Jesus als Vorbild (10): König der Herzen

Wohl keine Stadt der Welt hat mehr Eroberer gesehen als Jerusalem, mehr Rammböcke, Spiesse und Schwerter. An diesem Tag begrüssen die Menschen vor der Stadt einen König, der ohne blitzende Waffen auskommt.

Eine Woche vor dem Passafest ist Jerusalem bereits voller Pilger. Wie ein Lauffeuer verbreitet sich die Nachricht, dass der Wanderprediger aus Galiläa in der Nähe ist und wohl wieder am Fest im Tempel auftreten und lehren wird. An seinen weisen Lippen hangen die Menschen, und vielleicht geschehen ja wieder Wunder, wie regelmässig, wenn Kranke zu ihm kommen…

Doch wo ist Jesus? Womöglich in Bethanien, wo er vor wenigen Wochen seinen verstorbenen Freund Lazarus aus der Grabhöhle herausgerufen hat? Dutzende, die mit seinen Schwestern trauerten, wurden Augenzeugen. Die Tat weist Jesus als Mann mit einzigartiger geistiger Vollmacht aus. Dagegen wirken die Winkelzüge der Mächtigen Jerusalems, die zwischen der Volksmeinung, religiösen Vorschriften und den Forderungen der römischen Besatzer lavieren, durchaus hässlich und widerwärtig. Anders als sie kommt Jesus ohne Wachen, ohne Pomp und Prunk aus, und Speichellecker duldet er nicht.

Was hat der Wanderprediger im Sinn? Wie nutzt der Galiläer seine Popularität? Will er eine Volkserhebung anzetteln? Wenn ja, will er den Hohepriesterclan mit seinen Verbündeten, die den Tempel(business)bezirk und die Stadt kontrollieren, aus dem Sattel werfen? Und dann auch die Römer vertreiben, um einen Staat nach dem Willen des Gottes Israels einzurichten? Vor sieben Generationen haben dies die Makkabäer versucht; sie führten eine nationale Widerstandsbewegung an und vertrieben zwar den brutalen Fremdherrscher, aber dann regierten sie bald so eigensinnig und eigensüchtig wie andere orientalische Könige…

Draussen vor der Stadt laufen Menschen zusammen. Da ist Jesus – auf einem Esel! Er reitet auf die Stadtmauer zu. Wem die Heiligen Schriften vertraut sind, der erinnert sich an die Worte des Propheten Sacharja (9,9-10):

„Freu dich, du Zionsstadt! Jubelt laut, ihr Bewohner Jerusalems! Seht, euer König kommt zu euch!
Er bringt Gerechtigkeit, Gott steht ihm zur Seite. Demütig ist er vor seinem Gott.
Er reitet auf einem Esel, auf einem starken Eselshengst.
Er schafft die Pferde und Streitwagen ab in Jerusalem und ganz Israel, auch die Kriegsbogen werden zerbrochen.
Er stiftet Frieden unter den Völkern. Von Meer zu Meer reicht seine Herrschaft, vom Euphratstrom bis zu den Enden der Erde.“

Diese Worte, von Sacharja vor über 500 Jahren gesprochen, sind lebendig im Volk. Denn die Menschen warten auf den, der wie einst David Jerusalem zur Hauptstadt eines grossen Reiches macht. Jesus nimmt die Hoffnung auf, er lässt sich feiern. Manche Zuschauer legen ergriffen ihr Obergewand auf den staubigen Weg. Andere reissen Zweige von den Bäumen, um den Pfad zu schmücken. Ihm voraus laufen begeisterte Anhänger und rufen ihn als Herrscher Israels in der Linie des legendären Königs aus: „Gepriesen sei der Sohn Davids! Heil dem, der im Auftrag des Herrn kommt! Gepriesen sei Gott in der Höhe!“

Jesus lässt es geschehen. Nicht hoch zu Ross wie der Krieger zieht er in Jerusalem ein, sondern als König des Friedens. Als solcher beansprucht er die Stadt mit dem Tempel Gottes für sich – aber nicht mit Waffen, sondern kraft seiner Autorität. Die Jerusalemer geraten in Aufregung, denn sie spüren, dass Jesus die Mächtigen auf seine Weise herausfordert. Eine heisse Woche steht bevor.

Zur Artikelserie:
Jesus als Vorbild (1): Freude am Leben – und Sehnsucht nach mehr
Jesus als Vorbild (2): Er liebt die Menschen
Jesus als Vorbild (3): Friedensstifter in unruhiger Zeit
Jesus als Vorbild (4): Ein grosses Herz für die Menschen
Jesus als Vorbild (5): Die Freundlichkeit Gottes in Person
Jesus als Vorbild (6): Jetzt können Versager hoffen
Jesus als Vorbild (7): Kraftvoll und gelassen
Jesus als Vorbild (8): Der Mann, der aneckt, weil er das Gute will
Jesus als Vorbild (9): Ein Diener, der alles auf den Kopf stellt
Jesus als Vorbild (11): Perspektiven für ein gelingendes Leben


Autor: Peter Schmid
Quelle: Jesus.ch

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