Eine der grossen Fragen
Heilt Gott Menschen?
Kann und will Gott Menschen heilen? Gebraucht er Christen dabei? Diese Fragen lassen sich kurz mit Ja beantworten, doch das erklärt nicht alles. Und es sagt nichts darüber aus, wie Christen mit ihren Heilungseindrücken umgehen sollten.
Lukas ging noch zur Schule, als bei dem fröhlichen Christen ein Gehirntumor festgestellt wurde. Weil der junge Mann in der Region bekannt war und sich in seiner Gemeinde stark engagierte, geschah das, was in christlichen Kreisen oft passiert. Neben der medizinischen Behandlung beteten Hunderte junge Menschen in ihren Jugendkreisen. Eine Gebetskette wurde übers Internet gegründet. Viele sprachen ihm zu: «Der Herr hat mir gezeigt: Du wirst leben!» Besonders vollmächtige Christen proklamierten Gottes Sieg über die Krankheit. Dann starb er. Hatte er nicht genug geglaubt? Hatten nicht genügend Christen für ihn gebetet? Fragen wie diese treiben viele Christen um, besonders, wenn Menschen betroffen sind, die ihnen nahestehen.
Die Frage der Heilung
Das scheint ausser Frage zu stehen. In der Bibel ist von vielen Menschen die Rede, die geheilt wurden. Es gehört geradezu zum «Programm» des Evangeliums, dass Jesus, der in älterer Sprache als Heiland bezeichnet wird, heilt. Und warum hätte er damit in nachbiblischer Zeit aufhören sollen? Allerdings stellt sich in der Praxis immer wieder die Frage, ob wir wissen können, wann Gott heilt und wann nicht. Denn sowohl die Bibel als auch die Kirchengeschichte stellen Heilungen als Wunder dar – damit sind sie per se die Ausnahme und nicht die Regel. Elia, Jesus, Paulus und Co. hinterliessen wesentlich mehr kranke als geheilte Menschen.
Wahrscheinlich ist es sinnvoll, beim Reden über Heilungsversprechen erst einmal diejenigen zu betrachten, die festhalten: «Gott hat zu mir gesprochen. Du wirst wieder gesund. Glaube nur!» Je nachdem, in welchem Gemeindekontext man sich bewegt, fallen Aussagen wie diese häufiger oder seltener, werden sie vehement oder eher zurückhaltend angebracht. Aber insgesamt beinhalten sie zwei problematische Grundannahmen: zum einen die, dass Gott mit unbeteiligten Menschen über seine Pläne spricht, aber nicht mit den Betroffenen selbst. Zum anderen, dass die Last des Erfolgs (der Gebetserhörung) auf den kranken Personen ruht. Wer nicht geheilt wird, hat eben nicht genug geglaubt… Es ist nur eine Behauptung, aber wenn Christen, die prophetisch «wissen», dass andere geheilt werden, dafür zur Rechenschaft gezogen würden, wären Heilungsankündigungen nicht so inflationär häufig. Schwierig bei dieser Art der Heilungsversprechen ist, dass sie in der Praxis entweder auf den Kranken zurückfallen, der nicht genug geglaubt hat, oder auf Gott selbst, der nicht heilen konnte oder wollte.
Die Frage der Prophetie
Kein Zweifel: Die Bibel spricht häufiger von Propheten, widmet ihnen sogar ganze Bücher. Allerdings kommt es erstaunlich selten vor, dass diese Propheten um Heilung beten bzw. Gesundheitsprognosen abgeben. Vielmehr sind es Sprecher Gottes, die sich meist mit sehr gegenwärtigen Botschaften an die Führungskreise wenden. Kann es sein, dass es heute ein weit verbreitetes Missverständnis darüber gibt, dass Propheten in erster Linie Vorhersagen über den Gesundheitszustand von Menschen treffen? Und dass sie noch nicht einmal persönlich für die Auswirkungen ihres Redens verantwortlich sind? Besonders Letzteres zeichnete die alttestamentarischen Propheten nämlich aus: Im Gegensatz zu «falschen Propheten» hafteten sie für ihre Worte.
Die Frage der Perspektive
Offensichtlich hängen mehrere Fragen an derjenigen, ob Gott Menschen heilen möchte oder nicht. Nicht alle lassen sich für uns klären, und es scheint so, als wäre Heilung nicht immer die gute Lösung, die Gott vorschwebt. Warum sind wir so versessen auf Heilung und Leben? Ist das sogenannte «ewige Leben», das frei von Leid und Schmerz ist, nicht die bessere Option? Ist es nicht so, dass selbst wunderbar geheilte Menschen ein paar Jahre später dennoch sterben?
Gott kann Menschen heilen – und er tut es. Immer wieder. Aber sehr oft handelt er anders und zwar unabhängig von unserem Glauben. Es ist höchste Zeit, dass Christen die realistische Option erkennen, dass Gott sie durch ein Wunder wieder gesund machen möchte. Und es ist mindestens genauso wichtig, dass Christen in anderen nicht mit vollmundigen Versprechungen falsche Hoffnungen auf solch eine garantierte Heilung wecken. Die grösste Hilfe, die ein Mensch dem anderen in Krankheit und Not bieten kann, ist sowieso Freundschaft, Nähe, Gebet – auch für Heilung! –, aber nicht unbedingt eine Zusage, die man selbst nicht einhalten kann.
Zum Thema:
Reto Kaltbrunner: Wenn die Heilung ausbleibt
Gisela und Hans Graf: Heilung gibt's auf verschiedene Art
Krankheit, Gebet, Heilung: Muss Gott mich heilen?
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet