Konflikte in Nord und Süd
Ruf aus Afrika: «Vergissmeinnicht!»
Im Banne der Ukrainekrise geraten die unter Konflikten, Dürre und Inflation leidenden Länder Afrikas mehr und mehr in Vergessenheit. Eine gefährliche Entwicklung, die uns irgendwann wieder einholen wird.
Es steht oft am Rande von Bergwegen und leuchtet mit seiner intensiven blauen Farbe die Wanderer eindringlich an – das Vergissmeinnicht. Der volkstümliche Name entstammt vermutlich einer deutschen Sage aus dem Mittelalter, wonach ein Ritter Blümchen für seine Geliebte pflückte und dabei ins Wasser fiel. Die schwere Rüstung zog ihn nach unten. Bevor er ertrank, warf er den Strauss seiner Geliebten zu und bat «Vergiss mein nicht»!
Dieses Drama wiederholt sich derzeit im Verhältnis zwischen den Ländern des Nordens und des Südens!
Die extreme Armut zieht die Menschen nach unten
Während in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern die extreme Armut in den letzten Jahren erfolgreich bekämpft werden konnte, werden laut einem Artikel der KFW Entwicklungsbank bald rund 85 Prozent aller extrem armen Menschen in Afrika südlich der Sahara leben. Stand heute sind es mit 420 Mio. bereits mehr als die Hälfte.
Was bedeutet es, extrem arm zu sein? Es bedeutet laut Weltbank, mit weniger als 1,90 US-Dollar pro Tag zu überleben. Es bedeutet, auf keinerlei Reserven zurückgreifen zu können und somit im Falle einer Krankheit, eines Jobverlustes, einer Dürre oder bei einer Inflation direkt in seiner Existenz bedroht zu sein. Das Handelsblatt bringt die Situation auf den Punkt, wenn es schreibt: «Ein Blick auf die Krisenkarte der Welt verrät, dass sich insbesondere die ärmeren Länder in Afrika die grössten Inflationssorgen machen müssen. Der Grund: Die weiterhin steigenden Nahrungsmittelpreise können dort schnell zu einer Hungerkatastrophe führen. In den USA und Europa hingegen fürchtet man eher Wohlstandsverluste als den Hungertod. «Vergissmeinnicht!», rufen uns deshalb die Armen aus Afrika zu.
Welche Konsequenzen hat die aktuelle Lage auf afrikanische Länder?
Zurzeit leiden weltweit 811 Mio. Menschen an Hunger, davon leben 250 Mio. in Afrika. Besonders gravierend wirken sich die Lebensmittelknappheit und die hohen Preise für Grundnahrungsmittel und Treibstoff auf Ostafrika aus, wo 28 Mio. Menschen (!) vom Hungertod bedroht sind.
Regierungen sind mit der mehrfachen Krisenlage überfordert und suchen sich starke Verbündete. China, zum Beispiel, profitiert vom politischen Vakuum und der Versorgungsknappheit in Afrika und baut seinen Einfluss massiv aus. Mit scheinbar grosszügigen Investitionen werden die afrikanischen Staaten in die Abhängigkeit von China gebracht. Da vor Ort kaum finanzielle Mittel vorhanden sind, lässt sich China mit lukrativen Schürf- und Landnutzungsrechten bezahlen – eine moderne Form von Kolonialismus. Mali hat kürzlich mit seinem Schutzherrn Frankreich gebrochen – unter dem Vorwurf kolonialer Einflussnahme. Anschliessend hat sich die dortige Militärregierung an die Brust Russlands geworfen «…und öffnet den brutalen Wagner-Söldnern Tür und Tor». Die Rechnung solch opportunistischer Machenschaften bezahlt immer die Bevölkerung.
Krisen und Kriege bewirken Fluchtbewegungen. Bauern verlassen ihr Land, was die Lebensmittelknappheit noch verstärkt. In Burkina Faso haben die islamistischen Rebellengruppen mit ihren willkürlichen Überfällen auf die nördlichen Dörfer eine Fluchtbewegung mit geschätzten 2 Mio. Binnenflüchtlingen verursacht. Das sind 10 Prozent der Bevölkerung! «Vergissmeinnicht!», rufen uns die Hungernden aus Afrika zu!
Auswirkungen auf Gesellschaft und Kirchen
Kürzlich erreichten mich Hilferufe befreundeter Pastoren aus dem Togo und der Elfenbeinküste. Diese Länder in Westafrika machen normalerweise nicht Schlagzeilen wegen Hungerproblemen. Und doch spüren auch sie die Konsequenzen der mehrfachen Krisen und der Inflation.
Pastor Joel wohnt in Abidjan, einer Millionenstadt und Handelsmetropole der Elfenbeinküste. Er berichtet von horrenden Preisanstiegen für Grundnahrungsmittel und Benzin. Die wirtschaftlich prekäre Lage führe zu einem Anstieg der Kriminalität. Vermehrt würden Menschen entführt, um Lösegeld zu erpressen. Besonders lukrativ sei die Cyberkriminalität. Junge Frauen würden in die Prostitution getrieben und viele junge Ivorer wanderten aus – mit dem Ziel Europa. Besonders schockiert ist der Pastor von der Zunahme okkulter Zeremonien mit Menschenopfern, um so zu Wohlstand und Macht zu gelangen.
Diese Entwicklung beeinflusst auch das kirchliche Leben. Viele Junge haben auf der Suche nach Arbeit die Gemeinde verlassen. Die Kollekten werden kleiner und viele Pastoren sind selber in die extreme Armut abgeglitten. Pastor Joel versuchte es mit einem Nebenverdienst und vermietete sein Dreirad einem Taxifahrer. Als dieser aber einen Unfall baute, versiegte auch diese Einnahmequelle. Pastor Joel musste in der Not die drei täglichen Mahlzeiten für sich und seine Familie auf ein Abendessen reduzieren.
Pastor Joel berichtet aber auch von grosser Solidarität unter den Christen. So bildeten sich Solidaritätsgruppen und die Gemeinde äufnete einen Sozialfonds. Daraus werden Lebensmittel für die Bedürftigsten finanziert.
Im Togo und der Elfenbeinküste haben die Gemeinden Einkommen generierende Kleinprojekte lanciert. Sie appellieren aber auch an die Christen in Europa, sie in dieser schwierigen Zeit zu unterstützen. Dies geschehe am besten durch einen finanziellen Beitrag an ihren Solidaritätsfonds. Dadurch werde die Gemeinde in ihrer Aufgabe gestärkt, sich um Witwen, Waise und Arme zu kümmern, denn niemand wisse so gut wie sie, wer wirklich auf Hilfe angewiesen ist. «Vergissmeinnicht!», rufen uns die Christen aus Afrika zu.
Dieser Artikel erschien zuerst im Newsletter vom Forum Integriertes Christsein.
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Autor: Peter Seeberger
Quelle: Forum Integriertes Christsein