Kommentar: Wertschätzung der Familienarbeit

Es sei von beklemmender Aktualität, sagt «20minuten». Und in den gesammelten Reden von Bundespräsi­dent Moritz Leuenberger wird dem Zitat von Jeremias Gotthelf sogar der Stellenwert eines Bibelzitats zugestanden: «Zu Hause muss beginnen, was leuchten soll im Vaterland.»

Die Rede ist vom Elternhaus, welches junge Menschen heranbildet, die fähig sind, einen verantwortungsbewussten, auf­bauenden Beitrag für die Ge­meinschaft zu leisten. Was vor zweihundert Jahren noch allge­mein anerkannt war, wurde in der Zwischenzeit oft infrage gestellt. Die Früchte einer Gesellschaft, die ihre Kinder nicht betreut (Materialismus, antiautoritäre Erziehung) oder gar nicht haben will, sind offenkundig.

Jugendgewalt und Flucht in die Erlebniswelt

Im Zeichen der Freiheit wurde darauf verzichtet, die Kinder zu Ordnung, Anstand, Gehorsam und Fleiss zu erziehen. Weil das Auto, der Urlaub, die Skiausrüs­tung, das Ferienhaus und der Dresscode unverzichtbar sind um dazuzugehören, reicht die Zeit nicht zur geduldigen Begleitung und Förderung der Kinder. Stress zerstört die Beziehung der Eltern untereinander und die Gebor­genheit im häuslichen Kreis. Die Jungen ödets an – eine der Hauptursachen für Jugendgewalt, Sachbeschädigungen und die Flucht in die Er­lebniswelt oder gar in die Drogenszene.

Beinahe jede zweite Ehe wird wieder geschieden. Das Ideal einer funk­tionierenden Beziehung und Familie aber lebt weiter. Viel­leicht gelingt es im zwei­ten oder dritten Ver­such… Der Staat hilft kräftig mit durch Erleich­terung des Auseinandergehens – und übernimmt gleich auch die Kosten, die dadurch entstehen. Ja, die «intakte» Familie mit Vater, Mutter und Kindern wäre schon schön, aber man muss doch rea­listisch sein: daran glauben doch nur noch Erzkonservative, vor de­nen man die Gesellschaft warnen muss. Am weitesten bringt es je­denfalls, wer dem Familienstress den Abschied gibt und sich voll der Karriere und dem Zweiverdie­nermodell verschreibt.

"Es lebe der Individualismus"

Der neue Trend nimmt zwar wieder Werte wie Fleiss, Anstand, Freiheit und Toleranz auf. Benimm-Regeln sind wieder gefragt. Aber bitte nicht Solidarität oder gar Nächstenlie­be und Verzicht. Es lebe der Indi­vidualismus! Dieses kurzfristige Denken ist lei­der Ausdruck unserer modernen, schnelllebigen Welt geworden. Zu leicht vergisst man über dem momentanen Vorteil die Wirkun­gen auf die eigene Zukunft und die Nachwelt. Das erkannte damals schon Albert Bitzius, alias Jeremias Gotthelf. Er kam 1797 als Pfarrerssohn in Murten zur Welt und starb am 22. Oktober 1854 in Lützelflüh. Sprachgewalt, Verbundenheit mit den Menschen und tiefe Verwurzelung im christ­lichen Glauben zeichneten seinen Werdegang aus. 1831 verbot die Bernische Verfassung den Pfar­rern, sich politisch zu betätigen. Das war der Anfang seiner Schrift­stellerkarriere.

Kein Weg ohne Gott

Seine Themen: Schule («Leiden und Freuden ei­nes Schulmeisters), Armenwesen («Der Bauernspiegel»), Wirtschaft («Geld und Geist») und immer wieder die Familie als Kern der Gesellschaft. Er übte Kritik an seiner Zeit aus der Kraft der bib­lischen Botschaft heraus. Für ihn gab es keine Erziehung ohne Gott und keinen Lebensweg ohne das Evangelium von Jesus Christus. Der Glaube endete für ihn nicht beim Kirchenbesuch. Der Mensch solle «d’Gschrift is Herz ychenäh» (die Geschichte im Herzen aufnehmen) und dann im Alltag leben.

Im Leben und Werk des Jere­mias Gotthelf vereinen sich die Bedeutung der Familie für den Staat und für die christliche Ge­meinde. Der Staat lebt von funk­tionierenden Familien, in denen sich Geschwister die Kanten ab­runden und Eltern ihren Kindern Werte vermitteln, die ihnen Kraft verleihen, um das Leben zu meistern, Konflikte friedlich zu bewältigen und die Gemeinschaft zu gestalten.

Soziales Engagement

In der Familie soll nach Gotthelf das christliche Leben geübt wer­den, und das hat Auswirkungen auf das Zusammenleben im Staat. Eben: «Im Hause muss beginnen, was leuchten soll im Vaterland.» Für ihn war die Kirche nicht vom Alltag getrennt. Soziales Enga­gement war für ihn Ausdruck der Nachfolge Christi. Ohne soziales Erbarmen würde der Glaube hin­fällig.

Die angeschlagene Familie von heute ist Thema sowohl in der Politik wie in der christlichen Ge­meinde. Auf beiden Ebenen gibt es gute Rezepte. Doch die reichen nicht, um die Familie wieder zu dem zu machen, was sie einst all­gemein war und heute noch ver­einzelt ist. Bei Jeremias Gotthelf lernen wir, dass sich Bauer und Pfarrer gegenseitig den Spiegel vorhalten.

Förderung der Familie

Seine Kritik übt er im Verbund mit echtem Erbarmen und humorvoller Liebe. So wie sich Familienpolitik nicht auf fi­nanzielle Unterstützung durch den Staat reduzieren lässt, so darf sich die Förderung der Familien in der christlichen Gemeinde nicht auf strukturelle und programmati­sche Elemente beschränken.

Die Wertschätzung der Famili­enarbeit (ein Partner verzichtet auf Berufseinkommen zugunsten der gemeinsamen Kinder) und das Ringen um stabile Gemein­schaften (statt allzu willfährige Trennungshilfe) sind auf der Ebene des Staates so wichtig wie die wirtschaftliche Absicherung durch Kinderzulagen und Steuerer­leichterungen.

Christliche Gemeinde nimmt wichtige Position ein

Die christliche Gemeinde soll von der Bibel her die göttliche Ordnung, die Verantwortung der Väter, aber auch das Potenzial an Versöhnung anbieten, so dass christliche Familien tragfähig wer­den für die Gemeindeglieder, die nicht ins «intakte» Bild passen. Sie sollen in der Gemeinde «Fa­milienanschluss» erhalten.

Die christliche Gemeinde kann eine enorm wichtige Position zu­gunsten der Familie und der Ge­meinschaft einnehmen.

Zunächst in der Ermutigung zum Zusammen­bleiben. Beratung und Konfliktlö­sung, aber auch Entlastung für Er­ziehende kann schon viel helfen. Darüber hinaus lernen wir in der Bibel anstelle der «Mach-mich-glücklich-Mentalität» die Liebe, die sich ver­schenkt. Eine gute Jugendarbeit unterstützt die Heranführung der Kinder und Jugendlichen an die biblische Botschaft und vermittelt geführte Freizeitbeschäfti­gung und Sinngebung.

Killer-Elemente in der Erziehung

Ein Feind christlicher Erziehung ist das Mit­halten am grossartigen Lebensstil und das Ziel «Aus meinem Kind soll etwas werden!». Hier setzt das Evangelium alternative Werte und heilsame Grenzen. Und schliesslich möchte ich noch ein Killer-Element erwähnen. In der Erziehung sollte nicht ständig vermittelt werden: Ein Christ tut das oder jenes nicht! Oder: Was sagen die Leute dazu?

Kinder brauchen Vorbilder. Es geht nicht um Traditio­nen, sondern um Inhalte, nicht um Verhaltensweisen, sondern um Werte. Kinder müssen nicht Sta­tussymbole guter, christlicher Eltern sein, aber sie sollen Jesus lieb gewinnen. Das macht sie und uns stark für die Begegnung mit der Gesellschaft. Deshalb: Lassen Sie sich die Fa­milie nicht vermiesen. Ihre Kinder und unser Land brauchen sie.

Walter Donzé
Frutigen, 60-jährig, verheiratet, vier Söhne, vier Schwiegertöchter, neun Grosskinder
Geschäftsführer Missionswerk MSD, Frutigen; Nationalrat EVP; Mitinitiant der «Koa­lition für die Familie» im eidgenössischen Parlament; ein «Familien-Fan»
Foto und weitere Angaben zur Person: www.wdonze.ch


Autor: Walter Donzé
Quelle: CiB

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