Hochspannung in Jerusalem (2)
Jesus: Er nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn er über die Religiösität seiner Landsleute spricht.
Wie kann Jesus die Frömmigkeit der Juden – in Jerusalem steht Gesetzestreue hoch im Kurs – derart karikieren!? Die beissende Kritik lassen die beiden Gruppen, die in religiösen Dingen das Sagen haben, nicht auf sich sitzen. Die Pharisäer, welche die strikte Befolgung aller Vorschriften des Gesetzes lehren, und die Sadduzäer, die sich die Freiheit nehmen, das Gesetz ‚zeitgemäss’ auszulegen, müssen reagieren. (Matthäus berichtet darüber in den Kapiteln 22-23 seines Evangeliums.)
Vertreter der Pharisäer, die wegen ihrer Distanz zur römischen Besatzungsmacht im Volk viel populärer sind, stellen Jesus eine Fangfrage: Kann es vor Gott Recht sein, dem heidnischen Kaiser Steuern zu zahlen? Was sie eigentlich wissen wollen: Erweist er sich als Rebell – oder kriecht er vor den Römern? Der Mann aus Nazareth steht über diesen Polen. Mit Verweis auf die Prägung einer Münze macht Jesus klar: Die Steuer steht dem Römer zu –was aber erhält Gott, der wahre König, von seinem Volk? Diese Frage bringt auf den Punkt, was Jesus in seinen drei Geschichten angedeutet hat.
Die Kraft Gottes in der Auferstehung
Die anwesenden Sadduzäer grinsen: Den Pharisäern hat er Saures gegeben. Sie konfrontieren Jesus mit einer Geschichte, die nach ihrer Auffassung das Absurde der Auferstehung aufzeigt: Wenn ein Mann kinderlos stirbt, soll sein Bruder (so will es das Gesetz) seine Frau heiraten, damit sie Kinder zur Welt bringt und sein Geschlecht so erhalten bleibt. Wessen Frau wäre diese Gattin mehrerer Männer in der künftigen Welt, bei der Auferstehung?
In der Antwort von Jesus überrascht die Schärfe des Urteils: „Ihr Sadduzäer, ihr kennt weder die Schrift noch die Kraft Gottes!“ In der Auferstehung, wenn Gott alles neu macht, wird seine Herrlichkeit alles bestimmen; in seinem Licht wird eheliche Bindung unbedeutend. Jesus setzt noch einen drauf und zitiert eine wohlbekannte Aussage Gottes: „Ich bin der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs.“ Wenn er, der ewig lebt, sich über die Beziehung zu den gestorbenen Erzvätern definiert – dann müssen sie leben, dann gibt es die Auferstehung. „Gott ist nicht ein Gott der Toten, sondern der Lebenden!“
Schlag auf Schlag
Ein Raunen geht durch die Menge. Sprachlos stehen sie da, die gewieften Sprecher der mächtigen Familien der Stadt, welche das Tempelbusiness kontrollieren. Damit hat keiner gerechnet. Später, nach ihrem Abgang, nimmt sich Jesus die Pharisäer vor und stellt ihnen seinerseits eine Frage: Der Messias, der von Gott verheissene Gesandte, der das Volk befreien und wiederherstellen soll, wird in den Heiligen Schriften einerseits als ‚Sohn Davids’ bezeichnet. Anderseits nennt ihn David selbst in einem Psalm, den er gedichtet hat, seinen Herrn. Wie geht das? Die Pharisäer sind überfordert – auf die Frage wissen sie keine Antwort.
So hat Jesus den Anspruch beider Gruppen demontiert, das Volk in religiösen Dingen zu leiten. Ihre Autorität bröckelt. Den Pharisäern billigt er immerhin zu, dass sie Grundlegendes richtig sehen, aber ihre pingelige Gesetzlichkeit, verbunden mit selbstgerechter Lebensführung (sie erlegen den Armen auf, was sie selbst nicht halten), disqualifiziert sie. „Ihr Heuchler!“ fährt Jesus ihnen an den Karren. „Ihr gebt den Zehnten von Minze, Dill und Kümmel (und gebt so vor, Gott besonders gut zu dienen), aber das Wichtigste im Gesetz lasst ihr beiseite: das Recht, die Barmherzigkeit und den Glauben.“
Das Gebot, das alles in sich schliesst
Kurz: Es braucht eine neue Auslegung des Gesetzes, die die Beziehung zum gütigen, liebenden Gott nicht mit Hunderten von Einzelvorschriften verstellt, die den Blick auf sein zentrales Gebot freigibt und das Leben von daher Gestalt gewinnen lässt. Von einem Pharisäer darauf angesprochen, formuliert es Jesus: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt – und du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ Darauf kommt es an: Gott ohne Vorbehalte, ohne Halbheiten und Einschränkungen lieb zu haben – und dann auch die Mitmenschen und sich selbst im Licht von Gottes Zuwendung zu lieben.
Der ganze Wust hohler, rechthaberischer Frömmigkeit steht dem Leben mit Gott im Wege. Jesus hat seine Freunde gelehrt, ihn im Gebet anzureden als „Unser Vater im Himmel“. In diesen Tagen in Jerusalem lädt er die Juden ein, Gott neu kennenzulernen. Sie sollen sich nicht auf alte Ansprüche und religiöse Gewissheiten verlassen. Diese tragen nicht. Sie sollen ihn nicht abweisen, wenn er ihnen jetzt neu seine Gnade, seine Vergebung und damit sein Heil anbietet.
… und heute?
Dasselbe Angebot (samt der Mahnung) macht Jesus Christus heute allen Menschen, die sich in religiöser Sicherheit wähnen. Er hat in Jerusalem Gottes Willen getan. Die Karwoche und die Osterzeit sind eine Gelegenheit, ihn neu ins eigene Leben hinein reden zu lassen. So kann eine neue Liebe zu Gott und den Mitmenschen wachsen.
Lesen Sie auch Hochspannung in Jerusalem (1)
Das Ostern-Magazin von Jesus.ch: www.jesus.ch/ostern
Autor: Peter Schmid
Quelle: Jesus.ch