Jesus Christus – das menschliche Angesicht Gottes

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Nach Umfragen glauben heute nach wie vor viele Menschen an Gott. Auf die Frage: Wer ist dieser Gott? sind die Antworten sehr diffus. Wenn man im ersten Jahrhundert einen Christen gefragt hätte, wer Gott sei, dann hätte er mit einem Namen geantwortet: Jesus Christus.

Alle Schriften des Neuen Testaments kreisen um diese Person. Bis heute bestimmen die Eckdaten seines Lebens das gesellschaftliche Leben. Unsere Zeitrechnung geht von Christi Geburt aus. Jede Geschäftssitzung ist irgendwie auf die Geburt Jesu bezogen!

Weihnachten gibt es nicht nur wegen der Umsatzsteigerung für die Läden, sondern mit diesem Fest erinnern wir uns an die Geburt von Jesus. Im Frühling kommen die Ostern. In diesen Tagen ist Jesus grausam am Kreuz gestorben und nach drei Tagen wieder auferstanden. Für die Zeit nach seiner Entrückung in den Himmel versprach Jesus seinen Jüngern den Heiligen Geist. Mit der machtvollen Ausgiessung des Geistes an Pfingsten wurde eine Bewegung in Gang gesetzt, die die westliche Welt nachhaltig geprägt hat.

Ein Jude des 1. Jahrhunderts

Der Basler Philosoph Karl Jaspers (1883-1969) rechnete Jesus zu den massgebenden Menschen. Ist dieser "massgebende Mensch" eine Wunschvorstellung, oder hat er wirklich gelebt?

Unsere Kenntnis über das Leben Jesu stammt hauptsächlich aus den vier Evangelien. Für eine Person der Antike haben wir erstaunlich viele Informationen. Die Angaben aus den Evangelien können zum Teil aus der Geschichte bestätigt werden. So wissen wir vom römischen Kaiser Augustus und seinen hohen Beamten nicht nur aus dem Lukasevangelium, sondern auch aus römischen Quellen. Wir haben eine solide historische Basis dafür, dass Jesus tatsächlich im ersten Jahrhundert gelebt hat.

Die genauen Lebensdaten sind naturgemäss schwer zu erheben. Eines ist ganz sicher und muss betont werden: Jesus war ein Jude! Leider haben die Christen diese Tatsache nicht immer gebührend respektiert.

Geburt und Kindheit

Von der Geburt Jesu berichten vor allem das Matthäus- und das Lukasevangelium. Der Bericht von Lukas (2,1-20) wurde über Jahrhunderte von vielen Familien bei ihrer Weihnachtsfeier gelesen. Die Umstände der Geburt Jesu sind sehr geheimnisvoll. Eine Jungfrau wird vom Heiligen Geist schwanger. Hirten und Sterndeuter aus dem Morgenland (Matthäus 2,1-12) erweisen dem Neugeborenen ihre Reverenz.

Alle diese schönen Szenen wurden auch in der Kunst verarbeitet. Einen wunderbaren Ausdruck hat die Weihnachtsgeschichte im Weihnachts-Oratorium von Johann Sebastian Bach gefunden.

Von der Kindheit und Jugend des Mannes aus Nazareth wissen wir wenig. Es wird berichtet, dass Jesus wie jeder jüdische Knabe am achten Tage beschnitten wurde (Lukas 2,21-40). Lukas erzählt eine Episode vom zwölfjährigen Jesus im Tempel (2,41-52).

Auch von der Familie von Jesus wissen wir nicht viel. Jesus hatte noch Brüder und Schwestern, aber sie treten in den Evangelien kaum in Erscheinung. Der Nährvater Jesu war Zimmermann (Matthäus 13,55). Dürfen wir daraus schliessen, dass Jesus selbst auch dieses Handwerk erlernt hat?

Die wenigen Angaben über die Geburt und Kindheit Jesu sind hoch brisant. Es geht nämlich um nicht mehr und nicht weniger, als dass der lebendige Gott in Jesus von Nazareth Mensch wurde. Gott bekam ein sichtbares menschliches Angesicht.


Öffentliches Wirken

Etwa 30 Jahre lang lebt Jesus unbeachtet von der Öffentlichkeit. Dann tritt er plötzlich ins grelle Rampenlicht. Jetzt berichten auch alle Evangelisten ausführlich von seinem Tun und Reden.

Jesus tritt mit einem symbolträchtigen Akt an die Öffentlichkeit. Er lässt sich von Johannes dem Täufer am Jordan taufen (Matthäus 3,13-17). Johannes ist so etwas wie der letzte alttestamentliche Prophet, der Israel zur Umkehr ruft. Die Zeichenhandlung am Jordan macht deutlich, wer dieser Jesus von Nazareth ist. Eine göttliche Stimme vom Himmel sagt: "Dies ist mein geliebter Sohn…"

Kurz darauf versucht der Teufel, Jesus von seinem Weg abzubringen (Matthäus 4,1-11). Der Widersacher will Jesus nicht vom Weg in die Öffentlichkeit abhalten, sondern vom Weg zum Kreuz.

Jesus führt das Leben eines "Wanderrabbis". Er reist im Land herum und verkündet den Menschen das Reich Gottes. Er beruft zwölf Jünger in seine Nachfolge. Einerseits predigt Jesus, andererseits tut er aber auch Aussergewöhnliches. Er heilt Kranke und stillt einen Seesturm.

Jesus gerät bald in Konflikt mit den jüdischen Führern. Zu den Gegnern Jesu gehören auch die Pharisäer. Sie sind nicht so schlecht wie ihr Ruf. Sie stellen so etwas wie eine "jüdische Greenpeace"-Bewegung dar. Nicht jeder Pharisäer ist ein Heuchler. Im Konflikt mit Jesus ist das aber gar nicht der entscheidende Punkt.

Ein Befreier – anders als die Leute erwarten

Jesus tritt auf mit der Botschaft: "Das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen!" (Matthäus 4,17). In Jesus nimmt sich Gott der Welt nochmals ganz neu an. In einer politisch brisanten Lage sagt Jesus, er sei der Befreier.

Im ersten Jahrhundert war der grösste Teil des Nahen Ostens von den Römern besetzt. Viele Juden hofften, dass Gott einen Befreier schicken würde, der sie von den verhassten Römern befreien konnte. Es kamen auch etliche selbsternannte Befreier, die aber kläglich scheiterten.

In seinen Worten und Taten definiert Jesus genau, wie er sich als "Befreier" verstanden wissen will. Wenn er von sich selbst spricht, nennt er sich "Sohn des Menschen". Er verzichtet auf den politisch vorbelasteten Begriff "Messias". - Später erst erkennen die Jünger Jesus als den wahren Messias und nennen ihn deshalb "Christus", was die Übersetzung von Messias ist.

Jesus verkündigt den Menschen die Liebe des lebendigen Gottes. Am Kreuz befreit er die Menschen von ihrer Sündenlast. Den Sieg erringt Jesus nicht auf dem Schlachtfeld, sondern am Kreuz von Golgatha und bei der Auferstehung.

Botschaften: immer noch aktuell

Das Echo der Worte dieses jungen Rabbis ist auch nach zweitausend Jahren noch nicht verstummt. Zwei herausragende Reden von Jesus müssen hier genannt werden.

Die Bergpredigt findet sich in den Kapiteln 5-7 des Matthäusevangeliums. Jesus tritt als vollmächtiger Lehrer der Torah (Gesetz des Mose) auf. In diesem Text finden wir so bekannte Texte wie die "Seligpreisungen" und das "Unser Vater". Jesus bringt mit dieser Rede zum Ausdruck, was es heisst, als das Volk Gottes zu leben. Die Rede Jesu geht aber über die unmittelbare Zuhörerschaft hinaus und zeigt allen Menschen, was es heisst im Reich Gottes zu leben.

Die zweite bedeutende Redeeinheit von Jesus in den Evangelien stellen die Gleichnisse dar. Diese einfachen Geschichten haben sich in die Seele des christlichen Abendlandes eingeprägt. Die Gleichnisse vom verlorenen Sohn und vom barmherzigen Samariter sind den meisten Menschen vertraut.

Das Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lukas 15,11-32) führt auf drei Hauptaussagen:

1. So wie der verschwenderische Sohn immer die Möglichkeit hat, Busse zu tun und umzukehren, so haben auch Sünder immer die Möglichkeit umzukehren.

2. So wie der Vater immer bereit ist für eine Versöhnung, so ist Gott bereit, allen zu vergeben, die zu ihm zurückkehren.

3. So wie der ältere Bruder die Wiederaufnahmen des Jüngeren nicht hätte verachten sollen, so sollten auch die, die behaupten, Gottes Volk zu sein, nicht wütend werden, sondern sich freuen, wenn Gott seine Gnade auf die ausdehnt, die es nicht verdient haben.

Das Leiden und der Tod

Drei Tage im Leben Jesu werden in den Evangelien unverhältnismässig ausführlich behandelt. In diese Zeit gehören der Verrat des Judas (mit dem "Judaskuss"), das Abendmahl, Jesu Gebet im Garten Gethsemane, das Verhör vor Pilatus und die Kreuzigung selbst. Es geht um die Leidensgeschichte, die Passion. Die Evangelisten zeigen, dass diese Phase der entscheidende Abschnitt im Leben des Wanderrabbis war.

Warum steht der Tod am Kreuz an so zentraler Stelle im Neuen Testament? Ich sehe zwei Gründe dafür.

1. Jesus verkündete seine Botschaft von der Liebe des himmlischen Vaters kompromisslos. Die religiösen Führer hatten nur zwei Möglichkeiten: Entweder glaubten sie an diesen Messias oder er war ein Volksverführer und musste hingerichtet werden. Für die römischen Machthaber lag das Missverständnis nahe, dass es sich hier um einen Terroristen handelte.

2. Jesus sah in seinem Tod den Sinn seiner Sendung. In Markus 10,45 heisst es: "Denn auch der Sohn des Menschen ist nicht gekommen, damit ihm gedient werde, sondern damit er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für die vielen." Jesus gab sein Leben als Sühne für die Menschen hin. Das heisst: Jesus ist diesen Weg bewusst gegangen.


Die Auferstehung

Nach Karfreitag kommt Ostern, nach der Kreuzigung die Auferstehung. Der Tod am Kreuz war bei Jesus nicht das Ende der Geschichte. Nach drei Tagen ist er wieder vom Tod auferstanden. Die Evangelien berichten nicht, wie Jesus auferstanden ist, sondern sie zeigen die Folgen dieses Wunders auf. Anhängerinnen, die den Leichnam einbalsamieren wollen, finden das Grab leer. Jesus erscheint seinen Jüngern.

Ohne die Auferstehung wären die Evangelien wohl gar nie geschrieben worden. Die Jesusbewegung wäre wie viele messianische Bewegungen damals zusammengebrochen und in Vergessenheit geraten.

Doch die zuvor völlig entmutigten Jünger treten plötzlich als mutige Zeugen von Jesus Christus auf. Auch Todesdrohungen können sie nicht mehr daran hindern, Jesus als den Retter der Menschen zu proklamieren.

Das menschliche Angesicht Gottes entdecken

Das Evangelium trat nach Ostern einen unvergleichlichen Siegeszug in der Welt an. Der grosse russische Schriftsteller Leo Tolstoi (1828-1910) war fasziniert von der Botschaft Jesu. In seinem Altersroman "Auferstehung" lässt er den Grafen Nechljudow ein Neues Testament aufschlagen. Der vergnügungssüchtige Graf hat einen schmerzhaften Weg hinter sich, auf dem er geläutert wurde. Jetzt ist Nechljudow allein in seinem Zimmer im Gasthaus und bedenkt nochmals das Vergangene. Von Unruhe gepackt schlägt er das Neue Testament auf. Tolstoi schreibt:

„Hierauf trat er in das Licht der brennenden Lampe und wurde starr. Ein lange nicht mehr empfundenes Entzücken ergriff seine Seele, gerade als wenn er nach langen Qualen und Leiden plötzlich Ruhe und Frieden gefunden hätte.

Er schlief die ganze Nacht nicht, und wie es mit vielen und abervielen geht, die das Neue Testament lesen, verstand er zum erstenmal beim Lesen die ganze Bedeutung der Worte, die er schon oft gelesen und nicht erfasst hatte. Wie die Lippe das Wasser, sog er das Nötige, Wichtige und Freudige in sich auf, was sich ihm in dem Buche offenbarte.

Und alles, was er las, schien ihm bekannt, schien ihm zu bestätigen und zum Bewusstsein zu bringen, was er schon lange vordem gewusst, sich aber nicht eingestanden, nicht geglaubt hatte. Jetzt aber gestand er es sich ein und glaubte es.“

Die Botschaft des Evangeliums veränderte das Leben dieses Grafen vollständig. In den Worten des Neuen Testaments entdeckte er das menschliche Angesicht Gottes.

Datum: 25.04.2002
Autor: Martin Forster
Quelle: Jesus.ch

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