Menschen entschulden
Der Gesetzesentwurf hat noch Lücken und Mängel
Fast die Hälfte der Menschen in der Schweiz ist verschuldet. Ein Schuldenerlass ist aber für Private schwierig zu erreichen. Das soll sich mit einem neuen Gesetz ändern, doch es gibt da noch Nachbesserungsbedarf.
Während Schuldenarten wie Hypotheken oder Leasing weniger problematisch sind, lebt jeder sechste Verschuldete laut Bundesstatistik 2020 in einem Haushalt, in dem Rechnungen – etwa für die Miete oder laufende Kosten wie Strom und Gas, Krankenkassen oder Steuern – nicht rechtzeitig bezahlt wurden. Die meisten Probleme bereiten diesen Menschen die Steuerrechnungen und Krankenkassenprämien: 7,5 Prozent der Bevölkerung zahlte die Steuern zu spät, 5,5 Prozent die Krankenkassenprämien.
Selber schuld ...
Im Laufe der Zeit können sich Schulden von mehreren zehntausend Franken auftürmen. Wer später in der Lage und willens ist, die Schulden abzubauen, dem wird es unter den heutigen Gesetzen und Regelungen aber nicht leicht gemacht. Insbesondere ist ein Privatkonkurs mit hohen Hürden verbunden. Dahinter steckt der implizite Vorwurf: Selber schuld, Sie sollen das auch selbst ausbaden. Das Misstrauen gegenüber Menschen, die sich verschulden, hat bislang die gesetzlichen Regelungen geprägt.
Das soll sich jetzt ändern. Denn die Schweiz hinkt auch bezüglich Schuldensanierung für Personen, die keine Aussicht auf eine Abzahlung ihrer Schulden haben, allen andern europäischen Ländern hinterher. Der Entwurf zum überarbeiteten Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs ist aktuell in der Vernehmlassung.
Eine zweite Chance
Laut dem Vorentwurf des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements (EJPD) soll es inskünftig Verschuldeten möglich sein, unter gewissen Umständen ein schuldenfreies Leben führen zu können. Wer zwar genug zum Leben hat, aber nicht in der Lage ist, Schulden abzuzahlen, soll eine zweite Chance erhalten. Das überarbeitete Gesetz soll laut dem Entwurf auch Anreize setzen, aus der Sozialhilfe auszusteigen und falsche Anreize beseitigen. So weit die erklärte Zielsetzung des Gesetzes.
Nachbesserungen nötig
Doch gerade für die Armutsbetroffenen wie Working Poor und Sozialhilfe-Empfangende ist der Gesetzesentwurf noch unbefriedigend, wie die Unabhängige Fachstelle für Sozialhilferecht (UFS) jetzt feststellte. Sie hat mit mehreren Eingaben das EJPD aufgefordert, auch Armutsbetroffenen den vollen Zugang zu einem Schuldensanierungsverfahren zu ermöglichen. Gerade Sozialhilfeempfänger würden laut Gesetzesentwurf ausgeschlossen, da Entschuldete keine neuen Schulden machen dürfen. Mit dem Sozialhilfebezug machen die Betroffenen aber laufend neue Schulden, denn Sozialhilfebeiträge sind grundsätzlich zurückzuzahlen. Dass der Gesetzesentwurf jedoch die Möglichkeit ausschliesst, Anträge auf Verzicht der Rückzahlungspflicht von Sozialhilfeleistungen zu stellen, sei ein gravierender Mangel.
Die UFS verlangt auch, dass für das Schuldensanierungsverfahren die Schuldenberatungsstellen zuständig sein sollen und nicht – wie im Gesetzesvorschlag vorgesehen – die Betreibungs- und Konkursämter. Denn diese seien den Gläubigern verpflichtet, und nicht den Schuldnern. Das würde sie in fundamentale Interessenkonflikte führen, so die UFS.
Haltungsänderung nötig
Dass die Schweiz bislang mit Armen und Verschuldeten recht ungnädig umgeht, wenn sie von ihren Schulden freikommen wollen, ist weder im Sinne der Präambel der Bundesverfassung, die den Schutz der Schwachen postuliert, noch im Sinne des Evangeliums, das zur sozialen Verantwortung anmahnt. So haben schon die ersten christlichen Gemeinden die Armen in ihre Mitte aufgenommen und sie versorgt. Es stimmt zwar, dass viele Verschuldete nicht unschuldig an ihrer misslichen Lage sind und sich fahrlässig da hineinmanövriert haben. Wer das einsieht und bereit ist, seinen Beitrag zur Entschuldung zu leisten, soll aber eine Chance erhalten.
Die heutige Situation ist völlig unbefriedigend. So müssen Verschuldete, die einen Privatkonkurs anstreben, im Kanton Bern schon mal einen Vorschuss von 5'000 SFR leisten! Und der Privatkonkurs bringt dann lediglich einen Aufschub der Schuldenrückzahlungspflicht.
Es ist daher zu hoffen, dass die Ratsmitglieder auch im rechten politischen Spektrum bereit sein werden, ein Gesetz zu machen, das auch die Armen berücksichtigt. Sie würden damit nicht nur dem Evangelium, sondern auch der Verfassung, die auf einer christlich-humanistischen Basis entstanden ist, dienen.
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Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet