Die Liebessprachen
«Lieben heisst wissen, was der andere braucht»
Dr. Chapman, Sie sind seit mehr als 40 Jahren verheiratet - für die heutige Zeit eine Seltenheit. Wie haben Sie und Ihre Frau das geschafft?
Dr. Gary Chapman: Gute Ehe entwickeln sich nicht über Nacht. Meine Frau und ich hatten am Anfang sehr viele Kämpfe zu bestehen, weil wir sehr unterschiedlich sind; etwas, was man übrigens häufig bei Paaren antrifft. Ein Problem wird daraus aber erst dann, wenn man diese Unterschiedlichkeit als trennend erlebt. Es dauerte eine Weile, bis wir begriffen, dass wir ein Team sind und die Andersartigkeit des anderen schätzen lernten.
Die meisten Menschen sehen sich nach der lebenslangen Liebe, aber immer weniger Paare schaffen es. Was ist Ihrer Meinung nach der Grund dafür?
Das Problem liegt darin, dass die meisten Menschen nicht zwischen Verliebtheit und Liebe unterscheiden können. Verliebt zu sein ist schön und wichtig, aber es ist eben nicht alles. Untersuchungen zeigen, dass dieses Gefühl nach ungefähr zwei Jahren nachlässt. Nun beginnen die Partner, einander realistischer einzuschätzen. Es kommt zu Spannungen, und spätestens jetzt muss das Paar sich stärker in Richtung bewusster Liebe bewegen. Es muss begreifen, dass es in der Ehe einen Bund miteinander eingegangen ist, der eine bewusste Hingabe an den anderen erfordert, wenn er funktionieren soll.
Schwierig in einer Gesellschaft, die das eigene „gute Gefühl“ zum einzigen Massstab erhebt.
Ja, denn viele Filme und Lieder stellen das Verliebtsein und den sexuellen Aspekt einer Beziehung in den Vordergrund. Doch Liebe, wie die Bibel sie definiert, besteht nicht nur aus Gefühl. Sie ist in erster Linie eine Haltung, die ein entsprechendes Verhalten nach sich zieht. Das heisst, Liebe fragt zuerst nach dem anderen und danach, was ihm gut tut. Das ist es, was viele erst einmal neu begreifen müssen, wenn sie wollen, dass ihre Beziehung gelingt.
Sie haben mit „Die fünf Sprachen der Liebe“ einen Besteller geschrieben, den auch im deutschsprachigen Raum immer mehr Eheberater in ihre Praxis einbeziehen. Können Sie kurz erklären, worum es dabei geht?
Der Gedanke dahinter ist folgender: Genauso, wie jeder Mensch eine Muttersprache spricht, spricht er auch in der Liebe eine Art Muttersprache. Das heisst: Es gibt einen Weg, auf dem jeder von uns Liebe am besten ausdrücken und auch empfangen kann. Ich spreche hier von der „primären Liebessprache“.
In den vielen Jahren meiner Tätigkeit als Eheberater habe ich insgesamt fünf Liebessprachen entdeckt. Eine davon nenne ich „Lob und Anerkennung“. Jemand, der diese Sprache primär spricht, benutzt in der Regel anerkennende Worte, wenn er jemand anderem Liebe vermitteln will. Das sind oft ganz einfache Sätze wie: „Toll, was du da gemacht hast!“, oder: „In dem Kleid siehst du wirklich gut aus!“ Auf jeden Fall verpackt ein solcher Mensch seine Zuneigung in erster Linie verbal.
Dann gibt es die Liebessprache der „Geschenke“. Es muss gar nichts Teures sein, es kann eine Blume oder etwas Selbstgebasteltes sein. Aber immer drückt diese Person aus: „Sieh her, du bist mir etwas wert. Ich habe an dich gedacht.“
Die dritte Liebessprache ist „Hilfsbereitschaft“. Essen kochen, den Teppich saugen, das Auto waschen, dem Baby die Windeln wechseln. Egal, was es ist - ein Mensch mit dieser Liebessprache drückt seine Liebe durch Taten aus.
Viertens: „Zeit zu zweit“. Wenn dies meine Liebessprache ist, widme ich dem anderen meine ganze Aufmerksamkeit. Ich schalte den Fernseher aus, wenn er mit mir reden will, statt ihn nebenbei weiterlaufen zu lassen. Ich mache mit dem anderen einen Spaziergang oder pflanze mit ihm einen Baum im Garten. Die Hauptsache ist, dass ich ungeteilt für den anderen da bin.
Und als Letztes: „Zärtlichkeit“. Das beinhaltet generell alles Körperbezogene wie den anderen zu berühren, ihn in den Arm zu nehmen, und auch die sexuelle Begegnung gehört dazu.
Das Problem bei der ganzen Sache ist, dass die meisten Paare nicht dieselbe Liebessprache sprechen und zudem keine Ahnung von der Sprache des anderen haben. Im Laufe der Jahre beobachtete ich, dass das, was dem einen das Gefühl gibt, geliebt zu werden, nicht automatisch auch dem anderen dieses Gefühl gibt. Häufig kamen Paare in die Beratung und die Frau sagte: „Er liebt mich nicht!“ Woraufhin der Mann oft ganz erstaunt antwortete: „Was redest du da? Du weisst, dass ich dich liebe!“ Und dann erklärte er, was er alles für sie tue, worauf die Frau sagte: „Stimmt, das tut er. Aber ich brauche etwas anderes!“
Wie kommen Sie gerade auf fünf Sprachen – warum nicht sechs oder sieben?
Am Anfang war ich nicht sicher, ob es nur fünf waren. Doch nun, nachdem das Buch seit mehr als zehn Jahren auf dem Markt ist und ich Rückmeldungen von unzähligen Paaren bekommen habe, bin ich mir sicher, dass alle Bedürfnisse, die ein Mensch bezüglich der Liebe hat, in eine der fünf Kategorien fallen. Bis heute ist mir jedenfalls keine weitere begegnet.
Was passiert denn, wenn wir die Liebessprache unseres Partners nicht sprechen?
Ich nehmen gerne das Bild eines „inneren Liebestanks“, den jeder Mensch in sich trägt. Wenn er voll ist, ist das Leben wunderbar; wenn er leer ist, kann es wirklich düster aussehen. Wenn nun ein Paar nicht lernt, die jeweilige Liebesprache des anderen zu sprechen, leert sich der Tank zusehends. Die emotionale Distanz zum anderen wächst, man fühlt sich nicht mehr geliebt und nicht wenige wünschen sich dann, sie hätten die betreffende Person nicht geheiratet.
Und wie kann man herausfinden, welche Liebessprache man selbst und welche der Partner spricht?
Die Liebessprache des anderen, aber auch die eigene, entdeckt man, indem man Beobachtungen anstellt: Wie drückt der Partner und wie drücke ich selbst meine Liebe am ehesten aus? Durch aufmunternde Worte oder durch Geschenke? Durch Körperkontakt? Durch ungeteilte Zeit? Oder eher durch Hilfsbereitschaft?
Einen weiteren Hinweis finden wir, indem wir heraushören, worüber der andere sich bei uns beziehungsweise worüber wir uns bei ihm beklagen. Wenn jemand sagt: „Wir verbringen nie Zeit miteinander!“, dann ist seine primäre Liebessprache wahrscheinlich „Zeit zu zweit“. Oder er sagt: „Nie kann ich dir etwas recht machen!“ Dann braucht er „Lob und Anerkennung“.
Und drittens: Was fordert der andere am meisten ein? Sagt er: „Lass uns doch mal was zusammen unternehmen“, dann sehnt er sich nach gemeinsamer Zeit. Oder: „Bring mir doch mal ein paar Blumen mit!“, dann möchte er beschenkt werden. Auf diesem einfachen Weg kann man ziemlich sicher die eigene und auch die Liebessprache des anderen herausfinden.
Klingt fast nach einer Art Wundermittel für alle Eheprobleme…
Nein, das ist es sicher nicht. Aber sicher ist es etwas sehr Fundamentales, das ein Paar lernen sollte. Wenn man es versteht, dem anderen seine Liebe so zu vermitteln, dass sie auch bei ihm ankommt und er sich geliebt fühlt, ist es sehr viel leichter, die gegenseitigen Unterschiedlichkeiten zu respektieren und auch Konflikte zu lösen.
Was würden Sie jemandem raten, der sich bemüht, die Sprache seines Partners zu erlernen, aber damit anscheinend wenig Erfolg hat?
Ich würde ihm raten, trotzdem dranzubleiben. Konzentrieren Sie sich weiter auf die Bedürfnisse des anderen, und benutzen Sie dabei seine Liebessprache. Nach einigen Monaten können Sie ihn dann fragen: „Auf einer Skala von 1 bis 10 – wie mache ich mich als Ehefrau oder Ehemann?“ Wenn er antwortet: „Zwei“, dann wissen Sie, dass Sie mir Ihren Bemühungen noch nicht zu ihm durchgedrungen sind. Sagt er hingegen: „Acht“ oder sogar „Zehn“, dann ist die Zeit gekommen, wo Sie ihm auch Ihre eigenen Bedürfnisse mitteilen können. Denn ich bin fast sicher, dass er Ihnen dann seinerseits ein besserer Partner werden will. Und zwar, weil er sich geliebt fühlt und Ihre Hingabe spürt.
Und das funktioniert immer?
Nein, nicht immer. Wenn alle Bemühungen fehlschlagen, ist die Zeit reif für das, was ich als „harte Liebe“ bezeichne. Dann muss der andere konfrontiert werden. Man kann dann sagen: „Ich habe wirklich versucht, dir ein guter Partner zu sein. Und ehrlich gesagt, bekomme ich von dir absolut nichts zurück. Ich fühle mich missbraucht! Aber ich liebe dich zu sehr, um einfach stillzusitzen und zuzusehen, wie du mich und dich zerstörst. Ich werde nicht so weitermachen. Ich will mich nicht scheiden lassen, aber wir brauchen Hilfe. Und wenn du gewillt bist, diese Hilfe mit mir zu suchen, werde auch ich alles tun, damit unsere Ehe funktioniert.“
In vielen Fällen bewegt sich etwas zum Guten, wenn der Partner derart herausgefordert wird. Aber natürlich birgt dieser Weg auch das Risiko, dass er geht. Aber es keine Liebe, wenn wir dem anderen permanent gestatten, uns oder vielleicht sogar die gemeinsamen Kinder verbal oder körperlich zu missbrauchen. Echte Liebe konfrontiert den anderen mit seiner Verantwortung.
Als Christ beraten Sie Paare auf dem Hintergrund des christlichen Menschenbildes. Was bringt der christliche Glaube an Positivem für eine Ehe mit sich?
Nun, jeder weiss, dass der Mensch von Natur aus egoistisch veranlagt ist, jeder von uns. Als ich begriffen hatte, dass Gott mich liebt, konnte ich auch langsam meine Egozentrik überwinden. Die Bibel sagt uns, dass er uns liebt, obwohl wir nicht liebenswert sind. Und dass er seine Liebe durch den heiligen Geist in unsere Herzen ausgiessen will.
Als ich Jesus Christus mein Leben anvertraute und damit den heiligen Geist empfing, bekam ich die Kraft, meine Frau zu lieben – gerade dann, wenn ich sie nicht als liebenswert empfinde. Es ist leicht, einen anderen zu lieben, wenn er uns liebt. Schwierig, ja fast unmöglich, ist es, jemanden zu lieben, der uns nicht liebt. Doch genau das tut Gott. Durch ihn bekommt ein Christ sozusagen Hilfe von aussen. Was nicht heisst, dass man dabei unbedingt von warmen Gefühlen für den Partner überwältigt wird. Aber man erhält die Kraft, ihn zu lieben, auch wenn er einen verletzt. Und wenn wir so lieben, ändert sich nicht selten auch im andern etwas. Denn nur die Liebe kann ein verhärtetes Herz weich machen.
Link zum Thema:
«Die fünf Sprachen der Liebe»
Autor: Sabine Müller