Abstimmung am 13. Februar

«Werbeeinschränkungen senken Tabakkonsum signifikant»

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Vor welchen Herausforderungen steht unser Gesundheitswesen und was hat dies mit der anstehenden Abstimmung zu tun? Die renommierte Fachärztin Dr. med. Jana Siroka dazu im EDU «Standpunkt»-Interview.

Am 13. Februar 2022 stimmen wir über ein Verbot der Tabakwerbung für Kinder und Jugendliche ab. Warum ist diese Abstimmung nötig?
Dr. med. Jana Siroka:
Die Mehrheit der Raucher beginnt vor dem 18. Lebensjahr. Rauchen macht schnell abhängig und verursacht nachweislich diverse gesundheitliche Schäden. So hat die Ärzteschaft in Form vieler Erkrankungen sehr konkret mit den Folgen des Tabakkonsums ihrer Patientinnen und Patienten zu kämpfen. Unser Anliegen ist eigentlich simpel. Wir wollen verhindern, dass Kinder und Jugendliche gezielt durch Werbung zum Rauchen verführt und abhängig gemacht werden. Es ist erwiesen, dass Einschränkungen der Werbung, Promotion und des Sponsorings, die Jugendliche erreichen, eine signifikante Senkung des Tabakkonsums bewirken. Deshalb setzen sich viele Organisationen, unter ihnen die Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH), für konsequenten Jugendschutz ein und unterstützen die Volksinitiative «Ja zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakwerbung». Die Initiative ist nötig, weil der Jugendschutz in der aktuellen Version des Tabakproduktegesetzes ungenügend ist.

Es ist anzunehmen, dass die Tabakindustrie im Vorfeld kräftig für ihr Anliegen werben wird. Wie können wir (als Einzelne oder als Institutionen) ein Gegengewicht schaffen?
In Arztpraxen der Schweizer Kinder- und Hausärzte lagen Unterschriftenbögen auf. Die FMH setzt sich ideell und finanziell für die Initiative ein. Jeder Schweizer Bürger kann Informationen und Materialien auf der Webseite www.kinderohnetabak.ch finden und in seinem Freundes- und Bekanntenkreis, im Büro oder Spital auf diese Initiative aufmerksam machen und somit Bewusstsein schaffen.

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Dr. med. Jana Siroka
Neben der aktuellen Abstimmung beschäftigt der Spardruck alle im Gesundheitswesen. Wo wirkt sich der Druck negativ auf die Arbeitsbedingungen aus, wo ist die Qualität der Gesundheitsversorgung gefährdet?
In der Schweiz haben wir nach wie vor eines der besten Gesundheitswesen der Welt. Die Patientinnen und Patienten sind zufrieden mit ihrer Gesundheitsversorgung und das Vertrauen in die Ärzteschaft ist hoch. Wir müssen aber aufpassen, dass dies auch weiterhin so bleibt. Ich bin besorgt, dass politische Massnahmen diese gute Versorgung beeinträchtigen könnten. Die über Jahre andauernde Rhetorik der Kostendämpfung begünstigt Massnahmen und Überregulierungen wie ein Globalbudget. Dies könnte die Qualität der Patientenversorgung und die freie Arztwahl beeinträchtigen. Leiden würden darunter vor allem finanziell schwächere und chronisch oder mehrfacherkrankte «teure» Patientinnen und Patienten.

Es gibt zunehmend mehr Menschen, die die Krankenkassenprämien kaum bezahlen können. Kann Medizin ohne Leistungseinbussen kostengünstiger werden?
Die Belastung der Haushalte durch die Prämien ist unbedingt ernst zu nehmen! Übergeordnet ist es eine Finanzierungsfrage und durch kantonale Unterstützung der belasteten Haushalte ist das Problem entschärft worden. In manchen Kantonen wurden diese Zahlungen jedoch nun heruntergefahren. Aber zu Ihrer Frage, ja, wir könnten bei den Strukturen sparen, so dass die Patientenversorgung nicht beeinträchtigt wird. Heute kann man dank des medizinischen Fortschritts mehr Behandlungen mit kürzeren Spitalaufenthalten machen. Derzeit geht aber die Verschiebung von den stationären Behandlungen mit Spitalübernachtung zu den ambulanten kostengünstigeren Leistungen zu Lasten der Prämienzahler, weil stationäre Behandlungen mehrheitlich kantonal steuerfinanziert sind, während ambulante Leistungen zu 100 Prozent von den Prämienzahlenden finanziert werden. Deswegen unterstützt die FMH die einheitliche Finanzierung EFAS als eine mögliche Massnahme, um Kosten zu sparen, ohne Qualitätseinbussen zu erleiden.

Thema Fallpauschalen: Bekommen die Patienten diese Form der Sparpolitik negativ zu spüren? Kommen Privatkliniken deswegen in Schwierigkeiten?
Wie sich die neue Spitalfinanzierung inkl. der Einführung der Fallpauschalen in den Spitälern der Akutsomatik im Jahr 2012 auswirkte, hat das Bundesamt für Gesundheit im Rahmen seiner KVG-Evaluation Spitalfinanzierung untersuchen lassen. Eine systematische Verschlechterung der Qualität, wie teilweise vor der Revision befürchtet, wurde nicht bestätigt. Nach wie vor schätzen nahezu 90 Prozent unserer Spitalärztinnen und Ärzte der Akutsomatik die Versorgungsqualität in ihrem unmittelbaren Arbeitsbereich als sehr gut oder eher gut ein. Die Privatspitäler sind seit der neuen Spitalfinanzierung bzgl. der Vergabe von Leistungsaufträgen gleich zu behandeln wie die öffentlichen Spitäler. Viel mehr Sorgen als die vergangene KVG-Revision machen mir die aktuellen Regulierungsvorschläge des Bundesrates wie der indirekte Gegenvorschlag zur Kostenbremse-Initiative. Die angedachte Zielvorgabe gemäss Art. 54 E-KVG, welche einem Globalbudget entspricht, ist eine grosse Gefahr für die Qualität der Patientenversorgung.

Wenn Sie zwei Wünsche offen hätten im Hinblick auf Ihre Tätigkeit als Ärztin und auf Ihr politisches Engagement: Was würden Sie sich wünschen?
Das ist eine schöne letzte Frage. Ich bedanke mich dafür. Als Ärztin wünsche ich mir innere Ruhe für meine Tätigkeit mit meinen Patientinnen und Patienten. Inneren Raum, mich an ihr Bett zu setzen. Sie mit ihren Wünschen und Bedürfnissen als Menschen in ihrer physischen, seelischen und spirituellen Dimension wahrzunehmen und gemeinsam mit ihnen einen Weg zu finden, der ihrem inneren Wesen entspricht.

Und politisch wünsche ich mir in dieser Zeit der zunehmenden Polarisierung, Brücken zu bauen. Brücken, auf denen wir aufeinander zugehen, um miteinander zu sprechen und uns zuzuhören – unabhängig davon, welche Gesinnung oder Meinung wir haben. Das wäre mein schönstes Geschenk für das Jahr 2022!

Zur Person

Dr. med. Jana Siroka, Fachärztin für Intensivmedizin und Fachärztin für Allgemeine Innere Medizin, Mitglied Zentralvorstand FMH, Departement Stationäre Versorgung und Tarife, Leitende Ärztin Notfallstation/IMC Klinik Arlesheim.

Dieser Artikel erschien zuerst im EDU-Magazin «Standpunkt».

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Kinder ohne Tabak

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Datum: 01.02.2022
Autor: Karin Hirschi
Quelle: EDU Standpunkt

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