Heiligung und Gnade
John Wesleys Leben und Theologie
Der Gründer der methodistischen Theologie, John Wesley, lebte uns vor, was es heisst von Jesus zu lernen und ihm ähnlicher zu werden.
John Wesley wurde am 17. Juni 1703 geboren und wuchs mit 17 Geschwistern im englischen Städtchen Epworth auf. Der Pfarrersohn wurde bereits als Kind angehalten, das Vaterunser sowohl morgens als auch abends zu beten. Er wurde darüber belehrt, dass er nur «durch absoluten Gehorsam und das Einhalten der göttlichen Gebote»1 gerettet werden könne.
Im Jahr 1720 trat Wesley in das Christ Church College in Oxford ein. Wesley fand Gefallen an Oxford und dem Gedanken, sich im Lehrkörper einzubringen. Da dies eine Priesterweihe voraussetzte, fasste er 1723 den Entschluss, sich zum Priester weihen zu lassen. Seine Mutter empfahl ihm, sich im Hinblick darauf einer genauen Selbstprüfung zu unterziehen.
Streben nach Vollkommenheit
In Form eines regelmässigen Tagebuches begann er zu überprüfen, wie er seine Zeit verbrachte. Er schrieb eine Liste seiner Versuchungen: Lockerer Lebenswandel, müssiges Gerede, unnütze Schauspiele und Bücher, Müssiggang und Umgang mit falschen Menschen. Eine Tat auszuführen, ohne an ihr Ziel zu denken, kam für Wesley nicht in Frage. «Jede Tat muss im Namen des dreieinigen Gottes und mit Gebet begonnen werden.»2
Während seiner Zeit in Oxford nahm Wesley sich einer kleinen Studiengruppe an (auch sein Bruder Charles Wesley gehörte ihr an), welche im Laufe der Jahre zu einer Gruppe von 17 Männern heranwuchs. Unter der Leitung der Wesleybrüder pflegten sie eine strenge Selbstdisziplin. «Wesley stellte allen seinen Anhängern eindringlich seine ‘Methode und Ordnung’ vor Augen, sodass jede Stunde des Tages ihre klare Aufgabe hatte, sei es Studium, Andacht, Übung oder Wohltätigkeit.»3 Nicht selten wurde die Gruppe als «Heiliger Klub», «Enthusiasten», «Reformklub» oder «Methodisten» verspottet. Wesley lehrte seine Anhänger jedoch, sich nicht an Verhöhnungen zu stören. Er hielt an seinem Lebensstil fest, überzeugt, dadurch christliche Vollkommenheit zu erlangen, was die treibende Kraft seines Lebens war.
Wesleys Bekehrung
Im Jahr 1735 machte sich Wesley gemeinsam mit seinem Bruder auf den Weg in die Kolonie Georgia, um dort als Pfarrer und Heidenmissionar zu wirken. Auf dem Schiff traf Wesley auf eine Gruppe der Herrnhuter Brüder, die ihn mit dem Konzept der Rechtfertigung durch Glauben bekannt machten. Damit konnte er aber nichts anfangen. Nach erfolglosen Jahren in Amerika kehrte Wesley 1738 niedergeschlagen nach England zurück.
Wenig später traf er in London auf Peter Böhler, einen jungen Herrnhuter. Böhler gelang es, Wesley im Glauben wieder zu stärken, auch wenn dieser sich mit der Lehre der Vergebung noch nicht richtig anfreunden konnte. Durch gründliche Erforschung der Bibel war Wesley aber schliesslich gezwungen, Böhler zuzustimmen: «Jetzt war ich völlig überzeugt … und durch die Gnade Gottes entschlossen, diesen Glauben zu suchen, bis ich ihn hätte.»4 Wesley nahm sich vor, alle Versuche der Werksgerechtigkeit zu verwerfen und sein Vertrauen allein auf Jesus als die alleinige Rechtfertigung, Heiligung und Erlösung zu setzen.
In einer Gebetsversammlung wurde es Wesley warm ums Herz. «Ich fühlte, dass ich Christus vertraute, ganz allein der Erlösung durch Jesus Christus; und plötzlich hatte ich die Gewissheit, dass er mich meine. Gerade meine Sünden hinweggenommen und mich vom Gesetz der Sünde und des Todes befreit hatte.»5
Startschuss für die Erweckung in England
Kurz darauf begann Wesley, den anglikanischen Pfarrer George Whitefield auf dessen Predigtreisen zu begleiten. Marktplätze, Kohlehalden und sogar Friedhöfe wurden zu Versammlungsplätzen. Die Zuhörerzahl stieg rapide an und erreichte bald mehr als 10'000 Zuhörer pro Predigt. So wurde Wesley zu einem Wanderprediger. Kaum ein Dorf wurde von ihm nicht besucht. Innerhalb von fünfzig Jahren war er etwa 380'000 Kilometer unterwegs, meist zu Pferd, und predigte in Kirchen, Sälen, Messeplätzen, Militärlagern oder auf offenem Gelände.
Aus den Zuhörerschaften formten sich ganze Gemeinschaften. So entstand die methodistische Bewegung, damals noch Teil der anglikanischen Kirche. Innerhalb von fünfzig Jahren wuchs die Bewegung stark an, so dass es im Jahr 1790 bereits 119 Bezirke mit 313 Predigern gab.
Das Heiligungsverständnis Wesleys
Eine der meistgepredigten Thematiken Wesleys war die Theologie der Heiligung. Bis heute ist seine Lehre ein wichtiger Bestandteil der Theologie. Wesley berichtet, dass an den Orten, an denen das Feuer der Heiligung ausgebrochen ist, innert kurzer Zeit viele Menschen Zeugen der Errettung Gottes geworden sind.
Durch die Gnade Gottes, die im Leiden Christi wirkt, wird die Macht der Sünde für den, der glaubt, gebrochen. Der sündige Mensch wird dadurch wieder gerecht gesprochen und ist von diesem Zeitpunkt an heilig. Diese Rechtfertigung hat unmittelbar den Prozess der Heiligung zur Folge.
Heiligung bezieht sich auf das Leben in der wiederhergestellten Beziehung mit Gott, das durch die Macht Gottes verändert wird. Gott gibt uns an der Gerechtigkeit Christi Anteil, so dass sie sich in uns ausbreitet und jeden Teil unseres Lebens prägt und uns dahingehend verändert, dass wir Christus immer ähnlicher werden. «Dieser Prozess (die Heiligung) hat ein Ziel: die Umgestaltung unseres Lebens zum Ebenbild Gottes, zu dem Ziel also, für das es von der Schöpfung an bestimmt war.»6
Die absolute Heiligkeit ist auf Erden jedoch nicht erreichbar. Trotz der Rechtfertigung und der daraus folgenden Vollkommenheit sind die Menschen weiterhin fähig, Sünde zu tun. Runyon fasst treffend zusammen: «Das Besondere der Theologie Wesleys liegt darin, dass er zwei grundlegend wichtige Faktoren im christlichen Leben, die oft getrennt worden sind, in einer brauchbaren Verbindung zusammenhalten kann: Die Erneuerung dieser Beziehung (die Rechtfertigung) und das Leben in dieser Beziehung (die Heiligung), von denen keine ohne die andere möglich ist.»7
Wesleys Streben als Vorbild
Wesleys strenge Selbstdisziplin fasziniert mich. Er prüfte beinahe täglich seine Absichten und seinen Lebensstil. Diese Selbstdisziplin wich trotz seiner Erkenntnis, dass seine guten Werke ihm nicht zur Errettung dienen, sondern allein der Glaube dafür relevant ist, nicht. Er war sich der Gnade Gottes bewusst. Dennoch legte er grossen Wert auf die Heiligung. Die Veränderung hin zum Ebenbild Gottes war für ihn unverzichtbar.
Er nimmt grossen Druck weg, nicht durch Werke gerechtfertigt zu sein. Dennoch soll und will ich meinen Glauben nicht als Freikarte gebrauchen, Sünde zu tun. Das Ziel unseres Lebens ist es, Christus immer ähnlicher zu werden, sei dies in unseren Taten wie auch unseren Gedanken.
Ich bin überzeugt, dass Wesleys Theologie ausschlaggebend für die Erweckung in England war, da sie Hoffnung, Freiheit und Demut schenkte. Auch heute können wir nicht nur viel von Wesleys Theologie, sondern auch von seiner Lebensweise lernen. Er verschrieb sein Leben Gott und erreichte so viele Menschen wie kaum ein anderer Mensch seiner Zeit.
Quellenverzeichnis:
- John Pollock: John Wesley und die Grosse Erweckung in England, Bielefeld, 2017, 32
- Martin Schmidt: John Wesley. Leben und Werk, Zürich, 1987, 71
- John Pollock: John Wesley und die Grosse Erweckung in England, Bielefeld, 2017, 71
- Garth Lean: John Wesley, Modell einer Revolution ohne Gewalt, Basel, 1974, 42
- Eintrag im Tagebuch, Percy L. Parker: Das Tagebuch John Wesleys, Holzgerlingen, 2000, 71
- Walter Klaiber et al: Heiligung aus biblischer und evangelisch-methodistischer Sicht, Stuttgart, 1987, 8
- Theodore Runyon: Die neue Schöpfung. John Wesleys Theologie heute, Göttingen, 2005, 239
Unwahrscheinlich aktuell: John Wesley und sein «Manifesto»
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Autor: Linda Steiner
Quelle: wort+wärch