Aus dem Iran geflüchtet
«Hoffnung bedeutet, auf Gott zu vertrauen»
Dabrina Bet-Tamraz wächst als Aramäerin in Teheran im Iran auf und wird dort aufgrund ihres Glaubens verfolgt. Schlussendlich muss sie das Land verlassen. Dabrina lebt heute in Wettingen AG und erzählt aus ihrem Leben.
Ich treffe Dabrina in ihrer modern eingerichteten Wohnung in Wettingen AG. Diese befindet sich in einem Wohnblock, der nur fünf Gehminuten von der FEG Baden-Wettingen entfernt liegt, in der sie als Pastorin arbeitet. Dabrina bietet mir sofort Kaffee oder Tee an und wir setzen uns an ihren Esstisch.
Wie haben Sie Verfolgung im Iran erlebt?
Dabrina Bet-Tamraz: Schon als Kinder wussten mein Bruder und ich, dass Christen im
Iran verfolgt werden. Jedoch hatten wir wenig Kontakt zu Muslimen, da
wir auf eine katholische Schule gingen. In meiner Jugend habe ich mich
noch fleissig im Islam engagiert. Dort konnte ich Gott aber nicht
kennenlernen, denn Fragen zu stellen ist im Islam ein No-Go. An einem
Pfingstsonntag hatte ich schliesslich meine erste Begegnung mit dem
christlichen Gott. Ich war in der Kirche meines Vaters, als ich
plötzlich spürte, wie mich jemand von hinten umarmt, jedoch war
niemand hinter mir. Dann hörte ich eine Stimme und das Gesagte wurde
mir später durch zwei verschiedene Personen bestätigt.
Als ich acht Jahre alt war, wurde die Verfolgung von Christen schlimmer. Die Regierung liess mehrere Pastoren durch andere Gemeindemitglieder umbringen. Mein Vater wurde oft verhört und war teilweise tagelang weg, ohne dass wir wussten, wo er war. Mit 17 ging ich nach England, um Theologie zu studieren und einige Jahre später zurück in den Iran, um ein Psychologiestudium anzufangen. Im Jahr 2009 wurde dann unsere Kirche geschlossen und die regelmässigen Verhöre wurden unangenehmer und respektloser. Nach einigen Drohungen und meiner Verweigerung zur Kooperation wurde ich schliesslich von der Universität ausgeschlossen. Meine Eltern schickten mich daraufhin ins Ausland.
Was war beim Neuanfang in der Schweiz die grösste Herausforderung für Sie?
Zuerst dachte ich, dass ich bald wieder in den Iran
zurückkönne. Am Anfang war ich sehr einsam, ich verstand die Sprache
nicht, hatte keine Kontakte und musste wieder von Null anfangen. Die
grösste Herausforderung war aber, kein Ziel und keinen Plan mehr zu
haben. Mit dem Asylantentitel hat man nicht die Möglichkeit, für die
Zukunft zu planen, denn man darf weder studieren noch arbeiten.
Wie konnten Sie sich dann ein neues Leben aufbauen?
Als erstes suchte ich mir eine Gemeinde, in der ich mich wohl
fühlte. Das fand ich im ICF International in Zürich. In der Kirche
knüpfte ich Beziehungen und fand neue Freunde. Später zog ich nach
Weinfelden, wo ich tiefere Wurzeln schlagen und eine neue Familie finden
konnte.
Was sind die grössten kulturellen Unterschiede zwischen der Schweiz und dem Iran?
Die asiatische Kultur ist eine Wir-Kultur, die europäische ist
eher eine Ich-Kultur. Hier ist man individualistisch orientiert, es
geht darum, wie es mir geht und wie ich mich fühle. Die Asiaten denken
eher als ganze Familie, Kirche oder Gesellschaft. Beide Kulturen haben
Vor- und Nachteile.
Was ist am Glauben der Schweizer anders?
Schweizer sind wirklich treu. Ich sehe viel Sehnsucht, wirklich
mit Gott zu leben und Jesus nachzufolgen. Sie sind aktiv im Glauben und
im Dienst in der Gemeinde. Auch finanziell habe ich die Schweizer als
sehr grosszügig erlebt und ebenfalls im Umgang mit anderen wie
Flüchtlingen und Ausländern. Im Iran ist es nochmals etwas ganz
anderes, wenn man wegen seines Glaubens verfolgt wird. So haben auch die
Kirche und die Gemeinschaft unter Christen eine ganz andere Bedeutung.
Dann heisst es, erwartungslos zu vertrauen, ohne nach dem Warum zu
fragen und auch mal zu akzeptieren, dass nicht alles gut und einfach
ist. Diese Hingabe und die Leidenschaft fehlen mir manchmal in der
Schweiz.
Braucht ein Schweizer Gott überhaupt noch?
Egal ob wir in der Schweiz, im Iran oder in Afrika leben, egal
ob wir reich oder arm sind, Menschen brauchen Gott immer. Denn er ist
der Schöpfer und macht das Leben bedeutungsvoll. Es gibt ganz viele
Theorien und Beweise, warum es das Leben gibt und was einmal nach dem
Tod sein wird, aber das Leben ist ohne ihn vergeblich. Er gibt dem Leben
einen Sinn und deshalb brauchen wir ihn. Das geht nicht anders. Ich
denke, in der Schweiz sind Individualismus und Humanismus die grössten
Hindernisse für den Glauben. Diese Selbstgenügsamkeit, dass man ein
schönes Leben hat und alles selbst schaffen kann, finde ich sehr
schlimm. Oder auch, dass man sich einredet, ein guter Mensch zu sein.
Man stellt sich damit auf das gleiche Level wie Gott.
Was bedeutet das Wort «Hoffnung» für Sie?
Hoffnung bedeutet für mich, auf Gott zu vertrauen. Nicht zu
wissen, was in Zukunft passiert und trotzdem zu vertrauen, dass Gott es
gut machen wird, egal wie es kommt. In meinem Leben gab es viele
Situationen, die hoffnungslos aussahen und mir das Gefühl gaben,
hilflos zu sein. Diese Situationen stellten mich vor die Wahl, den
Glauben aufzugeben oder auf Jesus zu schauen und auf sein Eingreifen zu
warten. Gerade in diesen Zeiten zeigte mir Gott, dass er für mich
kämpft und dass meine Freiheit in seiner Hand liegt und nicht in der
Hand von Menschen. Es ist wie in der Bibel in 1.Timotheus, Kapitel 4, Vers 10:
«Es weist auf das Ziel hin, für das wir uns abmühen und für das wir
kämpfen; denn wir haben unsere Hoffnung auf den lebendigen Gott
gesetzt, und er ist der Helfer und Retter aller Menschen – in besonderer
Weise derer, die an ihn glauben.»
Welche Hoffnung haben Sie für die Region Baden-Wettingen?
Ich will sehen, wie Menschen zu Jesus kommen und wie die
Gemeinde wächst. Nicht nur zahlenmässig, sondern vor allem in der
Beziehung zu Gott. Mein Wunsch ist, dass die Menschen eine authentische,
ehrliche Beziehung zu ihm und zu anderen pflegen und nicht auf die
religiösen Pflichten fokussiert sind. Ich bete und sehne mich nach
lebensverändernden Begegnungen, die Menschen mit dem lebendigen Gott
haben. Er sucht die Gemeinschaft mit jedem, der offen ist, ihn
kennenzulernen.
Möchten Sie wieder zurück in den Iran gehen?
Langsam ist die Schweiz zu meiner Heimat geworden und ich
merke, wie ich mich in den letzten Jahren verändert habe. Ich würde
zwar immer gerne zurück in den Iran gehen, aber das ist momentan nicht
möglich. Auch meine Eltern sind inzwischen in die Schweiz geflohen und
haben hier eine Wohnung gefunden. Ich möchte einfach Gott folgen und
dahin gehen, wo er mich hinführt. Wo auch immer das sein mag.
Dieser Artikel erschien in der Regiozeitung «Hope-Stories» Baden-Wettingen und Reusstal.
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Quelle: jesus.ch-Print