Gesellschafts-Phänomen Erschöpfung

Wie man einen «Burn-out» rechtzeitig erkennt

Noch nie gab es eine so hohe Zahl von behandlungsbedürftigen Depressionen und andere Erschöpfungskrankheiten. Die Zeitschrift «Der Spiegel» titelte zum Thema «Volk der Erschöpften» (4/2011). Ein neues Buch fordert zum Umdenken auf.
Experten vermuten, dass psychosomatische Erkrankungen in den nächsten Jahren die Herz-Kreislauf-Erkrankungen von Platz 1 der «Hitliste» aller Volkskrankheiten verdrängen werden. Stefan Wiesner hat den Psychologen, Autor und Burn-out-Spezialisten Dr. Holger Schlageter zu diesem Thema interviewt.

Wie merke ich, dass ich burn-out-gefährdet bin?

Dr. Holger Schlageter: In der Anfangsphase nehmen wir die Symptome meist kaum wahr. Für die meisten ist es eine Überraschung zu hören, dass ein Burn-out bereits beim Enthusiasmus beginnt. Erstaunlich ist das nicht. Nur wer richtig brennt, kann auch ausbrennen. Enthusiasmus klingt ja erst einmal positiv, und nicht jeder, der sich für etwas stark engagiert, muss ausbrennen.
 
Worauf müssen wir achten?

Je leidenschaftlicher ich bei der Sache bin, je mehr ich mich für etwas engagiere, desto eher laufe ich Gefahr, den Abgrund nicht rechtzeitig zu sehen und zu bremsen. Die Begeisterung, mit der wir bei der Sache sind, lockt uns immer weiter und verhindert, dass wir fühlen, wie es wirklich um uns steht. So ignorieren wir, wie erschöpft wir eigentlich sind.
 
Es geht also zunächst vor allem um die Wahrnehmung der eigenen Situation?

Das ist alles andere als einfach. In der Phase des Enthusiasmus sind wir so von Adrenalin vollgepumpt, dass wir gar nicht merken, wie wir die Akkus unserer Psyche und unseres Körpers ständig überstrapazieren. Wir fahren dann quasi immer im roten Drehzahlbereich. Bei einem Auto wissen wir, dass das am Ende zwangsläufig zum Motorschaden führt. Bei uns selbst ist es uns oft nicht bewusst. Denn es fühlt sich ja zunächst super an! Wir erleben einen echten Höhenflug. Probleme werden gelöst, Aufgaben schnell abgearbeitet, sehr viel auf einmal erledigt. Unsere Umwelt findet das klasse und überhäuft uns oft mit Komplimenten, was uns noch weiter antreibt, nicht nachzulassen. Während ich so dahinsause, kommt es mir so vor, als gehöre mir die ganze Welt und als hätte ich alles im Griff.

Wenn ich mich richtig gut fühle, bin ich vielleicht schon mittendrin?


Es reicht nicht, auf unser Gefühl zu vertrauen. Wir müssen lernen, dass es Bedürfnisse gibt, die wir nicht wahrnehmen. Das ist ein wenig wie trinken, ohne Durst zu haben – wir sollten dies tun, weil wir wissen, dass es unserem Körper gut tut. Grenzen und vielleicht sogar bewusst angesetzte Ruhepausen sind sinnvoll und notwendig – auch wenn wir die Erschöpfung in dieser ersten Phase noch gar nicht spüren.

Wie sieht es denn bei Ihnen persönlich aus? Wenn man Sie so erlebt, gehören Sie auch nicht zu den «Leisetretern»?


Ja, ich kenne das alles nur zu gut. Sozusagen im Selbstversuch habe ich alles probiert, was geht. Einen richtigen Burn-out inklusive. Nein, eigentlich mehrere. Mich hat der Burn-out im Studium erwischt und später noch einmal, als ich keine Arbeit fand. Und dann erneut im Berufsleben als selbstständiger Psychologe. Und ich sage nicht, dass es nicht wieder passieren kann, denn dazu kenne ich mich selbst zu gut. Ich brenne leicht. Neues, gute Ideen und Projekte begeistern mich. Probleme setzen in mir unwillkürlich den Impuls in Gang, sie sofort zu lösen, und das schnell und effektiv. Damit gehöre ich zur grössten Risikogruppe für Burn-out…

Wie kam es dazu, dass Sie schon früh in die erste Lebenskrise geraten sind?

Im zweiten Semester meines Studiums hatte ich bereits die meisten Vordiplomprüfungen bestanden, alle Pflichtseminare absolviert. Ich habe mich in die Arbeit gestürzt bis zum «geht nicht mehr». Ehrenamtlich war ich in der Onkologie als Seelsorger beschäftigt und nebenbei machte ich Sozialarbeit mit Obdachlosen. Zum Glück knallte mir das Schicksal einen Baseballschläger vors Hirn. Ich hatte ihn nicht kommen sehen. Aber plötzlich waren alle Lichter aus. Es ging nichts mehr. Mitten in der letzten Vordiplomprüfung hatte ich einen totalen Blackout. Keine Energie mehr nachzudenken. Gestammelte Antworten. Alle falsch. Keine Ahnung, was der Professor überhaupt gefragt hatte. Durchgefallen. Zum Glück. So konnte ich aussteigen. Und ich selbst werden.

Sie sehen das Scheitern also im Rückblick positiv?

Burn-out ist ein ernst zu nehmender, wichtiger Warnschuss der Psyche und des Körpers. Es wird klar: Wir müssen schleunigst etwas ändern. Aber unser derzeitiger Zustand ist noch lange nicht die Endstation. Nach einem Burn-out aus dem bisherigen Leben bewusst auszusteigen bedeutet, gerade noch - aber immerhin rechtzeitig - vor der noch grösseren Katastrophe den Weg des Unheils zu verlassen. Insofern ist Burn-out immer auch eine Chance. Eine Chance für eine grössere Erkenntnis, die Chance, rechtzeitig die vielleicht letzte Ausfahrt zu nehmen.

Buch bestellen:
Holger Schlageter: Nach burn kommt out. Lieber umdenken als umfallen


Autor: Miriam Hinrichs
Quelle: Adeo-Verlag

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