Kein Corona-Egoismus
WWJD in Zeiten von Krankheit und Panik
Vor einigen Jahren gab es die Bewegung «What would Jesus do?» – Was würde Jesus tun? Die Idee: Christinnen und Christen fragen sich bei allem, was sie tun, zuerst einmal, was wohl Jesus in ihrer Situation machen würde. In Zeiten von Covid-19 und vielen protektionistischen Gedanken bekommt dieses Denken eine ganz neue Aktualität.
Ein Grossteil aller Veröffentlichungen über die Ausbreitung des Coronavirus' und der Krankheit COVID-19, die er verursacht, dreht sich um folgende Fragen: Wie kann ich mich schützen? Wie können wir als Gemeinschaft / Familie / Nation verhindern, dass wir krank werden? Das betrifft die säkulare Berichterstattung. Donald Trump hat sicher übers Ziel hinausgeschossen, als er von einem «foreign virus» sprach, einem ausländischen Virus, aber er fasst das Denken vieler Menschen gut zusammen: Die Bedrohung kommt von aussen. Wie schütze ich mich?
Die Berichterstattung in christlichen Medien geht in eine ähnliche Richtung: Sollen wir unseren Gottesdienst für eine Weile aussetzen? Umarmen wir uns oder sagen wir aus einem Meter Entfernung: «Hallo»? Wie feiern wir das Abendmahl?
Was ist sinnvoll?
All diese Fragen sind keine Nebensächlichkeiten, sondern tatsächlich relevant. Ich als Einzelner muss meinen Weg finden, wie ich mit der sehr realen Bedrohung umgehe, krank zu werden, und auch andere anzustecken. Wir als Gruppen und Gemeinden müssen einen Weg finden, wie wir Verantwortung füreinander übernehmen. Informieren wir und treffen uns weiterhin zum Gottesdienst? Pausieren wir den Gottesdienst und verweisen stattdessen auf virtuelle Angebote?
Heute (Stand 13.3.) scheinen diese Gedanken alle nebeneinander möglich zu sein. Noch gibt es (in Deutschland) keine konkreten Einschränkungen, die ein Begegnungen mit weniger als 1'000 Menschen unterbinden. Trotzdem ist es sinnvoll zu fragen: Was kann mein Beitrag dazu sein, die Ausbreitung von Covid-19 zu verlangsamen oder sogar zu verhindern?
Was sagt die Geschichte?
Immer wieder werden dazu Vergleiche mit der Geschichte herangezogen, die sich zum Beispiel mit der Grippewelle 2017/18 beschäftigen, die allein in Deutschland über 25'000 Tote forderte. Vielleicht ist hier ein Blick in die viel entferntere Vergangenheit hilfreich.Der Religionssoziologe Rodney Stark veröffentlichte bereits 1996 eine interessante Studie: «The Rise of Christianity – Der Aufstieg des Christentums. Wie die unbedeutende, am Rand stehende Jesusbewegung in wenigen Jahrhunderten zur beherrschenden religiösen Kraft der westlichen Welt wurde». In diesem Wachstumsbericht der frühen Christen spielt Krankheit eine wichtige Rolle:
Die Geschichte berichtet von zwei grossen Epidemien, die während der ersten Jahrhunderte die gesamte damals bekannte Welt heimsuchten: 165 bis 180 und dann noch einmal um 260 nach Christus. Stark betont, dass dies interessanterweise kaum je in Verbindung mit der Ausbreitung des christlichen Glaubens bzw. dem Niedergang des heidnischen Römischen Reichs gebracht wird. Doch diese Krisen, bei denen mehr als ein Drittel der Bevölkerung im Römischen Reich starb – Christen wie Nichtchristen –, warfen starke Fragen auf: Was war die Ursache? Wie konnte man entkommen? Was gab Hoffnung oder Heilung? Dies war die grosse Stunde der christlichen Minderheit mit ihrer ewigkeitsbezogenen Botschaft.
Christen als beispielslose Helfer
Viel wichtiger aber war es, dass die Christen aktiv wurden. Der Kirchenvater Dionysus hält fest: «Die meisten unserer christlichen Brüder zeigten grenzenlose Liebe und Treue. Sie schonten sich selbst nie und dachten nur an andere. Ohne Rücksicht auf die Gefahr kümmerten sie sich um die Kranken…» (S. 82). Gleichzeitig betont er: «Die Heiden verhielten sich genau entgegengesetzt. Beim ersten Anschein der Krankheit stiessen sie die Leidenden weg und flohen von ihren Liebsten, warfen sie auf die Strasse, bevor sie gestorben waren, und behandelten ihre Leichen wie Dreck…» (S. 83).
Es scheint ein typisches Kennzeichen gewesen zu sein, dass von den Heiden floh, wer immer es konnte – z. B. auch der berühmte Arzt Galenos. Seine Flucht galt nicht einmal als verwerflich, weil jeder so gehandelt hätte, eben bis auf die Christen. Die blieben, versorgten die Kranken, pflegten sie gesund oder begruben sie – und viele starben mit ihren Nachbarn. Kaiser Julian, der Enkel Konstantins, war bestrebt, das Rad der Geschichte auf «vorchristlich» zurückzudrehen. Er schrieb verbittert: «Die ungläubigen Galiläer [= Christen] helfen nicht nur ihren eigenen Armen, sondern unseren genauso; jeder sieht es, dass unsere Leute keine Hilfe von uns bekommen» (S. 84).
Neue Beziehungen bewirkten Wachstum
So wurden die verschiedenen Konzepte von Liebe sehr deutlich: Heidnische Götter lieben nicht. Der christliche Gott liebt unterschiedslos – und fordert dazu auf, es ihm gleichzutun. Er bietet auch noch Rettung an – wenn nicht hier und zeitlich, dann ewig. Ausserdem, so zitiert Stark den kanadischen Historiker McNeill, «wenn alle normalen Hilfen kollabieren, reduziert bereits eine Grundversorgung die Sterblichkeitsrate deutlich!» (S. 88). So stieg auch die Heilungsrate bei Christen und von ihnen versorgten Menschen, was von allen (!) als Wunder wahrgenommen wurde.
Die Hauptauswirkungen auf das Wachstum der christlichen Bewegung sieht Stark einerseits im Bankrott der heidnischen Denksysteme und den attraktiven (neu entstandenen) Beziehungen von Heiden zu Christen. Aber auch die Heilungsrate spielt eine wichtige Rolle. Es flohen und starben mehr Heiden als Christen, sodass deren Anteil (und gleichzeitig Beziehungsnetz und Reputation) in der Bevölkerung sehr deutlich stieg. Stark nimmt einen statistischen Anteil von 0,4 Prozent Christen um das Jahr 160 an, nach der zweiten Pandemie erreicht er in vielen Städten nach seiner Schätzung bis zu 25 Prozent.
Was würde Jesus tun?
Corona ist kein Mittel zur Mission. Aber es ist auch keine Krankheit, die nichts mit dem Christsein zu tun hat. Jesus hat sich in den Evangelien an keiner Stelle zu theologischen Grundsatzfragen über Krankheiten und Probleme der Menschheit geäussert. Gleichzeitig hat er jedem Bedürftigen vermittelt: «Ich bin für dich da.»
WWJD. Was würde Jesus tun? Was täte Jesus hier und heute in Zeiten von COVID-19? Würde er sich und die Seinen in Sicherheit bringen? Würde er hamstern und versuchen, seine Versorgung sicherzustellen? Oder würde er neben einem vernünftigen Umgang mit der Realität schauen, wie er für andere da sein kann, die Angst haben, die von der Krankheit bedroht oder bereits betroffen sind?
Diese Frage ist weder rhetorisch noch einfach zu beantworten. Aber tatsächlich sind es Fragen wie diese, die ein echter «Lackmustest» fürs Christsein sind. Immer wieder legen einzelne Christen fest, woran man einen «echten» Gläubigen erkennt: am Ablehnen von Abtreibung. Am Ablehnen von Homosexualität. Am Ablehnen von irgendwelchen «wichtigen» Fragen. Tatsächlich spricht die Bibel recht deutlich von dem einzigen wirklichen Erkennungszeichen für Christen: «Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt» (Johannes, Kapitel 13, Vers 35).
Was würde Jesus tun? Auch im Zeichen von COVID-19 würde er lieben. Er würde sich diese Liebe etwas kosten lassen. Und er ruft uns dazu auf, dasselbe zu tun – wie auch immer das aussieht.
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Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet
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