Christentum wächst rasant
So bedeutend wie die Reformation
Das Christentum wächst im Süden der Welt, es wird konservativer und stärker von einer Frömmigkeit des Heiligen Geistes bestimmt. Dieses Bild zeichnet ein Artikel der Berliner Tageszeitung «Tagesspiegel».
Noch vor 100 Jahren lebten 80 Prozent der Christen in Europa und Nordamerika. Heute aber stammten zwei Drittel der Christen aus Afrika, Asien und Lateinamerika. Für das Jahr 2025 sei mit einem Anwachsen der Christen im Süden der Welt auf 1,7 Milliarden zu rechnen, gegenüber 270 Millionen in Nordamerika und 514 Millionen in Europa. Besonders stark sei die Zunahme der Christen in Afrika. Lehming beruft sich dabei auf Zahlen der Statistik «World Christian Encyclopedia».
Vergleich mit Reformation
Für Lehming ist die Entwicklung des Christentums in Richtung Süden mindestens so bedeutend wie die Reformation vor 500 Jahren. «Zum ersten Mal in seiner Geschichte ist das Christentum eine universale, sehr rasch wachsende Religion geworden. Dieser Christianisierungsschub umfasst sowohl die evangelische als auch die katholische Glaubensrichtung. Es dominiert der globale Süden, die abendländische europäische Kernregion verliert stetig an Einfluss und Bedeutung.»
Malte Lehming macht mit dem Wachstum im Süden der Welt eine drastische konservative Wende aus, die nicht ohne Folgen auf das Christentum in Europa bleibe. Dabei beruft er sich auf den britischen Historiker und Religionswissenschaftler Philip Jenkins. Dieser warnt vor «radikalen protestantische Sekten, evangelikale oder Pfingstkirchen oder orthodoxe Formen des römischen Katholizismus».
Eine Milliarde Pfingstler in gut 20 Jahren?
Über das Wachstum der Pfingstkirchen schreibt Lehming: «Die Speerspitze der Gegenreformation sind indes die Pfingstkirchler. Obwohl diese Bewegung erst Anfang des 20. Jahrhunderts entstand, gehören ihr heute mindestens 400 Millionen Gläubige an. Um das Jahr 2040 könnten es bis zu einer Milliarde sein. Mitglieder von Pfingstgemeinden vertrauen auf die Wirkung des Heiligen Geistes, auf Wunderheilungen und Erweckungserlebnisse. Die Bibel wird wörtlich ausgelegt.»
Lehming erwartet mit sichtlichem Unbehagen einen zunehmenden Einfluss der konservativen Christen auf die Christen in Europa: Sei es durch das Wachstum und die damit verbundene grössere Bedeutung, sei es durch Missionsbemühungen oder durch Migration. Zudem warnt er vor einer ansteigenden Gefahr von Religionskriegen.
Grösserer Effekt
In dem Artikel wird der amerikanische Journalist David Brooks zitiert, der die Anziehungskraft des wachsenden Teils der Christentums so beschreibt: «Ich war einmal in einer von Aids geplagten Stadt in Südafrika. Ein vager Humanismus hätte die Menschen dort nicht dazu gebracht, ihr Verhalten zu ändern. Die harten theologischen Ansagen der Kirchenfrauen dagegen – richtig und falsch, Erlösung und Verdammnis – schienen einen grösseren Effekt zu haben.»
Um die Anziehungskraft des wachsenden Christentums zu erklären, kommt der kanadische Forscher Deam M. Kelley und seine Mitarbeit an der Studie «Review of Religious Research» zu Wort: Er erklärt die Attraktivität religiöser Bewegungen damit, dass sie von den Mitgliedern in Bezug auf Glauben und Verhalten etwas forderten. Sie sähen sich nicht als Teil der säkularen Kultur. Daraus resultiere ein ausgeprägtes Gemeinschaftsgefühl, das bei spirituell Suchenden auf Nachfrage stosse.
Zum Originalartikel:
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Autor: Norbert Abt
Quelle: Livenet