Jugendarbeiter Roli Streit
«Erwachsene können sich eine Scheibe von Jugendlichen abschneiden»
Mit jungen Leuten unterwegs zu sein, fasziniert Roli Streit. Der scheidende Leiter des Kernteams Jugend des Evangelischen Gemeinschaftswerks EGW zu den Wegen und Chancen seiner Arbeit.
wort+wärch: Roli, in deinem Schaffen mit Jungen ist es auch um «Läbeskunst» gegangen. Du bist ein Lebenskünstler.
Roli Streit: Ja. Bei meiner 60-Prozent-Anstellung habe ich nebenbei viele andere Projekte verfolgt. Mein erstes Herzensanliegen ist, mit Menschen unterwegs zu sein. Ich nehme mir Zeit, sie zu begleiten.
Die meisten Jugendlichen sind nicht als Überflieger geboren. Wie hilfst du ihnen, im Glauben Lebenskünstler zu werden?
Mit dem Begriff verbinden sich Bilder und Vorurteile, und doch gefällt er mir. Gott hat die Fülle für uns. Ich will das Leben in der Welt und das Leben in der christlichen Gemeinde nicht trennen. Mir scheint, die Jungen haben das entdeckt. Sie leben es mehr als frühere Generationen. Dennoch ist zu betonen, dass die Welt nicht einfach böse ist. Und Gott ist überall gegenwärtig.
Gott ist auch der Inbegriff des Schönen.
Ja, wir sitzen hier an der Aare. Die Schöpfung ist wunderbar. Aber auch die Musik. Ich finde es super, wenn junge Leute Konzerte besuchen. Oder wenn sie tanzen gehen. Gott hat uns diese Gaben gegeben. Von den Jesus Freaks habe ich gelernt, dass wir in der Welt sein und dabei als seine Jünger leben können – und sogar müssen.
Ein weiteres Anliegen von mir ist, dass Junge ihr Originalsein finden – so wie Gott sie gewollt und geschaffen hat. In der Pubertät sind sie unsicher. Was mir Eindruck macht: Viele Junge sind geistlich hungrig, sie wollen von Gott geprägt leben und dadurch auch etwas bewirken. Sie leben ein Stück weit schon in ihrer Berufung. Wenn zum Beispiel ein Jugendlicher Fussball spielt, hat er schon eine Gabe entdeckt. Sie macht ihm Freude, gehört zu seinem Leben. Andererseits gibt es Gaben, die er noch nicht kennt – aber er ist auf dem Weg und lebt schon etwas von seiner Berufung.
Fussballer sind Teamplayer. Wer spielt, übt für später. Kennen Jugendliche Facetten ihrer Berufung?
Ich habe schon beobachtet, dass junge Männer in Gruppen ganz wenig sagen und einfach zuhören. Im Sport explodieren sie; da zeigt sich, wie viel Energie in ihnen steckt. Manche sind Bewegungskünstler, andere beweisen technische Talente. In jedem stecken Gaben. Wir gehen davon aus, dass die meisten Jungen schon mit Gott unterwegs sind und Gaben einbringen können. Sie müssen nicht erst fünfzig werden. Wir haben in den letzten Pfingsttreffen Teenager in die Band genommen und auch kurze Inputs halten lassen. Referenten bezogen sie ein. Eine mega Bereicherung, bei allen Risiken, denn sie sind nicht ausgebildet. Aber man merkt, sie haben etwas zu geben.
2015 hatten wir Ernst und Hedi Tanner von der Helimission für den abschliessenden Input eingeladen. Sie sollten als Senioren die Jungen segnen. Spontan kam die Idee auf, dass auch die Jungen Tanners segnen könnten. Wie führt man das durch? Wir geleiteten Tanners in die «Meute» der 200 Jugendlichen und luden diese ein, die Gäste zu segnen. Für mich als Leiter war es ein kribbeliger Moment; ich überlegte mir einen Abschluss des Gebets. Und ich dachte, nur Mutige würden es wagen, sich um Tanners zu stellen. Doch dann waren es alle und zum Abschluss ertönte ein «Amen» wie aus einem Munde. Ich konnte nur staunen. Wir Erwachsenen sollten uns unbedingt eine Scheibe von dieser geistlichen Energie der Jungen abschneiden und uns zu eigen machen!
Lebenskünstler, Bewegungs- und Gesprächskünstler…: Man könnte auch Glauben, Hoffen und Lieben als eine Kunst verstehen, die Übung braucht. Wie habt ihr dies als Kernteam Jugend angegangen?
Ich habe versucht, Lockerheit hineinzubringen. Das Leben mit Gott ist nichts Steifes, Gesetzliches, streng Geregeltes. Dass Leben fliesst – das ist mir ganz wichtig. Der «Flow mit Gott» hat sich als wichtiges Motiv durch meine Zeit im Kernteam durchgezogen.
Hast du diesen Akzent von Beginn an setzen wollen?
Eigentlich nicht, er ergab sich. Es zeigte sich, dass es um den Flow ging. Das Leben fliessen lassen – darum geht es uns auch im TeamStream, das kam in mehreren Zweijahres-Mottos zum Ausdruck. Das Leben mit Gott macht Freude; es lohnt sich! Und Gott begegnet uns als der Lebendige, der auch spricht. Gebet ist nicht Einbahn. Übers EGW hinaus – ich war auch im PraiseCamp engagiert – gehört es unterdessen zur christlichen Jugendkultur, dass Gott redet und dass man mit seinem Reden rechnet. Das finde ich wertvoll, sehr schön.
Wenn Junge Gott reden hören, gilt es, das Gehörte auch zu prüfen (1. Korinther 14). Wie üben das Jugendliche? Wie hilft das Kernteam ihnen dabei?
Das Prüfen gehört dazu. Wir wollen allerdings zuerst Mut machen, sich zu öffnen, so dass sie es wagen, sich auf die Reise zu begeben. Das Prüfen kommt nachher. Die Beziehung zu Gott ist etwas sehr Persönliches. Die Jungen erfahren, was es heisst, mit ihm unterwegs zu sein. Wie redet er zu mir? Wie verstehe ich ihn am besten? Gott ist kreativ, er geht auf unsere Persönlichkeit ein.
Etwas vom Eindrücklichsten an unseren Treffen waren die Gruppenzeiten, in denen man für andere auf Gott hörte. Die ganze Gruppe hörte, um Worte und Eindrücke für den Einzelnen zu empfangen. Und das taten wir reihum. Mir war, als würde Gott vor allem Ermutigendes sagen. Es war eine lohnende Übung – und zugleich ein Ernstfall. Gott sprach immer wieder ganz präzise. Wenn jemand zum ersten Mal ein Bild oder einen Bibelvers empfängt, ist das aufregend, auch mit Unsicherheit verbunden. Das Üben hatte natürlich einen Rahmen: Zum Prüfen haben wir angeleitet mit einem Merkblatt und Regeln, die wir kommunizierten und befolgten.
Das EGW ist eine Bewegung, die aus der Bibel Kraft und Klarheit schöpft. Wie habt ihr im Kernteam die Bibel zur Sprache gebracht?
Für mich ist es selbstverständlich, dass wir die Bibel regelmässig lesen und den Sinn der Worte bewegen. Die Bibel gehört zum Fundament und in jedes Lager. Wir arbeiteten daran, sie den Jungen neu schmackhaft zu machen. Zum neuen und überraschenden Erleben verhalf uns der «Bibliolog»: Die Teilnehmenden versetzten sich in die biblischen Figuren des Textes und begaben sich in einen Dialog. Die meisten Jugendlichen im EGW sind mit Bibellese, Gebet und Gottesdiensten aufgewachsen. Wie entdecken sie es neu, dass es für sie ganz persönlich und so richtig lebendig wird? Das ist ein Hauptanliegen unserer Arbeit.
Wenn Bibelworte ihre Situation treffen, wie hilft ihnen das, erwachsen zu werden?
Es wird sie persönlich begleiten. Die Heranwachsenden sollen Gott auf ihre Weise entdecken, nicht unüberlegt den Gott der Eltern kopieren. Das Bild von Gott, Formen des Gebets, das geistliche Leben soll ihr eigenes werden. Dafür ist Vertrauen von Seiten der Eltern nötig. Sie müssen nicht befürchten, dass die Jungen abdriften, sondern können ihnen zutrauen, dass sie ihren Gott selbst entdecken und in der Beziehung zu ihm wachsen. Es ist wesentlich, dass die Jungen sich ablösen und auch im Glauben eigenständig werden. Dazu müssen auch die Eltern ermutigt werden: Sie sollen den Mut aufbringen, die Jungen loszulassen.
Um anders zu sein, müssen Junge gar nicht mehr ausbrechen. Die digitalisierte Welt unterscheidet sich sowieso stark von jener vor 30 Jahren. Wir kennen ja auch Nesthocker (lacht). Die Gesellschaft hat sich stark gewandelt. Die Jungen haben enorme Herausforderungen. Sie müssen einen Spagat machen: absolute Freiheit, unglaublich viele Möglichkeiten – und Druck, Leistung zu bringen und Anforderungen zu genügen. Auch die Vielfalt von Wahlmöglichkeiten kann sie überfordern.
Du hast von der Fülle gesprochen. Was trägt sie zur Reifung bei?
Es kommt darauf an zu wissen, wer man ist. Gaben sind wichtig. Die Identität in Jesus gibt Ruhe, so muss man nicht überall dabei sein. Wenn ich Gott vertraue, dass er mich führt, bin ich gelassener. Dafür muss man sich Christus zuwenden, sich für Gott entscheiden. Ich bin auch ein leidenschaftlicher Evangelist, weil ich von dieser Kernbotschaft und ihrer Wirkung überzeugt bin. Jesus starb am Kreuz: Das Geheimnis ist von jedem für sich zu entdecken. Jesus hat die Beziehung hergestellt und ermöglicht – und darin ist die echte Fülle des Lebens!
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Autor: Peter Schmid
Quelle: wort+wärch