Mehr als Angst vor Aliens

Michael Blumes Buch zu Verschwörungsmythen

Nicht nur in den USA kursieren Gerüchte, nach denen Bill Gates hinter der Corona-Pandemie steckt. Sein angebliches Ziel: Er will am zukünftigen Impfstoff verdienen. Internet und soziale Medien verbreiten diese und ähnliche Meldungen. Michael Blume beleuchtet den Hintergrund solcher Verschwörungsmythen. Er zeigt, woher sie kommen und wie sie funktionieren.

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Michael Blume (Bild: breitbandbuero.de)
Wenn Religionswissenschaftler Bücher schreiben, dann sind die Ergebnisse oft Hunderte von Seiten stark und ziemlich unverständlich. Muss das sein? Offensichtlich nicht. «Verschwörungsmythen. Woher sie kommen, was sie anrichten, wie wir ihnen begegnen können» hat nur 160 Seiten in grosser Schrift. Und das Buch ist einfach, ohne unzulässig zu vereinfachen. Wer sich ein wenig auf Plato und Hirnforschung einlassen möchte, findet darin einen interessanten Ansatz zu dem aktuellen Phänomen.

Kann denn Denken böse sein?

Dieser Ansatz ist nicht unumstritten, wie man an vielen Reaktionen auf das Buch sieht. Aber Blume steht auch nicht allein mit seiner Einschätzung, dass dualistisches Denken die Grundlage für verschwörerisches Gedankengut bildet. Auch der ehemalige britische Grossrabbiner Lord Jonathan Sacks unterstreicht: «Gute Dinge unterbleiben, weil sie jemand verhindert: der Teufel, Satan, der dunkle Prinz, der Böse, Luzifer, der Antichrist. Hier ist nicht Theologie am Werk, sondern eine grundlegende Struktur des Denkens.»

Immer wieder begegnet man dem Kurzschluss von Verschwörungsgegnern, dass die Anhänger solcher Mythen einfach nur dumm seien (deshalb sprechen einige despektierlich von «Covidioten»). So einfach darf man es sich nicht machen, findet Michael Blume und zeigt, dass Verschwörungsglaube durch die Zeit hindurch von intelligenten Menschen mitgetragen und weitergegeben wurde: das reicht von Herff Applewhite, der mit seiner «Heaven’s Gate»-Sekte 1997 in den Tod ging, bis hin zum Philosophen Martin Heidegger, dem hochintelligenten Gläubigen an eine angebliche jüdische Weltverschwörung. Blume sieht als Hauptgrund für solch ein Denken, das in die falsche Richtung weist, «Platons Falle des Dualismus». Er bemüht dessen berühmtes «Höhlengleichnis» und beschreibt, wie leicht Menschen ihre Wahrnehmung «beleben», indem sie lieber «jemanden» für Ereignisse in ihrem Umfeld verantwortlich machen als «etwas».

Keine Theorie

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Buchcover «Verschwörungsmythen» von Michael Blume (Bild: zVg)
Einerseits nimmt Michael Blume Andersdenkende ernst und wird an keiner Stelle im Buch verletzend. Vielmehr zeigt er, dass jede und jeder dazu neigt, allein aus einem gewissen Gruppendruck heraus sogar andere anzugreifen, und so vom Mitläufer zum Mittäter zu werden. Was gerade als Radikalisierung die Nachrichtensendungen beherrscht, erklärt er damit, dass «nicht nur böses Denken zu bösem Tun [führt] – sondern auch umgekehrt böses Tun zu bösem Denken».

Andererseits verweigert sich der Autor schon im Buchtitel dem oft verwendeten Begriff der Verschwörungstheorien. «Theorien sind wissenschaftlich überprüfbare Erklärungen, und das sind Verschwörungsfantasien gerade nicht. Verschwörungsmythen sind genau das: Mythen. Ihre vermeintliche Glaubwürdigkeit stammt nicht aus wissenschaftlichen Verfahren, sondern aus schierer Verbreitung und lediglich gefühlter Plausibilität.»

Ins Gespräch kommen

Dr. Michael Blume ist Religions- und Politikwissenschaftler. Der evangelische Christ ist mit einer Muslimin verheiratet und arbeitet als Beauftragter der Landesregierung Baden-Württemberg gegen Antisemitismus. Sowohl privat als auch beruflich setzt er sich ständig mit verschwörerischem Gedankengut auseinander. Doch sein Buch wird nicht von eigenen Verletzungen geprägt, sondern von dem Wunsch, mit Menschen ins Gespräch zu kommen und besonders die junge Generation zu prägen. 160 Seiten können hierzu nur ein Anfang sein. Aber genau solch einen Einstieg ins tiefere Nachdenken über Verschwörungsmythen bietet das Buch – mit prägnanten Beispielen, einer nachvollziehbaren «Entstehungsgeschichte» und vor allem ausführlichen Quellenangaben als Anregung zum Weiterlesen.

Blume schliesst sein Buch mit einem Zitat Edith Egers, die als Jüdin das KZ überlebte und Zeit ihres Lebens als Psychologin gegen falsche Schuldgefühle, Hass und Verschwörungsmythen anging: «Mein Schatz, du kannst dich entscheiden, frei zu sein.»

Buch bestellen:

Michael Blume: Verschwörungsmythen. Woher sie kommen, was sie anrichten, wie wir ihnen begegnen können, Patmos, 160 Seiten, ISBN 978-3-8436-1286-9, SFr 24,90 / EUR 15,-

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Datum: 04.11.2020
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

Kommentare

Vielleicht hilft auch ein Vergleich: Verfolgungswahn ist ein psychisches Krankheitsbild, ein kategorischer Fehlschluss ist dagegen, wenn man grundsätzlich bestreitet, dass Menschen tatsächlich verfolgt werden. Ist Herr Blume, und mit ihm viele Verschwörungsleugner, vielleicht diesem Fehlschluss erlegen? Dazu gibt es interessante Beiträge: https://youtu.be/qEu0qQL-AtI (auf Deutsch vorgelesen) oder https://off-guardian.org/2021/03/12/on-the-psychology-of-the-conspiracy-... (Original in Englisch). Manchmal hilft es, die Fragestellung umzukehren. Grundsätzlich sollten wir kritisch sein, was der Mainstream sagt genauso was sonst behauptet wird.
Ich gebe zu, dass ich dieses Buch nicht gelesen habe, doch einiges gibt mir etwas zu denken: M. Blume scheint die Existenz des Teufels als Person abzulehnen. Vielleicht glaubt er auch nicht an einen persönlichen Gott? Mir ist auch noch die Unterscheidung von 'Verschwörungsglaube' wie Blume es bezeichnet und das 'Für-möglich-halten' von Verschwörungen in verschiedenen Ausmassen und Zeiten wichtig. Ich finde, man macht es sich zu einfach, wenn man persönliche Verantwortung wegen einer Verschwörung ablehnt, aber auch wenn man grössere Zusammenhänge und gesellschaftliche Agenden grundsätzlich leugnet. Der Humanist glaubt an das Gute im Menschen, der Realist sieht das Menschlich- abgründige.

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