Palmzweige für den Galiläer

Tage vor dem Passahfest steigt in der jüdischen Hauptstadt Jerusalem die Spannung: Wird der Galiläer, der Wundertäter wieder auftreten? Oder hält sich Jesus vom Machtzentrum fern, in dem gewiefte jüdische Politiker sich mit den brutalen römischen Besetzern halbwegs arrangiert haben?


Manche schlagen Zweige von den Palmen, um Jesus zu huldigen. Bild: PixelQuelle.de

An diesem Tag wird klar: Jesus scheut die Auseinandersetzung nicht. Er kommt in die Stadt! Im Strom der vielen tausend Festpilger könnte er unbemerkt das Tor passieren und sich verbergen. So könnte er der Verhaftung (die seine Feinde nach heftigen Wortgefechten in den Vorjahren erwägen) entgehen. Doch Jesus ist nicht der Prediger einer Liebe, die fünfe gerade sein lässt. Er will auch Gerechtigkeit. Ihn beschäftigen die Machtverhältnisse im Tempelbezirk, dessen Pracht nach der ungeheuer aufwändigen Erweiterung die Stadt völlig in den Schatten stellt. Das Volk wird zum Opfern, Steuerzahlen und Kuschen angehalten; für die reichen Familien Jerusalems und die Priester im Tempel fällt mehr als genug ab. Gottes Werte und Gebote treten bei dieser Realpolitik – ohne die Römer keine Stabilität – in den Hintergrund.

Friedfertig und gewaltlos

Jesus kommt nach Jerusalem, und diesmal in aller Öffentlichkeit. Mit einer Symbolhandlung tut er kund, wie er sich versteht und welches Regiment der Stadt mit dem Tempel des Gottes Israels angemessen wäre. Er reitet auf einem Eselfüllen! Damit ruft er die Worte eines der letzten Propheten, die in Jerusalem gewirkt haben, in Erinnerung – Worte, die dem geknechteten Volk vertraut sind. Der Prophet Sacharja hat vor 20 Generationen den Jerusalemern einen König angekündigt, der auf „einem Füllen, dem Jungen eines Lasttiers reitet“. Ein gerechter Herrscher werde dies sein, sagte Sacharja. Im Kontrast zum stolzen Ross der Gewaltherrscher symbolisiert das Lasttier Frieden und Menschenfreundlichkeit.

Der König auf dem Esel

Tatsächlich reitet Jesus auf einem Eselsfüllen, auf dem noch nie jemand gesessen hat. Es folgt seiner Mutter Richtung Jerusalem – bald durch eine Gasse begeisterter Menschen. Denn wie ein Lauffeuer hat sich die Nachricht ausgebreitet. Zu Hunderten stehen sie am Weg. Nicht wenige haben Jesus in Galiläa erlebt, seine Predigten gehört, seine Wunder gesehen. Doch da wollte er nicht ihr König sein. Jetzt aber, sagen sie einander, erhebt er Anspruch auf die Würde, die ihm zusteht.

Der Sohn Davids – da ist er!

Manche legen, um den Friedenskönig zu ehren, ihre Kleider in den Staub. Andere hauen Zweige von den Palmen, um Jesus zu huldigen. Vor ihm her schreitet eine Menge, hinter ihm folgen noch mehr Leute. Sowas haben seine Begleiter noch nie erlebt. Die Leute lassen ihn mit lautem Geschrei und begeisterten Rufen hochleben: „Hosianna dem Sohn Davids! Gelobt sei der, der im Namen des Herrn kommt! Hosianna in der Höhe!“ (Hosianna ist kaum zu übersetzen, obwohl im Wort das Verb ‚retten’ steckt; vermutlich ist es eine Huldigung) Als „Sohn Davids“ wird ein Herrscher erwartet, der wie David, der grösste König in der Geschichte der Israeliten, dem Land Frieden und Wohlstand bringen soll. Da Propheten diese Bezeichnung auch gebraucht haben, verbinden die Menschen mit ihr eine göttliche Sendung.

Skandal im Tempel

Der Auflauf, der sich langsam aufs Stadttor zu bewegt, wirkt in ihren Mauern wie ein kleines Erdbeben (Matthäus braucht das entsprechende griechische Wort seio). Unruhe macht sich breit – denn die meisten Jerusalemer kennen den Galiläer nicht näher: „Wer ist dieser Mann, dass man ihn zum König ausruft?“ Die Verantwortlichen im Tempel dagegen wissen sehr wohl, um wen es sich handelt – und werden dennoch von Jesus überrascht, einmal mehr. Der Friedenskönig lässt es nicht beim Eselritt bewenden. Er betritt die Tempelhallen, in denen Pilger ihre Münzen gegen Jerusalemer Währung tauschen und Opfertiere kaufen. Die Tische der Geldwechsler stösst Jesus um und jagt die Tierverkäufer davon. Nicht hier! ruft er und schleudert ihnen den ätzenden Satz des Propheten Jesaja ans Gesicht: Sie hätten aus dem Bethaus Gottes eine Räuberhöhle gemacht!

Friedfertig ist er, aber entschlossen, Gottes Geboten in seinem Heiligtum Nachachtung zu verschaffen. Jesus ist ein König zum Anfassen, aber einlullen lässt er sich nicht. Von Huldigungen unbeirrt sucht er den Willen Gottes zu tun. Er ist in Jerusalem – dem Ziel nahe.


Autor: Peter Schmid
Quelle: Jesus.ch

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