Erfinderische Archäologie und Wissenslücken

Zum Neujahr 2003 hatte das Nachrichtenmagazin “Der Spiegel” eine fette Schlagzeile parat: “Die Erfindung Gottes – Archäologen auf den Spuren der Heiligen Schrift”. Der Titelgeschichte Pate gestanden hat das populärwissenschaftliche Buch “Keine Posaunen vor Jericho” des umstrittenen jüdischen Archäologen Israel Finkelstein.

Finkelstein behauptet, er könne durch seine archäologischen Forschungen zum ersten Mal die wahre Geschichte des antiken Israel präsentieren. Dabei entsteht beim Leser der Eindruck, als sei die Archäologie eine exakte Wissenschaft, deren Funde ein ganz bestimmtes Bild der Geschichte Israels abgeben. Doch wurde Finkelsteins Deutung der archäologischen Funde in ihrer letzten Konsequenz bisher nur von wenigen Archäologen geteilt. So kann die Wissenschaft beispielsweise nur ungenügend klären, wann oder warum die Texte der Bibel geschrieben wurden.

Was nach 3000 Jahren zu finden ist

Einer der häufigsten Fehler, zu dem Archäologen und Theologen bei der Auswertung archäologischer Daten neigen, ist die Auffassung: “Weil man etwas Bestimmtes nicht gefunden hat, gibt es das nicht”. Dazu ein einfaches Gedankenexperiment: Würden wir nach 3000 Jahren noch geschichtliche Aufzeichnungen aus der Nazizeit vor uns haben und sagen: wir wollen einmal nachgraben und schauen, ob das wirklich stimmt – was würden wir finden? So gut wie nichts: Fast alle grossen Nazibauten wurden im Krieg zerstört, alle Nazi-Embleme wie Hakenkreuze etc. wurden beseitigt, Gräber der grossen Nationalsozialisten werden kaum gepflegt. Archäologen könnten dann, in 3000 Jahren, den Eindruck haben, als seien die Geschichtsbücher gefälscht, denn nach ihren Grabungsergebnissen zu urteilen hat der Nationalsozialismus bei weitem nicht die Rolle gespielt, die ihm in den geschichtlichen Überlieferungen zugeschrieben wird.

Forschung ignoriert

Wenn man also aus der Zeit Salomos und Davids nur sehr wenige Dinge findet, heisst das noch lange nicht, dass der biblische Bericht darüber falsch ist. Schliesslich hat König David oder Salomo nicht für uns ein paar Ruinen konservieren lassen, damit wir uns in der Neuzeit noch etwas vom Glanz seiner Zeit ”ergraben” können! Dass man, wie im “Spiegel” behauptet, noch nicht einmal den Grundriss des salomonischen Tempels habe, ist schlichtweg Ignoranz. Denn der britische Architekt und Archäologe Leen Ritmeyer ist seit einigen Jahren erfolgreich dabei, auf der Grundlage umfangreicher Vermessungsarbeiten am Tempelberg zunächst den Grundriss des herodianischen Tempels und davon ausgehend auch den Grundriss des salomonischen Tempels zu rekonstruieren.

Menschennamen und Götternamen

Aber die Spiegel-Journalisten lehnen sich noch viel weiter aus dem Fenster. So behaupten sie einfach: ”Gott besass im Anfang eine nackte Begleiterin”, und Jahwe, der Gott des AT, sei ursprünglich ein Wettergott gewesen. Wo ist der Beweis? Nirgends. Es gibt keine Statuette oder Figur Jahwes, auf der eine Widmung steht, z.B. ”Jahwe, mein Wettergott”. Es gibt auch keine Statuette, auf der steht ”Ich bin die Begleiterin Jahwes”. Solche Behauptungen beruhen nur auf Spekulationen. Man hat zwar eine Inschrift gefunden, auf der steht ”Für Jahwe und seine Göttin Aschera” oder ”für Jahwe und seinen Ascherapfahl”. Aber diese Inschrift sagt überhaupt nichts darüber aus, ob sie aus einer Zeit stammt, in der die israelitische Religion sich gerade vom Polytheismus zum Monotheismus entwickelte.

Interessanterweise haben sich nämlich bei diesen Inschriften auch einige Israeliten verewigt – und zwar mit ihrem eigenen Namen. In diesen Namen ist oft der alttestamentliche Gottesname enthalten (so wie wir noch heute in Anklang an Christus Kinder Christiane oder Christoph nennen). Die Leute also, die auf einen Tonkrug gekritzelt haben ”Für Jahwe und seine Aschera”, verraten uns gleichzeitig über ihren Namen, dass damals, im 9.Jahrhundert v.Chr., traditionell Jahwe als ihr Gott angesehen wurde.

Im Anfang war der Monotheismus

Die Israeliten verehrten also traditionell den Gott Jahwe, aber in der alltäglichen Praxis haben sie allen möglichen Göttern gehuldigt, auch z.B. der Göttin Aschera. Das beschreibt ja auch das AT. Wenn man jedoch behauptet, der monotheistische Glaube an den einen Gott Jahwe habe sich erst aus einem Polytheismus heraus entwickelt, dann müsste es in der Frühzeit Israels jede Menge Personennamen geben, in denen der Gott Baal oder die Göttin Aschera vorkommt. Das gibt es aber gerade nicht; wir kennen aus der Archäologie aus Inschriften, Siegeln, Tonscherben usw. mehr als tausend israelitische Personennamen aus der vorexilischen Zeit. Über 90% dieser Personennamen, in denen ein Gottesname (wie Joel, Elia, usw.) vorkommt, sind mit dem Namen des aus dem AT bekannten Gottes Jahwe gebildet.

Das Alte Testament ist älter

Viele andere Dinge werden im “Spiegel” polemisch verdreht oder verfälschend wiedergegeben. So sei ”die Endredaktion der Heiligen Schriften des AT womöglich erst nach Christi Geburt” erfolgt. Genau das stimmt nicht: Wir haben die Schriften aus Qumran in unserer Hand, in denen wir frühe Texte finden, die von unserem AT heute nur in ganz unwesentlichen Details abweichen. Und wir haben darüber hinaus in Qumran und Umgebung auch schon genau den Text, den es noch heute gibt, den sogenannten masoretischen Texttyp. Das AT war ohne Zweifel zur Zeit von Qumran, also etwa 100 v.Chr., fertig.

Hohe Schreibkultur

Der “Spiegel” stützt sich des weiteren auf einseitig oder falsch ausgewählte oder dargestellte Funde der Epigraphik (Inschriftenkunde). In Samaria seien ein paar Wein-Quittungen gefunden worden, ”in Arad verwitterte Briefe aus Ton. Ansonsten griffen die Hirten und Ölbauern fast nie zum Schreibblock”. Tatsache ist, dass es in ganz Israel über 15 Grabungsstätten gibt, an denen sogenannte Ostraka oder Tonscherben gefunden wurden, und etwa ebenso viele, an denen Graffiti entdeckt wurden. Die Schreibkultur war im 7. Jh. relativ hoch; so hat man inzwischen an die 4.000 Weinkrughenkel gefunden, die mit offiziellen Stempeln aus der Palastregistratur des Königs Hiskia versehen wurden. Eine solche hohe Auflage lesbarer Tonkrüge ist aber nur dann sinnvoll, wenn ein relativ hoher Anteil der Bevölkerung lesen kann; sonst hätte man es doch bei einem Symbol gelassen.

Bestätigung durch ausserbiblische Quellen

Weiter schreibt der “Spiegel”, in den alttestamentlichen Büchern der Könige würden ”insgesamt 42 Könige unter Angabe ihrer Regierungszeit” genannt. Dann heisst es: ”Gezielt durchsuchten die Forscher die mesopotamischen Keilschriftarchive. Und tatsächlich: Insgesamt fünf der biblischen Urkönige tauchen auch dort namentlich auf”. Das ist ebenso falsch. Tatsächlich werden bereits zehn Könige der Bibel in den mesopotamischen Quellen genannt. Durch indirekte Erwähnungen und nichtmesopotamische Quellen steigt diese Zahl sogar auf 20 – also viermal so viele, wie der “Spiegel” angibt!

Streit ums Kamel

Fehldeutungen des AT sind eine weitere Säule des “Spiegel”-Artikels. So heisst es da: ”Abraham reitet ständig auf Kamelen herum. Wie war ihm das möglich? Als Lastenträger kamen diese Tiere erst nach 1000 v.Chr. zum Einsatz”. Tatsache ist, dass es schon seit einigen Jahren als sicher gilt, dass das Kamel lange vor 1000 v.Chr. im Nahen Osten domestiziert wurde. Viele Funde von Kamelbestattungen aus ältester Zeit sprechen sogar dafür, dass das Kamel möglicherweise schon vor dem 3.Jahrtausend v.Chr. als Lasttier verwendet wurde. Es ist peinlich, wenn der “Spiegel” auf schlecht recherchierte Gegebenheiten die Behauptung aufbaut, das AT sei an dieser Stelle gefälscht.

Vorläufer des Münzgeldes

Ein paar Zeilen später heisst es über die Zeit Josephs: ”Warum zahlen die Juden in 1.Mose 42 ihr Getreide mit Metallgeld? Die ältesten Münzen stammen aus Kleinasien und wurden erst im 7.Jh. v.Chr. erfunden.” Daraus schliessen dann die Autoren, dass das AT erst sehr viel später geschrieben worden sei, also nach dem 7.Jh. v.Chr., nachdem Münzgeld schon üblich war. Wie sehen die Tatsachen aus? Das in 1 Mose 42,25 verwendete hebräische Wort entspricht unserem deutschen Wort für Silber, nur dass es in der Mehrzahl steht. Wörtlich übersetzt heisst es so viel wie “Silberstücke”; meistens wird es mit ”Geld” übersetzt. Würde man die Logik des “Spiegel” weiterverfolgen, dann waren wahrscheinlich auch die Keilschrifttexte aus der antiken Stadt Ugarit des 14. Jahrhunderts v.Chr. in Wirklichkeit erst im 7.Jh.v.Chr. geschrieben, denn in diesen Texten (im Keret-Epos) taucht die dem AT genau vergleichbare Form auf, nämlich ”Silberstücke”. Aber mit Silberstücken ist weder in Ugarit noch im 1.Buch Mose Münzgeld gemeint, sondern Gewichtseinheiten von Silber, die fest definiert waren und als Bezahlungseinheit dienten - sozusagen die Vorstufe unserer Münzen.

Die Bibel ist authentisch

Es liessen sich noch mehr Stellen aufzeigen, in denen der “Spiegel” mit inhaltsleeren Argumenten das AT zu demontieren versucht. Diese Argumente offenbaren sich bei näherem Hinsehen als abenteuerliche Spekulationen über das, was angeblich ”wirklich” zur Zeit des AT geschah.

Den authentischen Bericht über das Heilswirken Gottes mit den Königen Israels haben wir nach wie vor, ursprünglich von Augenzeugen verfasst und später von Historikern sorgfältig niedergeschrieben, in der Bibel selbst. Die Königsbücher des AT stellen kein modernes, chronologisch aufgebautes Geschichtswerk dar, denn sie schreiben Heilsgeschichte; gleichwohl stimmen die geschichtlich-kulturellen Hintergründe sehr gut mit dem überein, was wir über die Zeit der ersten Hälfte des ersten Jahrtausends v.Chr. wissen.

Datum: 08.01.2003

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