Hoffnung

Hoffnung ist die Erwartung der göttlichen Wiederherstellung des Menschenlebens

Unter Hoffen, Hoffnung versteht das Neue Testament nicht die unbestimmte Erwartung irgendeiner Besserung oder Hilfe, sondern die ganz bestimmte Erwartung, dass Gott nahe sein, führen, retten wird. »Das ist eine rechte Witwe, die ihre Hoffnung auf Gott gesetzt hat« (1. Tim. 5,5), die also damit rechnet, dass der Allmächtige ihre Sache führen und durch seine Gegenwart die Lücke ihres Lebens füllen wird.

Für jemanden hoffen (1. Kor. 13,7) bedeutet: für ihn die frohe Erwartung haben, dass sein Leben von oben her zurechtgebracht werden wird. Die Hoffnung für andere hängt immer mit der Liebe zusammen. Sie wird aus ihr geboren und ruft ihrerseits Liebe hervor.

Mich kalt und förmlich gegen einen Menschen abschliessen kann ich ja nur, wenn ich nichts mehr für ihn hoffe, wenn ich ihn in ein bestimmtes Schubfach geworfen habe: so bist du, und so bleibst du. Das kann aber ein Christenmensch nicht tun. Er glaubt nicht an die Schubfächer der Stände, Gesellschaftsklassen, Bildungsschichten. Er glaubt auch nicht an die verschiedenen Gefängniszellen des Bösen. Er glaubt nicht daran, dass ein Mensch, der einmal in diese Sünde fiel, darum ewig in ihr bleiben muss. Er glaubt an Gott, den Vater; er lebt der Hoffnung, dass der Schöpfer, wenn er ein Menschenleben berührt, es in ungeahnter Weise befreien, bereichern, wandeln kann.

Diese Hoffnung reisst alle Scheidewände, die ein Mensch zwischen sich und seinen Mitmenschen errichtet hatte, nieder und befähigt ihn, jedem unbefangen, warm, natürlich, persönlich zu begegnen.

Hoffnung bedeutet im Neuen Testament manchmal die Erwartung der alle Fesseln sprengenden Nähe Gottes für den einzelnen Mitmenschen.

Hoffnung ist die Erwartung einer weltumfassenden Gotteshilfe

Meistens wird aber unter Hoffnung verstanden die Erwartung der endgültigen Gotteshilfe zur Erlösung und Neuschöpfung der Welt und zur Vollendung aller, in denen der Geist Gottes einen neuen Anfang gewirkt hat.

So spricht Paulus in Römer 8 von der Hoffnung, die für die ganze Schöpfung da ist: dass sie frei werden soll von dem Frondienst des Vergänglichen. In diesen Weltzuständen müssen auch die Söhne Gottes ihre Kräfte vielfach in den Dienst dessen stellen, was dem Untergang geweiht ist. Das legt sich immer wieder auch auf sie wie ein schwerer Druck und macht sie seufzen.

Diesen Druck spüren sie namentlich vom Leib her, der noch hundertfach den Einwirkungen des hier herrschenden Verderbens ausgesetzt ist, auch wenn der Geist davon frei ist. Unter diesem Druck seufzt die Gemeinde, und mit ihr stöhnt (unbewusst) aus ihrem unermesslichen Jammer die ganze übrige Menschheit und Schöpfung in der Erwartung des Tages, der die endgültige Rettung vom Weltelend bringt. Dieses sehnsüchtige, so schmerzensreiche und doch so freudvolle Warten der Gemeinde nennt Paulus die Hoffnung (Röm. 8,18-25).

Hoffnung ist die Klarheit über das Endziel der Geschichte

Den Kolossern schreibt Paulus: Durch die Tatsache, dass Christus in ihnen lebt, sei ihnen die Hoffnung der Herrlichkeit gegeben (Kol. 1,27). Er meint damit die Hoffnung auf die Weltvollendung, durch die auch sie vollendet werden.

Alle Kämpfe und Nöte, in denen die Gemeinde jetzt steht, alle Erschütterungen, denen sie ausgesetzt ist, vermögen nichts zu ändern an dem grossen göttlichen Endziel, auf das ihre Blicke gerichtet sind: der Enderlösung der Welt. Diesen Sinn hat das Wort: »Hoffnung lässt nicht zuschanden werden« (Röm. 5,5).

Zum Schluss des bekannten Kapitels von der Liebe (1. Kor. 13,13) heisst es: »Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe.« Auch hier ist unter Hoffnung zu verstehen die sehnliche und freudige Erwartung der göttlichen Weltvollendung. Diese Hoffnung ist nicht ein Extra neben dem Glauben; sie hängt vielmehr unzertrennlich zusammen mit dem Glauben, dass die Welt Gottes ist.

Gott schuf die Welt nicht, damit sie unter der Tyrannei des Bösen zugrunde gehe, sondern damit sie ihm verbunden sei, damit unter seiner Herrschaft alles in ihr göttlich klar, rein und herrlich sei. Ebenso hängt die Hoffnung zusammen mit dem Glauben an Christus, dessen Person und Werk von Weltformat sind: »Also hat Gott die Welt geliebt« (Joh. 3,16).

Was der Gemeinde hier in diesen Weltzuständen gegeben ist, gilt ihr als Unterpfand dessen, was sie einmal in der Vollendung erhalten soll: Gott hat »versiegelt und in unsre Herzen als Unterpfand den Geist gegeben« (2. Kor. 1,22). »Der Geist ist das Unterpfand unseres Erbes« (Eph. 1,14). Dass Christus in euch wohnt, verbürgt euch die Hoffnung auf die zukünftige Herrlichkeit (Kol. 1,27).

Das ist überhaupt ein Zug des neutestamentlichen Glaubens, dass er nicht stehenbleiben kann bei der einmal empfangenen Gabe. Die Gabe mag noch so gross sein: der Geber ist ihm grösser; darum erhofft der Glaube von ihm immer noch mehr, als schon vorhanden ist, und sieht jede empfangene Gabe als Vorboten weiterer und grösserer Gaben an.

Hoffnung ist Erwartung der Wiederkunft Christi

Auf die Weltvollendung hofft die Gemeinde, weil sie auf den Weltvollender hofft. Die Menschheit samt der Schöpfung wird errettet von der Herrschaft der Finsternismächte durch den wiederkehrenden Christus. Christus ist das A und 0. Das heisst: durch ihn sind alle Dinge geschaffen, und durch ihn wird auch einst alles seiner göttlichen Bestimmung zugeführt.*

Die Bibel beginnt mit dem Bericht von der Schöpfung und schliesst mit dem Ausblick auf die Wiederherstellung der Schöpfung, mit dem Sehnsuchtsruf nach dem, der sie vollbringt: »Komm, Herr Jesus« (Offb. 22,20). Die christliche Gemeinde erwartet die Lösung der Weltübel nur von der Person, die sich schon einmal mitten in der Geschichte als dazu würdig und fähig erwiesen hat.

Das ist die Nüchternheit ihrer Hoffnung. Sie macht sich keine Illusionen darüber, dass von irgend jemand anderem oder durch irgend etwas anderes eine Lösung der die Menschheit quälenden Fragen zu erwarten wäre.

Hoffnung ist völliges Mobilsein, ist Loslösung von den Bindungen dieses Weltlaufs

Weil die Gemeinde überführt ist von der Nichtigkeit dieser Weltzustände, kann sie sich nicht fest hineinbauen in die Einrichtungen dieses Äons. Die Hoffnung ist das Ende des bürgerlich-gemächlichen Lebens, der Verzicht auf dessen Sicherungen.

Die Blickrichtung auf den kommenden Weltretter macht die Gemeinde unabhängig von den Grössen dieses Äons. Ihre ganze Aufgabe ist: das Kommen Christi vorzubereiten. Wer darauf wartet, ist allezeit dienstbereit und gehorsam.*

Die Hoffnung ist der zureichende Schutz gegen die schwersten Angriffe

Die Hoffnung wird von Paulus der Helm in der Waffenrüstung des Christen genannt (Eph. 6,17. Luther: »Helm des Heils«; eigentlich zu übersetzen: »Helm der Weltrettung«).

Die gefährlichsten Angriffe gegen die Gemeinde führt der Feind in Zeiten grosser Weltkatastrophen, wo man vom einzelnen Menschenleben aus überhaupt keinen Eindruck mehr haben kann von einer göttlichen Vorsehung. Denn in den gewaltigen Zusammenbrüchen, inmitten allgemeiner Verfolgungen, scheinen die einzelnen Menschenschicksale völlig unterzugehen.

Da ist dann die kommende Welterlösung, nach der die Gemeinde ausschaut, wie ein schützendes Dach über ihr. Die Gewissheit, dass dennoch einmal der ganze Weltlauf ausmündet im göttlichen Heil, ist auch für den einzelnen der Helm, der die tödlichen Hiebe der Anfechtung wirkungslos von seinem Haupt abprallen lässt.

* Siehe auch den Artikel zu «Wiederkunft Christi».


Autor: Ralf Luther
Quelle: Neutestamentliches Wörterbuch

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