «Hast
du mich lieb?» Wir haben hier einen Gott, der unsere Liebe möchte und der
uns lieb hat. Er hat ein freundliches, gütiges Gesicht. Einer, der
Kinder mag. Einer, der sich gerne mit Frauen unterhält. Einer, der sich
an den Randgruppen der Gesellschaft aufhält. Einer, der mit Mächtigen
ganz unverkrampft redet, der sich nie verbiegen muss. Einer, der die
Wahrheit ist. Einer, der nicht taktiert, der keinerlei Brutalität in
seinem Leben hat. Zu wissen: Das ist Gott. Das macht sehr, sehr
glücklich und erledigt auch die Frage, ob man vor Gott Angst haben muss.
Zum Originalartikel von Fontis
Zum Buch:
Jesus. Eine Weltgeschichte.
Zum Thema:
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Autor: Dominik Klenk
Quelle: Fontis