Heimpfarrer über Coronavirus
Markus Müller: «Der christliche Glaube lebt aus Vertrauen statt Panik»
Als Heimpfarrer im Zentrum Rämismühle beschäftigt sich Markus Müller automatisch mit dem Coronavirus. In einer solchen Situation biete der christliche Glaube eine hohe Kompetenz. «Der christliche Glaube lebt aus
Vertrauen statt Panik. Möglicherweise haben wir als Christen zur Zeit gerade
dies neu zu lernen», sagt Markus Müller im Interview mit Livenet.Livenet: Markus Müller, bereits
vor dem Bund haben Sie betreffend dem Coronavirus erste Massnahmen getroffen.
Können Sie erklären, welche?
Markus Müller: Getroffen haben wir diese
Massnahmen, weil es unsere konstante Aufgabe ist, sorgfältig mit persönlichen
physischen, psychischen und sozialen Gefährdungen umzugehen. Bei jeder bisherigen
Grippewelle fragten wir uns, an welche letztlich selbstverständlichen
Massnahmen wir uns halten und halten wollen. Von daher war es für uns bereits
seit dem Auftreten der ersten Fälle von Coronavirus in der Schweiz naheliegend,
dass wir bei Begrüssungsritualen Zurückhaltung üben, dass wir auf das
Händedrücken bei Begrüssung und Verabschiedung verzichten, dass wir auf das
Händewaschen besonderen Wert legen und dass wir das Abendmahl vorläufig
aussetzen.
Was fällt den
Menschen besonders schwer?
Bekanntlich
lieben alle Gewohnheiten. Es ist deshalb nicht einfach, solche Gewohnheiten zu
hinterfragen. Aber vielleicht gibt es auch einen Nutzen. Bei der Ankündigung,
beim Besuch der Andachten bewusst auf das Reichen der Hand zu verzichten, haben
wir dazu eingeladen, sich den gegenseitigen Respekt und die gegenseitige
Wertschätzung, die wir ja durch das Händeschütteln ausdrücken, über die Blicke
und den Blickkontakt zu vermitteln. In dieser Art der gegenseitigen Achtung
sind wir bestimmt alle ausbaufähig.
Welche Reaktionen
erleben Sie in Ihrem beruflichen Alltag betreffend dieses Virus?
Ausgesprochen
unterschiedliche. Vermutlich reagiert jeder so, wie er insgesamt als
Persönlichkeit mit heiklen Fragen und Bedrohungen umzugehen pflegt. Einige
verwerfen die Hände angesichts von angeblicher Panikmache. Andere sind
ausgesprochen dankbar für alle Hilfestellung und Orientierung. Entsprechend hat
die Geschäftsleitung des Zentrum Rämismühle einen Führungsstab eingerichtet.
Dieser trifft sich in regelmässigen Abständen. Er beurteilt die aktuelle Lage,
schätzt mögliche Risiken ein, trifft Massnahmen und plant die Kommunikation.
Aktuell gelten bei uns folgende Regeln:
1. Verzichten Sie auf einen Besuch im Zentrum Rämismühle, wenn Sie sich krank fühlen oder Fieber haben.
2. Verzichten Sie generell auf Händeschütteln und direkten Körperkontakt.
3. Waschen Sie sich häufig die Hände mit Seife; mindestens 30 Sekunden einreiben.
4. Es finden vorläufig keine Abendmahlsfeiern statt.
5. Interne Veranstaltungen wie Andacht, Gottesdienst, Aktivierung, Gymnastik und so weiter finden weiterhin statt.
Welche Fragen
beschäftigen ältere Menschen, wenn es um dieses Virus geht?
Das ist sicher
eine sehr spannende Frage. Aussagen sind hörbar wie: Es ist doch klar, dass wir
als ältere Menschen im Bereich der Hygiene persönlich und im Miteinander
vorsichtig zu sein haben. Oder: Das Coronavirus mahnt uns definitiv, da, wo
Menschen eng zusammen leben, Rücksicht zu nehmen. Oder: Mal gespannt, ob alles
nur Panikmache ist oder aber, ob das Coranavirus tatsächlich etwas wirklich
Neues ist. Oder: Der Tod kommt ohnehin nicht aufgrund einer Krankheit, sondern
wenn Gott dafür die Zeit gesetzt hat.
Welche Rolle
spielt der Glaube in Ihrer täglichen Arbeit, gerade auch, wenn es um das
Coronavirus geht?
Krisensituationen
sind für alle Menschen eine besondere Herausforderung. Der christliche Glaube
müsste sich besonders in solchen herausfordernden Situationen bewähren.
Insgesamt kennt unsere Gesellschaft seit sieben Jahrzehnten nur das «immer
besser – immer schneller – immer angenehmer»: mehr Freiheit, mehr medizinische
Möglichkeiten, mehr Rente, mehr Wohlstand, mehr Komfort… Wir tun uns
schwer mit nicht berechenbaren Situationen sowie mit Dingen, die wir nicht zu
beherrschen scheinen oder mit Fragen, auf die wir keine Antwort haben. Der
christliche Glaube ist ein Glaube, der zumindest grundsätzlich gerade in
solchen Situationen eine hohe Kompetenz aufweist. Der christliche Glaube lebt
aus Vertrauen statt Panik. Möglicherweise haben wir als Christen zur Zeit
gerade dies neu zu lernen.
Ist dieses Virus
überhaupt ein so grosses Thema bei älteren Menschen?
Das ist unterschiedlich.
Da das Thema Krankheit und Sterben bei uns ohnehin keine fremden Themen sind,
hilft die Rede vom Coronavirus, diese Themen ernster oder intensiver zu
bedenken. Gespräche in diesem Zusammenhang halten wir auch unter den Bewohnern
und Bewohnerinnen für sehr hilfreich. Ohne Panik. Im Vertrauen. Ohne Belehrung.
An der Hoffnung orientiert.
Was ist Ihr
persönliches Herzensanliegen, wenn es um diese Sache geht?
Glaube betrifft
den Lebensentwurf, den Lebensalltag, die persönliche, gemeinschaftliche,
berufliche und gesellschaftliche Lebensweise. Glaube ist keine abstrakte, vom
Alltag losgelöste Angelegenheit. Ich wünsche mir, dass glaubende Menschen noch
viel mehr den Ruf in unserer Gesellschaft haben, im Leben und Lebensvollzug
kompetent zu sein.
Sie arbeiten als
Heimpfarrer im Zentrum Rämismühle, sind Initiant der «Initiative Pro Aging» und
Sie verfassten zwei Bücher zum Thema älter werden («Champions League des Lebens» sowie «Lebensplanung für Fortgeschrittene») … was sind Ihre nächsten Projekte?
Ich weiss um das
Thema, das mich in besonderer Weise beschäftigt, nämlich dass wir Christen
Ja-Menschen sind. Menschen also, die nicht aus dem Nein kommen, Menschen, die Ja sagen zu Begrenzung, zu Unfähigkeit, zu Verletzlichkeit, zu Schwäche, zu
Endlichkeit. Gerade darin erweisen sich Christen als Lebensliebhaber. Das
dürfte gerne noch etwas mehr entdeckt werden.
Zur Webseite:
Initiative Pro Aging
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Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet