Wichtiger Impuls
Auch Arme sollen von Schulden loskommen dürfen
Menschen in Armut haben in der Schweiz kaum eine Chance, ihre Schulden loszuwerden. Das muss sich ändern, fordert jetzt eine vom Bund initiierte Studie.
Der Bund hat unlängst ein «Nationales Programm zur Prävention und Bekämpfung der Armut in der Schweiz» lanciert. In diesem Rahmen ist jetzt eine Studie veröffentlicht worden, die den Zusammenhang zwischen Armut und Verschuldung untersucht hat. Sie kommt zum Ergebnis, dass arme Menschen überdurchschnittlich häufig Schulden durch Konsumdarlehen, Steuerrückstände und Krankenkassenprämien haben. Und vor allem: Dass sie kaum je eine Chance haben, diese Schulden loszuwerden. Sie bleiben darin gefangen, was ihnen zahlreiche Nachteile bringt, zum Beispiel bei der Stellen- oder Wohnungssuche. Und die Schulden sind psychisch belastend und können die Betroffenen sozial ausgrenzen und krank machen. Die Studienautoren sprechen von «psychosozialer Destabilisierung».
Auch Arme aus den Schulden befreien
Die Studie hat festgestellt, dass vorhandene Programme zur Entschuldung nur auf Schuldner ausgerichtet sind, die auch finanziell in der Lage sind, ihre Schulden in angemessener Zeit abzutragen. Wer dagegen mit dem Existenzminimum leben muss, hat da keine Chance. Schuldenberater sind sich zudem bewusst, dass die bestehenden Regelungen oft ungerecht und kompliziert sind oder auch wenig Sinn machen. So gibt es zum Beispiel grosse Hürden für einen Privatkonkurs, obwohl dieser den Schuldner nicht von den Schulden befreit, sondern ihm lediglich mehr Luft zur Bezahlung seiner Schulden verschafft. Dies im Gegensatz zu einem Firmenkonkurs, wo sich die (nicht privilegierten) Gläubiger das allenfalls noch vorhandene Restvermögen teilen müssen.
Sinnvolle Regelungen verhindert
Die Studienautoren legen in zehn Punkten dar, was sich aus ihrer Sicht ändern muss. So müsste zum Beispiel die Möglichkeit geschaffen werden, dass sich Arbeitnehmende wenigstens freiwillig einem Abzug von Krankenkassenprämien und Steuern vom Lohn unterziehen könnten, wie dies in andern Ländern üblich ist. Bislang stellt sich die politische Mehrheit in der Schweiz immer wieder gegen diese Forderung und treibt damit besonders junge Menschen in die Schulden.
Schweiz im Rückstand
Die Schweiz müsse Fortschritte im Bereich der Schuldenprävention, Schuldenberatung und bei Betreibung, Schuldensanierung und Privatkonkurs machen. In der Schule brauche es bessere Präventionsangebote, die auch auf die Lebenswelt der jungen Leute ausgerichtet seien. Die Fachstellen für Schuldenberatung müssten ihr Angebot auch auf Menschen ausrichten, die ihre Schulden nicht zurückzahlen können und einen Schuldenerlass brauchen. Ein solcher müsste zum Teil erst geschaffen werden. Die Autoren fordern die Schaffung eines gerichtlichen Restschuldbefreiungsverfahrens. Dazu müssten auch kantonale Steuererlassgesetze geschaffen werden.
Zudem müssten die RAVs und die Sozialhilfestellen sich darauf einrichten, besser auf die Situation von verschuldeten Menschen einzugehen, die aufgrund ihrer Situation nicht in der Lage sind, von den Schulden loszukommen.
Unbefriedigende Regelungen der Schuldensanierung
Aus der persönlichen Beratungstätigkeit des Autors dieses Artikels sei ergänzt, dass auch bestehende Schuldenberatungsstellen an ihre Grenzen kommen, wenn die Hauptgläubiger Krankenkassen und Steuerämter sind. Die Zusammensetzung der Gläubiger kann dazu führen, dass eine Schuldentilgung zum Beispiel innerhalb von drei Jahren verunmöglicht wird. Die Alternative eines Privatkonkurses kann in einem solchen Fall schon deshalb realitätsfremd sein, weil das zuständige Gericht einen Vorschuss von 5'000 Franken (so im Kanton Bern) fordert. Wenn der Schuldner einen Lohn bezieht, der über dem Existenzminimum liegt, wird dieser Teil gepfändet, was dazu führt, dass er nicht mehr aus dem Schuldenkarussel herauskommt, weil laufend Verfahrenskosten und hohe Zinsen verrechnet werden und sich neue Steuerschulden anhäufen.
Die Schwachen tragen
Verbesserungen in diesem Bereich fordert schon der Prolog der Bundesverfassung, der die Qualität eines Staates daran misst, wie er mit den Schwachen umgeht und sich dabei auf Gott beruft. Soziale Verantwortung wird aber in der Schweiz leicht durch das Argument der Selbstverantwortung bekämpft, gerade heute in einer Zeit, die gleichzeitig von hoher wirtschaftlicher Prosperität und Kürzungen beim Staatshaushalt geprägt ist.
Zur Studie:
«Armut und Schulden in der Schweiz»
Zum Thema:
Weltwirtschaftsforum: Bei Schulden von Joseph lernen
Reiche Schweiz?: 600'000 von Armut betroffen
Nach Jahrhundert-Trockenheit: Klimagerechtigkeit im Fokus der StopArmut-Konferenz 2018
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet