Umgang mit traumatischer Vergangenheit

Vergessen oder vergeben?

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Die Holocaust-Gedenkstätte in Riehen (Bild: privat)
Riehen bei Basel ist ein ruhiges, wohlhabendes Dorf an der deutschen Grenze. Wenige wissen, was sich hier im «Dritten Reich» an Flüchtlingstragik abgespielt hat.  Darf man so etwas vergessen? Wie bewältigt man erfahrenes Böses?

Ein Stück Riehen reicht wie ein Finger nach Deutschland hinein. Die grüne Grenze war hier ein Stück halboffen, und viele Menschen jüdischen Glaubens versuchten in den 30er und frühen 40er Jahren des 20. Jahrhunderts, über Wald und Wiesen in die Schweiz zu gelangen. Die allermeisten wurden aufgefangen, wieder an die Grenze gestellt und den deutschen Behörden übergeben.

Johannes Czwalina, früher Pfarrer, heute Unternehmensberater, erfuhr von diesen Schicksalen, die ihn nicht wieder losliessen. In einem deutschen Bahnwärterhäuschen in Riehen fing er an, eine Gedenkstätte an dieses Geschehen einzurichten.

Nicht besser vergessen?

Zu den Holocaust-Verbrechen und dem Schweizer Verhalten Juden gegenüber haben wir ein gespaltenes Verhältnis. Sollen wir vergeben und vergessen? Muss man so etwas immer wieder «aufwärmen»? Wenn etwa Schulklassen die Holocaust-Gedenkstätte besuchen, wird deutlich, wie wichtig es gerade für die junge Generation ist, ein geschichtliches Bewusstsein zu haben. Vergessen im Sinne von «Verdrängen, sich nicht dafür interessieren» dürfen wir nicht. Schlimmes, das geschehen ist, bleibt real, auch wenn die wirklichen Opfer, die an der Grenze abgewiesen wurden, inzwischen fast alle gestorben sind. Vergessen dürfen wir es nicht, sonst sind wir verdammt, vielleicht die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen.

Vergib und heile

Aber es gibt auch eine andere Seite: Gerade Menschen, denen so Schlimmes angetan wurde, bleiben immer in Gefahr, Opfer zu bleiben und sich ein Leben lang über ihre Opferrolle zu definieren: «Ich bin die, der man Böses angetan hat.» Das gilt nicht nur für Nazi-Opfer. Bis heute wird Menschen Böses angetan – das ist eine Realität unseres Lebens. Und Böses verkrümmt, belastet, verbittert.

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Eva Mozes
Eine Auschwitz-Überlebende, Eva Mozes Kor (1934 – 2019), beschloss, sich von dem Bösen, das ihr angetan wurde, nicht länger definieren zu lassen. Auf einer DVD, die in der Gedenkstätte aufliegt, erklärt sie: «Opfer fühlen nicht, dass sie Kontrolle über ihr Leben haben. Also reagieren sie immer nur auf das, was andere Menschen sagen oder tun. Jetzt wurde mir plötzlich klar: Ich habe die Verfügungsgewalt über mein Leben!»

Sie beschloss, quasi in einem «trotzigen Akt», zu vergeben. Und durch Vergebung wurde sie frei, ihren eigenen Weg zu gehen. «Vergib und heile», lauten ihre Kernworte. Nur so kann man die Opferrolle abstreifen und einen Prozess in Gang setzen, der es den Peinigern von einst nicht mehr erlaubt, Macht auszuüben. Und wer weiss – der es auch den Peinigern erlaubt, anders zu werden?

Welche Währung?

Vergebung ist nie fair. Wenn wir Menschen vergeben, die uns Böses getan haben, bleibt immer ein Gefühl übrig «Das ist doch ungerecht». Wir wollen, dass Böses bestraft und so «bezahlt» wird. Aber sein wir ehrlich: Böses kann man gar nicht «bezahlen». In welcher Währung? Es ist sicher «gerecht», wenn Nazi-Verbrecher im Gefängnis «büssen». Aber als Opfer von Bösem – egal, ob kleines oder grosses Böses – muss man sich irgendwann entscheiden, ob man die Opferrolle will oder ob man es wagt, den Weg der Vergebung zu gehen.

Die Bitte aus dem Vaterunser «Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir denen vergeben, die an uns schuldig geworden sind (oder uns etwas schuldig geblieben sind)» ist eine sehr menschliche Bitte. Denn sie erinnert uns an unsere eigene Schuld, die auch eine Realität ist. Und an einen Gott, der vergeben hat, weil er irgendwie die ganze Schuld der Welt durch seinen Sohn, den einzigen wirklich Unschuldigen, hat bezahlen lassen.

Von daher ist Vergebung real. Ein Durchtrennen der Kette des Bösen, das sich immer weiter fortsetzen will. «Vergib und werde heil» ist die göttliche Alternative. Selbst angesichts der Holocaust-Verbrechen und in der Flüchtlings-Gedenkstätte.

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Datum: 16.10.2021
Autor: Reinhold Scharnowski
Quelle: Jesus.ch

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