Allein gegen die Seelenfänger
Der Ausstieg der Lea Saskia
Auf den ersten Blick wirkt sie wie eine ganz normale junge Schweizerin Mitte zwanzig. Doch wenn Lea Saskia Laasner erzählt, was sie als Kind und Teenager durchmachen musste, enthüllt sich eine Biographie, die unglaublicher kaum sein könnte – wobei das Attribut „unglaublich“ nicht heissen soll, dass man Lea Laasner nicht abnimmt, was sie erzählt, ganz im Gegenteil, vermittelt sie doch eine grosse Glaubwürdigkeit. „Unglaublich“ ist ihre Geschichte, weil man einfach fassungslos ist, wenn man sie hört bzw. liest.
Einfallstor Esoterik
Lea Laasner wurde 1980 geboren und wuchs in den behüteten Verhältnissen einer Gemeinde im Grossraum Zürich auf. Die familiäre Idylle bekam jedoch Risse, als sich die Mutter immer stärker esoterischen Praktiken zuwandte und auf das im Buch „Janet“ genannte Medium Julie Ravel aufmerksam wurde, das Botschaften des Geistwesens „Ramtha“ channelte.
Der Vater stand der Begeisterung für Janet und Ramtha anfangs wohl eher etwas skeptisch gegenüber, aus Angst, seine Frau zu verlieren, zog er jedoch bei allem mit und war deshalb sogar bereit, sein florierendes Architekturbüro zu verkaufen, um sich mit der ganzen Familie der aus rund 40 Personen bestehenden Gruppe, die sich um Janet gebildet hatte und sich „Licht-Oase“ nannte, anzuschliessen. Alle Versuche von Freunden und Verwandten, diesen Ausstieg aus den gesicherten Verhältnissen eines gutbürgerlichen Lebens zu verhindern, scheiterten.
Tyrannischer Guru missbraucht Lea
Wie sich erst zeigte, als sich die Familie Laasner der Ramtha-Gruppe bereits angeschlossen hatte, war nicht das Medium Janet, sondern ihr Partner Benno Führer der Gruppe, ein Deutscher, der sich als ebenso charismatischer wie tyrannischer Typ entpuppen sollte. Die Anhänger von Janet und Benno waren überzeugt, dass eine nahe Apokalypse bevorstehe, sie aber mit Ramthas Hilfe in der Lage seien, sich in Lichtwesen zu transformieren. Die Gruppe lebte mehr oder weniger in völliger Isolation in Österreich, Bayern, Portugal und schliesslich im mittelamerikanischen Staat Belize, wo sie sich eine Farm kaufte.
Mit 13 Jahren wurde Lea Bennos Geliebte und in den folgenden acht Jahren immer wieder Opfer seiner sexuellen Übergriffe und äusserst sadistischer Sexualpraktiken. Schutz von den Eltern konnte sie längst nicht mehr erwarten, denn die Bindungen waren von Benno, Janet und der durch sie erzeugten Gruppendynamik längst zerstört worden, was dazu führte, dass Leas Vater nicht einmal protestierte, als er in die Entjungferung seiner Kinder (Leas Bruder wurde von Janet missbraucht) buchstäblich hineinplatzte.
Terror und kollektiver Wahnsinn
Lea reagierte auf das schier unerträgliche Klima ständigen Terrors und Missbrauchs und des kollektiven Wahns, in dem sich die Gruppe befand, mit Bulimie, konnte sich aber stets einen ungebrochenen Kern und einen starken Freiheitsdrang bewahren. Mit Hilfe eines belizianischen Polizisten, in den sie sich verliebt hatte, gelang ihr schliesslich die Flucht von der sekteneigenen Farm und nach einiger Zeit kehrte sie in die Schweiz zurück, wo sie von Verwandten aufgenommen wurde. Sie kam in Kontakt mit dem Sektenexperten Hugo Stamm, der ihr half, ihre Geschichte als Buch zu veröffentlichen und auf diesem Wege auch ein Stück weit zu verarbeiten.
Ein Medienereignis
Das Buch trägt den Titel „Allein gegen die Seelenfänger“ und schlug ein wie eine Bombe. Deutsche wie Schweizer Fernsehsender und Zeitungen stürzten sich begierig auf Lea Laasners Geschichte und schon nach wenigen Wochen war die Anfangsauflage vergriffen. Sicherlich kann man über die Berichterstattung nicht in allen Fällen sehr glücklich sein, „Bild“ etwa konnte naturgemäss nicht der Versuchung widerstehen, sich vor allem auf den Aspekt des sexuellen Missbrauchs zu stürzen. Schon die Überschrift „Ich war Sex-Sklavin eines Sekten-Gurus“ liess nichts Gutes ahnen, und dementsprechend fiel auch der Artikel aus, denn er bestand im wesentlichen aus dem Abdruck jener Buchpassagen, in denen Frau Laasner schildert, wie sie von besagtem Benno sexuell ausgebeutet und misshandelt wurde.
Hugo Stamm wurde vor dem Hintergrund einer solchen Berichterstattung der Vorwurf gemacht, Frau Laasner nicht zuletzt aus eigenem Interesse bedenkenlos einer gefrässigen und unberechenbaren Medienmaschinerie auszuliefern. Dieser Vorwurf ist wohl insofern nicht berechtigt, als Stamm in dem ganzen Prozess der Buchentstehung eher als Bremser auftrat. Wäre es nach ihm gegangen, wäre das Buch – wenn überhaupt – unter einem Pseudonym erschienen, Frau Laasner habe jedoch darauf bestanden, ihrer Geschichte auch ihren Namen und ihr Gesicht zu geben.
Mittlerweile hat sie auch Strafanzeige gegen ihren Peiniger erstattet, wobei die Chancen, dass Benno jemals vor Gericht gestellt wird, eher gering zu sein scheinen. Immerhin ist aus dem unangreifbaren Sektenführer damit fast so etwas wie ein Gejagter geworden, da er sich nun nicht mehr ohne weiteres frei bewegen kann. Bedauerlich ist allerdings, dass Hugo Stamm und Lea Laasner von der Rechtsabteilung des Eichborn-Verlags aus Furcht vor einer Prozesslawine daran gehindert wurden, Täter wie Janet und Benno bei ihrem richtigen Namen zu nennen, denn für die Aufklärungs- und Präventionsarbeit wäre es zweifellos wichtig zu wissen, um wen es sich bei Benno handelt, zumal es ihm anscheinend gelungen ist, schon wieder neue Anhänger um sich zu scharen. Wo er sich mittlerweile aufhält, ist nicht bekannt.
Neuartige Sektenszene
Der unerwartete Erfolg des Buchs hängt sicher auch damit zusammen, dass die Sektenproblematik für weite Teile der Öffentlichkeit in den letzten Jahren keine besonders grosse Relevanz mehr hatte. Nach der Scientology-Hysterie zu Beginn der neunziger Jahre und der Aufregung um Sonnenfinsternis und Millennium schien es ruhig geworden zu sein.
Lea Laasners Buch belegt nun aber auf sehr deutliche Weise die Vermutung vieler Weltanschauungsexperten, dass sich die Sektenszene zunehmend ausdifferenziert und fragmentiert, so dass inzwischen viele Gruppen und Grüppchen existieren, die man entweder gar nicht kennt oder von denen kaum jemand weiss, wie es in ihnen zugeht. Dass die Grösse einer Gruppe nichts über das Gefährdungspotenzial für den Einzelnen aussagt, zeigt gerade Lea Laasners Leidensweg: Die „Licht-Oase“ umfasste nur ca. 40 Personen, und doch erlebten die junge Frau und andere drangsalierte Mitglieder ein Martyrium ohne gleichen. Wenn Frau Laasners Buch eine Botschaft hat, dann also wohl die, wachsam zu bleiben, auch und gerade kleineren Gemeinschaften gegenüber.
Das Buch
Lea Saskia Laasner, „Allein gegen die Seelenfänger. Meine Kindheit in der Psycho-Sekte. Aufgezeichnet von Hugo Stamm“, Eichborn-Verlag, Frankfurt/M. 2005, 254 Seiten, 36.90 Franken.
Zum Dossier: www.sekten.jesus.ch
Autor: Dr. Christian Ruch
Quelle: Jesus.ch