Was moderne Männer brauchen
Die Identität des Mannes in der westlichen Gesellschaft hat sich in den vergangenen 30 Jahren erheblich verändert. Zunehmende Ausbildungsmöglichkeiten für Frauen, die erstarkte Frauenrechtsbewegung und die Veränderung im Rechtssystem haben das früher sogenannte "schwache Geschlecht" gesellschaftlich stark gemacht.
Im Beruf wird zunehmend ihre Führungsrolle in Frage gestellt. Die rasante Elektronisierung der Arbeitsplätze erzeugt Umstellungsängste. Arbeitsplatzverunsicherung betrifft alle Etagen, Arbeitslosigkeit wird zunehmend zu einem Problem. Der Mann, der in der Regel seinen Wert vorrangig aus beruflichem Erfolg bezieht, erleidet eine tiefgreifende Verunsicherung, eine regelrechte Identitätskrise.
Rollenveränderung
Auch auf der Beziehungsebene steht er vermehrt unter Strom. Die Frau als Mitverdienerin macht sich finanziell unabhängig. Die Anti-Baby-Pille und Möglichkeiten der künstlichen Befruchtung machten sie in der Entscheidung über Mutterschaft unabhängig vom Mann. Ihre Rolle als berufstätige Frau nötigt dem Mann eine Rollenveränderung im Haushalt und bei der Kindererziehung auf. Das zunehmende Selbstbewusstsein der Frau bringt ihn in einen Engpass der Gefühle. Dabei wird deutlich, dass die Frau in ihrer Fähigkeit zur Ganzheitlichkeit die Anforderungen einer Umstellung oft besser meistert als der Mann. Vielfach bedienen sich die Männer zweier unterschiedlicher Verhaltensmuster, um mit der Unsicherheit fertigzuwerden:
1. Die Macho-Offensive: Der Arbeits- oder Familien-Boss, der sagt, wo es langgeht und seinen Willen permanent durchdrückt. Er und seine Bedürfnisse sind der Mittelpunkt, um den sich alles drehen muss.
2. Die Sklaven-Defensive: Er versucht, die Zuwendung der Frau oder zumindest den Waffenstillstand dadurch zu erhalten, dass er ihr in fast allem zu willen ist.
Männer, seid nicht immer so wehleidig!
In der Begegnung mit Frauen ergreifen Männer alle Rollen - vom überheblichen Durchsetzer über den skrupellosen Dauergeniesser bis hin zum willfährigen Hausdiener. Generell gilt: Es ist kein Zeichen von Schwäche, wenn sich Männer den weiblichem Misstrauen stellen und Verantwortung übernehmen für Fehler, die man gemacht hat. Aber auch für die Fehler sollten man einstehen, die man nicht selbst verursacht hat, sondern die von uns als Spezies Mann zu verantworten sind. Wenn Männer - geschichtlich gesehen - die Machtstellung missbraucht haben, dann ist es gut, wenn man zuerst einmal verstehet, was in den Frauen vor sich geht. Das setzt voraus, dass man die innere Wahrnehmungsfähigkeit - bevor man sich rechtfertigt auf Empfang schaltet, sehr gründlich hinhört, statt dass man bekannte Positionen zum xten mal ausspricht.
Der starke Mann …
Das gilt auch für die kleinen Konflikte. Der starke Mann hat die Kraft, in den vielen Fällen, in denen die Frau durch ihre Intuition recht hat, dies auch beherzt zu bestätigen. Aber in den - sagen wir - 35 Prozent, in denen die Frau nicht recht hat, bleibt er fest und lässt sich weder durch Drohung, Tränen, Liebesentzug noch Verführungsversuch von solchen Positionen abbringen, für die er zutiefst Verantwortung empfindet. Nicht aus Egoismus, nicht in Sturheit, sondern in festem, aber verständnisvollem Umgang.
Hier bekommt Führung eine neue Qualität, die stark ist und zugleich das Gegenüber positiv einbezieht. Männer müssen runter von der Wehleidigkeit. Männer sind nicht die missverstandenen Helden, die getröstet werden müssen, die durch einen Kraftakt den schief hängenden Haussegen zurechtrücken müssen. Statt dessen ist es viel spannender, einmal wahrzunehmen, was in der Frau vorgeht, was sie braucht und sie darin spüren zu lassen, dass man zu ihr steht.
Das kann sich ganz praktisch ausdrücken - in konkreten Schritten, in denen man Opfer bringt. Männer brauchen verbindliche Werte. Viele Männer wissen nicht mehr, wo sie Rückgrat zeigen und wo sie flexibel sein müssen. Wo sie sich vom Sog dessen, was gerade in ist, mitreissen lassen oder bewusste Alternativen entwickeln. Statt stundenlang im Internet zu surfen oder durch die Programme zu zappen, können man gemeinsam - mit der Ehepartnerin, mit den Kindern, Freunden oder Nachbarn - etwas Kreatives angehen. Im Umgang mit den Steuern, im täglichen Umgang mit der Wahrheit (Thema "Berufsausreden") usw. braucht es eine klares ethisches Fundament und zugleich eine Stärkung des sozialen Verhaltens.
Lebenskonzepte
Viele haben gelernt, reaktiv zu leben, keine Zeit zu haben. Dabei berufen man sich schnell auf die Zwänge des Berufs. Das ist in den wenigsten Fällen richtig. Hier liegt ein Reifungsblocker für viele Männer. Wenn dann das Alter kommt oder eine plötzliche Krankheit oder die Arbeitslosigkeit, dann bricht das ganze eingespielte Wertsystem wie ein Kartenhaus zusammen.
Mit etwas Geschick könnte man die Arbeit so organisieren, dass mehr Zeit für die Beziehung und die Familie bleibt. Wer seinem Beruf ständig Vorfahrt vor seiner Familie gibt, hat sich in der Tiefe nicht für die Familie entschieden, sondern benutzt sie nur als Accessoire seiner Bedürfnisse.
Es gibt viele Männer, die ihren Familienrahmen defakto verlassen haben. Auf der Geschäftsreise teilen sie das Bett mit anderen und spielen daheim liebevolles oder überarbeitetes Theater. Da bricht immer etwas weg - auch, wenn die Frau die Untreue nicht merkt. Die Beziehung zwischen Mann und Frau ist nicht nur eine chemische oder biologische Grösse. Sie ist eine geheimnisvolle ganzheitliche Einheit. Insofern hat auch das, was man im Verborgenen lebt, Folgen auch für die Menschen, für die man mitverantwortlich ist. Ob man verheiratet ist oder nicht. Womit man Augen, Gedanken und Fantasie füttert, das hat auch Auswirkungen auf das Leben und auf das, was von uns auf andere Menschen ausgeht - vor allem auf die, welche einem besonders nahe stehen.
Wer lebt kommuniziert
Männer sind manchmal zurückhaltend, wenn es um religiöse Fragen geht. Sie scheuen sich eher, Klarheit über ihre Sinnfrage zu verschaffen. Hier sind Frauen meist schneller und konkreter. Männer spüren das und machen dann gern dicht, wenn ihnen eine Frage zu nahe kommt, die sie nicht zulassen wollen. Meist kommt dies aus einer Angst vor Schwäche.
Dabei ist beispielsweise Beten eine mindestens ebenso männliche Sache. Weil Beten etwas mit Kommunikation und Verantwortung zu tun hat. Beten ist eine wirksame Form der Mitgestaltung. Es hat Wirkungen auf Menschen und Situationen. Wenn Männer die Erfahrung machen, dass man mit Gott tatsächlich sinnvoll kommunizieren kann, gehen sie auch hier oft aufs Ganze. Es ist spannend, in der Bibel zu lesen, wie Jesus sein Mannsein gelebt hat. Er wusste, was er wollte. Faszinierend, wie er mit Frauen umgegangen ist. Fest und klar - und mit einem grossen Einfühlungsvermögen. Es ist spannend, dann mit ihm selbst ins Gespräch zu kommen. Er will helfen - und zwar ganz konkret, in den Alltagsfragen. Wer lebt, kommuniziert. Wer lebt, empfängt von anderen. Wer lebt, gibt weiter.
Männer brauchen Freunde
Männer brauchen einander. Wenn Männer sich treffen, um Freundschaft zu pflegen und einander zu ermutigen, dann merken die Frauen in der Regel sehr bald, dass es nicht gegen sie gerichtet ist. Männergruppen - sofern sie nicht als Fluchtburgen geführt werden - können einen starken Beitrag für die männliche Identität leisten. Auch Männer brauchen wenigstens einen Menschen, bei dem sie rückhaltlos offen sein können. Früher nannte man so etwas Seelsorge. Männer sind "stark". Das ist okay. Aber es ist viel stärker, wenn sie wenigstens an einer Stelle nicht den Starken spielen müssen oder den bemitleidenswerten Schwachen. In einer herzlichen Offenheit, die Klarheit will um jeden Preis; in einer Bereitschaft, konkret an sich zu arbeiten - darin liegt ein kraftvolles Potential.
Männer übernehmen Verantwortung
Männer, die Rückgrat haben, vergammeln ihr Leben nicht, sondern übernehmen Verantwortung für andere. Sie haben Mut, Konturen zu zeigen und für Entscheidungen einzustehen. Statt zu jammern, können sie ihre Talente anbieten: in ehrenamtlichen Aufgaben der politischen Gemeinde, in der Kirchengemeinde, bei gemeinnützigen Einrichtungen, oder in der Nachbarschaftshilfe - ohne, dass dies auf Kosten der Familie gehen muss.
Es ist erfüllend, das Mannsein schöpfungsgemäss auszuleben. Männer sind von Gott gewollt und geschaffen - mit bestimmten Gaben, Aufgaben und Grenzen. Das Potential ist bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Wenn man Neues wagt, wird das Folgen haben - auch für die Menschen, mit denen man täglich zu tun hat. Das wird auch die Beziehung zu Frauen entkrampfen oder auf eine neue respektvolle Grundlage stellen und einem zu wirkungsvollen Zeitgenossen der Gesellschaft machen.
Überarbeitet von Jesus.ch
Autor: Hartmut Christian Lüling
Quelle: idea Deutschland