In der Nachchristenheit angekommen
England und Wales: Christen erstmals unter 50 Prozent
Die neueste Volkszählung in England und Wales zeigt, dass die Zahl der Menschen, die sich als Christen bezeichnen, gesunken ist – zum ersten Mal auf weniger als die Hälfte der Bewohner.
Die Ergebnisse der Volkszählung wurden am 29. November veröffentlicht. Sie zeigen, dass sich 27,5 Millionen, das sind 46,2 Prozent der Einwohner, als Christen bezeichnen. Im Jahr 2011 waren es noch 33,2 Millionen, also 59,3 Prozent. Der Anteil der Menschen, die sich als religionslos bezeichnen, ist demgegenüber im gleichen Zeitraum von etwa einem Viertel der Bevölkerung (25,2 Prozent) auf über ein Drittel im Jahr 2021 (37,2 Prozent) gestiegen. Gleichzeitig nahm der Anteil der Muslime von 4,9 auf 6,5 Prozent zu.
«Nicht
mehr automatisch Christ sein ...»
Der Erzbischof von York, Stephen Cottrell, kommentierte in einer ersten Stellungnahme, dass die Zahlen eine Herausforderung für die Kirche darstellen. «Es ist keine grosse Überraschung, dass … sich weniger Menschen in diesem Land als Christen bezeichnen als in der Vergangenheit, aber es ist eine Herausforderung für uns, nicht nur darauf zu vertrauen, dass Gott sein Reich auf der Erde bauen wird, sondern auch unseren Teil dazu beizutragen, Christus bekannt zu machen», sagte er.
«Wir haben die Zeiten hinter uns gelassen, in denen sich viele Menschen fast automatisch als Christen identifiziert haben, aber andere Umfragen zeigen immer wieder, dass dieselben Menschen immer noch nach geistlicher Wahrheit und Weisheit und nach Werten suchen, nach denen sie leben können.»
«… aber die Kirche ist da für die Menschen»
Trotz des Rückgangs der christlichen Identität erklärte der Erzbischof, dass die Kirche in Zeiten der Not weiterhin für die Nation da sein werde. «In diesem Winter werden sich die Menschen im ganzen Land – vielleicht so sehr wie schon lange nicht mehr – in ihrer Not an ihre Ortskirche wenden, nicht nur für spirituelle Hoffnung, sondern auch für praktische Hilfe», sagte er und versprach: «Wir werden für sie da sein und in vielen Fällen für Essen und Wärme sorgen. Und auch an Weihnachten werden Millionen von Menschen in unsere Gottesdienste kommen.»
Gleichzeitig trat er für die grössere Perspektive ein: «Wir schauen über unsere unmittelbare Umgebung hinaus und erinnern uns daran, dass wir Teil eines globalen Glaubens sind, der grössten Bewegung auf der Erde und ihrer grössten Hoffnung auf eine friedliche, nachhaltige Zukunft.»
Christliche Identität, anders ausgedrückt
Die Forschungsleiterin der Britischen Bibelgesellschaft, Dr. Rhiannon McAleer, interpretierte die Daten so, dass die religiöse Identität in England und Wales immer noch «Mainstream» und «bemerkenswert hoch» sei. «Die Volkszählung zeigt definitiv nicht, dass wir in einer Gesellschaft leben, die der Religion den Rücken gekehrt hat. Sie scheint jedoch zu zeigen, dass sich die religiöse Identität verändert. Das zeigen auch andere Daten und ist keine Überraschung», sagte sie. «Offenbar sind die Menschen weniger bereit, ein Etikett zu tragen, das sie nicht genau beschreibt. Es ist nicht unbedingt so, dass sie einen echten und tief empfundenen Glauben verloren haben.»
Sie verwies auf eine Untersuchung der Bibelgesellschaft, die nach dem Tod von Königin Elisabeth II. in diesem Jahr durchgeführt wurde und die zeigt, dass die Akzeptanz einer nationalen christlichen Identität weit verbreitet ist. Laut dieser Umfrage waren nur 15 Prozent der Bevölkerung der Meinung, dass Veranstaltungen wie Hochzeiten und Beerdigungen in Zukunft gänzlich weltlich sein sollten, und fast drei Viertel (72 Prozent) hielten christliche Sprache und Bilder bei der Beerdigung für angemessen.
Keine Zunahme des Atheismus
Eine weitere Studie der Bibelgesellschaft, die den religiösen Glauben zwischen 2018 und 2022 untersuchte, ergab, dass der Rückgang des christlichen Glaubens nicht mit einem Anstieg des Atheismus einhergeht. Das Forschungsprojekt ergab sogar einen Rückgang der Menschen, die sich als Atheisten bezeichnen, während der Glaube an Gott gleich geblieben ist.
Dr. McAleer kommentierte das: «Unsere Daten widerlegen die Vorstellung, dass die Religion im Allgemeinen und das Christentum im Besonderen in England und Wales unaufhaltsam abnimmt. Das Bild ist viel differenzierter. In einigen Bereichen unserer Gesellschaft und in einigen Teilen der Kirche ist der Rückgang sehr ausgeprägt. Dies wird jedoch durch Wachstum in anderen Bereichen ausgeglichen.»
Das Glas ist immer noch halb voll
Auch die Zahl der Kirchenbesucher leibe stabil. Das stünde «im Widerspruch zu der gängigen Meinung, dass die Zahl der Kirchenbesucherinnen und -besucher abnimmt. Die Ergebnisse der Volkszählung sollten in diesem Licht gesehen werden», meinte McAleer und fuhr fort: «Nach vielen Jahren, in denen das baldige Aussterben des Christentums zuversichtlich vorhergesagt wurde, ist dies ein bemerkenswert hoher Anteil, der uns dazu veranlassen sollte, tiefer darüber nachzudenken, was mit dem Glauben in England und Wales tatsächlich geschieht. Religiöse Praxis und Identität – sowohl christlich als auch nicht-christlich – ist Mainstream, und die politischen Entscheidungsträger können nicht davon ausgehen, dass religiöse Stimmen in der Öffentlichkeit nicht vorkommen sollten.»
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Autor: Reinhold Scharnowski
Quelle: Livenet / Christian Times