Ausgestossene werden Hoffnungsträger
Er fand Gott im Flüchtlingslager, heute rettet er Kinder
Als Argaw Ayele vor Hungersnot und Krieg aus Äthiopien floh, um in Europa ein neues Leben zu beginnen, hätte er sich nie träumen lassen, dass Gott ihn zurückschicken würde, um Kinder zu retten, die von ihren Stämmen als verflucht gelten.
Als er aufwuchs, hatte Argaw Ayele nur einen Traum: Äthiopien zu verlassen und sich ein wohlhabenderes Leben aufzubauen. In den 1990er Jahren war er von ständiger, erdrückender Armut umgeben und sah in seinem Geburtsland keine Zukunft. Als sein älterer Bruder gelähmt aus dem Krieg gegen Eritrea zurückkehrte, wusste Argaw, dass er fliehen musste.
In seiner Verzweiflung übertrug er sein Haus einem Kontaktmann und erhielt im Gegenzug ein Einladungsschreiben in die Ukraine. Von dort aus plante er, nach Europa zu reisen und Asyl zu beantragen.
Nachdem er fünf Monate lang erfolglos versucht hatte, einen legalen Weg zu finden, gab er auf und nahm die Hilfe von Menschenschmugglern in Anspruch. Für 1200 Dollar wurde er auf eine beschwerliche, 1100 Kilometer lange Reise nach Ungarn mitgenommen, bei der er hauptsächlich nachts bei Minusgraden im Dezember unterwegs war. Er war fast einen Monat lang zu Fuss unterwegs, überquerte gefrorene Flüsse und schlief im Freien. «Ich wäre fast an einer Lungenentzündung gestorben», erinnert er sich.
In Flüchtlingslager für Jesus entschieden
Schliesslich erreichte Argaw das Flüchtlingslager Bicske in Budapest. Dort lernte er einige amerikanische Missionare kennen. Argaw hatte sich schon als Kind zur Nachfolge Jesu entschieden, war aber nach und nach vom Glauben abgekommen. Jetzt fühlte er sich wieder zu Gott hingezogen. «Ich habe mein Leben Jesus neu gewidmet», sagt Argaw. Und dabei begann Gott, sein Herz zu verändern.Argaw fing an, eine Gemeinde in Budapest zu besuchen, und der Hunger nach Gottes Wort wuchs in ihm. Als das «Calvary Chapel Bible College» in der Stadt eröffnet wurde, wollte er unbedingt dorthin gehen, aber nachdem bereits drei Anträge auf Aufenthalt in Ungarn abgelehnt worden waren, hatte er keine Hoffnung mehr, bleiben zu dürfen. Doch um die Ecke wartete ein Wunder: Aus heiterem Himmel erhielt Argaw einen Brief. Ihm wurde eine Aufenthaltsgenehmigung erteilt. Er konnte in Ungarn bleiben, sich seinen Traum vom Studium erfüllen und vielleicht eines Tages Missionar werden. Sein Gebet? «Gott schicke mich irgendwohin... aber nicht nach Äthiopien!»
Äthiopien im Herzen …
Das ist ein gefährliches Gebet, und ohne dass Argaw es wusste, hatte Gott bereits Ereignisse eingefädelt, die ihn zurück nach Hause führen würden. Tausende von Kilometern entfernt, in Indiana, USA packte Rachel Sanderson ihre Sachen und bereitete sich darauf vor, nach Ungarn zu ziehen, um dort am selben College wie Argaw zu studieren.
«Als ich ihr die Hand schüttelte, war ich überzeugt, dass sie die Richtige war», erinnert sich Argaw an ihr erstes Treffen. Was er nicht wusste, war, dass Rachel Argaws Heimatland Äthiopien in ihrem Herzen trug. Schon als Teenagerin hatte sie sich in dieses Land berufen gefühlt, und der Wunsch, dort zu arbeiten, war ungebrochen.
Innerhalb weniger Monate nach ihrer ersten Begegnung heirateten Rachel und Argaw und sie zogen im Jahr 2006 gemeinsam nach Äthiopien. «Wir sammelten genug Geld, um Flugtickets zu kaufen, und das war's», blickt Rachel zurück. Mit der Unterstützung von Familie und Freunden arbeiteten sie in den nächsten Jahren mit verschiedenen Organisationen zusammen. Doch im Januar 2010 veränderte ein fünfjähriges Mädchen namens Lantu ihr Leben für immer…
… und ein Herz für benachteiligte Kinder
Lantu war gehbehindert, hatte schwere Herz- und Lungenprobleme und sie war blind. Da sie eine teure medizinische Behandlung benötigte, die sich die Familie nicht leisten konnte, wandte sich ihr Vater an die Ayeles und bat um Hilfe. Ein Jahr später bat er sie, sich dauerhaft um sie zu kümmern. Sie lebte bei ihnen, bis sie im Alter von neun Jahren verstarb.Lantu sollte das erste von vielen Kindern sein, für die die Ayeles sorgen würden. «Wir wussten nicht, dass wir ein Kinderheim gründen würden», sagt Rachel, aber dennoch wurde das Ebenezer Grace Children's Home geboren. Als der Dienst wuchs, stellten sie «Mamas» zur Unterstützung ein.
Im Jahr 2015 wurde das «Lantu's Home» eröffnet, das sich auf die Betreuung von schwer behinderten Kindern spezialisiert hat, von denen viele ausgesetzt wurden. Im Jahr 2017 kam das «House of Hope» für HIV-positive Jungen hinzu. Rachel und Argaw und ihr Team von engagierten Mitarbeitern kümmern sich nun um mehr als 90 Kinder und bieten ihnen ein liebevolles Zuhause, eine erstklassige Ausbildung und die Möglichkeit, etwas über den Gott zu erfahren, der sie liebt.
«Sie sind keine Waisen mehr»
«Wir nennen es ein Kinderheim», sagt Rachel, «denn unsere Kinder sind keine Waisen mehr. Sie nennen uns 'Daddy' und 'Mommy'. Wir sind einfach eine grosse Familie.» Viele der Kinder haben noch lebende Verwandte. Einige kommen, weil ihre Eltern sich nicht mehr um sie kümmern können oder weil ihre schweren körperlichen Behinderungen eine Betreuung erfordern, die in ihren ländlichen Dörfern nicht gewährleistet werden kann. Wo immer möglich, wird der Kontakt zur Familie aufrechterhalten, und einige kehren sogar zu ihren leiblichen Familien zurück. Wenn unverheiratete Mütter schwanger oder mit ihren Babys ankommen, werden sie in die Ebenezer-Familie eingeladen, um dort so lange zu leben und zu arbeiten, wie sie Unterstützung benötigen.
Viele der Kinder stammen aus dem Stamm der Hamar. Obwohl sie vielleicht noch lebende Eltern haben, sind sie Ausgestossene, gelten als «mingi» oder «verflucht» und sind als solche nach dem Stammesrecht zum Tode verurteilt. Rachel und Argaw erzählen herzzerreissende Geschichten von Kindern, die unehelich oder mit körperlichen Behinderungen geboren wurden oder die bestimmte Stammesriten verpasst haben. Oft sind ihre Eltern gezwungen, sie unter grossem persönlichen Risiko aus ihrem Dorf zu schmuggeln, um ihr Leben zu retten.
Stammespraxis geschieht noch immer
Ein Beispiel ist Yesozer. Nach dem Brauch seines Stammes gilt ein Baby, bei dem die oberen Zähne vor den unteren erscheinen, als «mingi» und muss getötet werden. Um sein Leben zu retten, versuchte Yesozers Mutter, seine oberen Zähne abzufeilen, als sie bemerkte, dass sie zuerst durchkamen. Schliesslich hatte sie keine andere Wahl, als ihn in Sicherheit zu bringen. Obwohl die «Mingi»-Tötungen in Äthiopien offiziell verboten sind, wird diese Stammespraxis immer noch praktiziert.
«Wir mussten etwas tun», sagt Argaw. Trotz des Widerstands der Behörden fand er schliesslich einen seltenen Überlebenden der «Mingi». «Er arbeitet jetzt als Verwaltungsbeamter in der Gemeindeverwaltung und war ebenfalls angewiesen worden, über die illegalen Tötungen, die immer noch stattfanden, zu schweigen. Er sagte mir: 'Ich bringe die Kinder raus, damit du helfen kannst.'»
Den «Mingi»-Morden ein Ende setzen
Argaw kümmert sich nicht nur um die Kinder und bietet ihnen ein Zuhause, sondern arbeitet auch weiterhin mit der Regierung und den Stammesführern zusammen, um den «Mingi»-Morden ein Ende zu setzen. «Es ist eine sehr schwierige Aufgabe, diese Kultur zu verändern», sagt er. «Es braucht Zeit.»
Ihre Hoffnung ist, dass die Kinder, die sie aufziehen, ein «lebendiges Zeugnis» sein werden. «Sie werden mehr Veränderung bewirken, denn sie waren 'mingi' – Ausgestossene – und jetzt werden sie jemand, ein Arzt oder eine Krankenschwester oder was auch immer. So könnten die Menschen sagen: 'Diese Kinder sollten getötet werden, und jetzt sind sie gebildet.' Sie sind die Lösung.»
In diesem Sommer feierte Tidenek, die seit der Ermordung ihrer Eltern im Heim lebt, ihren Abschluss in Informatik an der Universität Hawassa. Sie ist die erste weibliche Absolventin vom Stamm der Surma und wird nun ihren Platz in der äthiopischen Regierung als Botschafterin ihres Stammes einnehmen. Das ist eine unglaubliche Leistung für ein junges Waisenkind, das sonst wenig Hoffnung für seine Zukunft gehabt hätte.
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Autor: Emma Fowle / Daniel Gerber
Quelle: Premier / Übersetzung: Livenet