Zwangsheiraten in der Schweiz
Wie Nachbarnländer das Problem angehen
Ein geplantes Gesetz
will die Zivilstandsämter in die Pflicht nehmen, Zwangsheiraten zu verhindern
und die Urheber anzuzeigen. Die Beamten wollen sich aber nicht
instrumentalisieren lassen. Ein Vergleich mit europäischen Ländern zeigt, wie
diese das Problem anpacken.
Der Westen ist in der
Heiratsfrage mit Widersprüchen konfrontiert: Die Gesellschaft – unter ihnen
auch viele christliche Familien – hat sich damit abgefunden, dass ihre Kinder
mit dem Partner ohne Trauschein zusammenleben. Dagegen muss sie junge Frauen
schützen, welche von Immigrantenfamilien zwangsverheiratet werden sollen. Auch
die Schweiz hat ein Gesetz aufgegleist, dessen Umsetzung aber schwierig sein
wird, weil die Zivilstandsämter Widerstand angemeldet haben. Sie wollen nicht
Polizei spielen und fürchten allenfalls die Rache der Urheber der Zwangsheirat.
Nach den Sommerferien ...
Das Problem ist real.
Nach den Sommerferien melden sich Kinder aus tamilischen, türkischen oder
kosovarischen Immigrantenfamilien bei Beratungsstellen. Eben sind sie vom
Besuch bei ihren Verwandten in ihrem Herkunftsland in die Schweiz zurückgekehrt
und wurden dort mit ihrem vorgesehenen Ehepartner konfrontiert, verlobt oder
gleich verheiratet. Eine Studie schätzt rund 17.000 Betroffene von Zwangsehen
in der Schweiz. Etwa jede zehnte Klientin eines Mädchenhauses ist von einer
Zwangsheirat betroffen.
Während eine
erzwungene oder arrangierte Ehen in der Herkunftskultur der Immigranten oft
beinahe die Regel ist, verstösst sie in unserer Kultur gegen eine fundamentales
Menschenrecht. Eine arrangierte Ehe kann zur materiellen Versorgung, zur
Sicherung von Vermögenswerten innerhalb der Grossfamilie oder auch zur
Kontrolle der Sexualität aus Sicht der Eltern oder Grosseltern Sinn machen. Für
junge Menschen, die in unserer Kultur aufwachsen, ist sie oft eine Katastrophe,
und sie wehren sich dagegen, manchmal erfolglos. Für die Eltern kann dagegen
der freizügige Umgang ihrer Tochter mit den Männern nach westlichem Muster ein
grosses Problem sein.
Heiraten erst mit 24
Europäische Länder
wie Deutschland haben die Strafen für Zwangsheiraten verschärft oder sind
daran, sie zu erhöhen. Dänemark hat das Heiratsalter für Mädchen aus dem
Ausland auf 24 Jahre angehoben. Wenn die Eheleute miteinander verwandt sind,
gehen die Behörden davon aus, dass die Ehe nicht freiwillig ist, und die Heirat
darf nicht stattfinden. Holländische Städte haben eine bereits in
Grossbritannien eingeführte Praxis übernommen: Junge Frauen, die fürchten, sie
könnten in ihrem Herkunftsland zwangsverheiratet werden, können vor der Abreise
die Erklärung abgeben, dass sie nicht verheiratet werden wollen. Wenn sie nicht
zurückkehren, ermittelt die Polizei. Das Schweizer Gesetz sieht eine solche
pragmatische Regelung nicht vor.
Kommentar
Christen stehen zwischen
den Kulturen und könnten vermitteln
Nicht nur
Immigranten, sondern auch christliche Familien in der Schweiz stehen heute in
einer Auseinandersetzung mit einer Kultur und Gesellschaft, die im
gegenseitigen Umgang der Geschlechter äusserst freizügig ist. Besorgte Christen
sollten daher nicht undifferenziert in die Empörung über arrangierte oder gar
erzwungene Ehen mit einstimmen, sondern sich zuerst bewusst sein, dass auch sie
hohe Werte haben, wenn es um den Umgang ihrer Kinder mit dem andern Geschlecht geht.
Evangelische Christen hoffen, dass sich befreundete Paare zur Heirat
entschliessen und die Sexualität erst in der Ehe ausleben. Sie haben daher
Verständnis für die hohen Familienwerte der Immigranten aus patriarchalen
Kulturen. Sie könnten somit Kulturvermittler für Menschen aus dem Osten und
diesen Eltern zeigen, dass eine Freundschaft und Ehe für uns eine höchst
persönliche Wahl ist. Den jungen Leuten könnten sie erklären, dass das
traditionell christliche Familien- und Eheverständnis demjenigen ihrer Eltern
näher steht als sie denken. Die Eltern können sie wiederum ermutigen, ihren
Töchtern mehr Eigenverantwortung zuzutrauen und ihre Ängste abzubauen. Oder sie
auf Beratungsstellen hinweisen, die ihnen auch Hilfe im Umgang mit ihren
Kindern geben können.
Zum Thema:
Zivilstandsämter zur Anzeige verpflichtet
Zwangsheirat – Problem in verschiedenen Religionen
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet/SonntagsZeitung