Klenk denkt, Gott lenkt
Dawkins' Dilemma: Ein Kompass ohne Compassion
Der Oxforder Biologe Richard Dawkins rät zur Abtreibung bei Schwangerschaften mit Verdacht auf Trisomie 21. Ein öffentlicher Vorstoss, dem weitere folgen werden, falls sie ihm nicht längst vorausgeeilt sind. Es genügt ein kurzer Blick zurück, um zu sehen, wohin die Eugenik oder die Ein-Kind-Politik Chinas führt, bei der im nächsten Schritt dann eben Mädchen abgetrieben werden, weil man Besseres erwartet hat.
Horizontale und Vertikale vermessen
Um die Dawkinse dieser Welt zu verstehen, muss man die Landkarten kennen, mit denen sie leben. Oder besser noch: ihren Kompass. Der Philosoph Martin Heidegger vertrat die These, der Mensch entwerfe sein Leben vom Tode her. Inzwischen sind die Dinge komplizierter: Menschenbilder spannen sich im Fadenkreuz von vier Punkten aus. In der Vertikalen zwischen den Fragen «Wann beginnt das Leben?» und «wann und wie endet das Leben?». Auf der Horizontalen zwischen den Fixpunkten «was ist ein Mann?» und «was ist eine Frau?».
Das Unnütze wird weggemacht
Für die hinter uns liegende Epoche war es das biblisch orientierte Magnetfeld, das unsere Kultur eingenordet hat. Weder die Völkerwanderung des 5. Jahrhunderts, noch die Türken vor Wien, weder rote, noch braune oder grüne Ideologie konnten den biblischen Bezugspunkt ausrotten. Jetzt also Dawkins, der Atheist, festgebissen in einen metaphysischen Hass gegenüber einer Kultur, die sich im Kern einer Beziehung zwischen Schöpfer und Geschöpf verdankt. Wer wie Dawkins den inneren Bezugspunkt dieser Beziehung zwischen Gott und Mensch entbehren muss, der findet andere Bezugspunkte mit pragmatisch-nützlichen Lösungen: Kinder, Alte, Kranke oder eben Behinderte können dann bei Bedarf weggemacht werden; auf der Querachse des Kompasses verschwimmen die Geschlechtergrenzen zwischen Mann und Frau zu trostlosen Genderszenarien.
Das Geschenk der Perle
Dawkins urteilt nach dem Nützlichkeitsprinzip. Bei Jesus ist es die Compassion (engl. = Barmherzigkeit), die ihn umtreibt: Gott ist Liebe. Bei Dawkins' Kompass muss der Umtrieb effizient sein. Man möchte den Engländer zum Besuch bei einer Familie einladen, die ihr Down-Syndrom-Kind liebt und trotz schwieriger Umstände gerade durch dieses Sandkorn in der Familienmuschel eine wunderbare Perle geschenkt bekam, die unaufgebbar zu ihnen gehört. Oder man möchte ihm ein Buch zum Thema aus der Werkstatt des Verlegers David Neufeld in die Hand drücken. Dann könnte zart zum Klingen kommen, was der 139. Psalm schon von jeher kraftvoll angeschlagen hat: Den Dank gegenüber Gott, der das Leben jedes Menschen von Anfang an gewollt hat: «Du hast mich geschaffen – meinen Körper und meine Seele, im Leib meiner Mutter hast du mich gebildet. Herr, ich danke dir dafür, dass du mich so wunderbar und einzigartig gemacht hast! Grossartig ist alles, was du geschaffen hast – das erkenne ich! Schon als ich im Verborgenen Gestalt annahm, unsichtbar noch, kunstvoll gebildet im Leib meiner Mutter, da war ich dir dennoch nicht verborgen.» (Psalm 139, 13-15)Sprachfähigkeit entwickeln!
Unser Problem sind nicht die Dawkinse dieser Welt, sondern der Verlust der biblischen Gravitation und der Sprachfähigkeit in den Gemeinden, die auch vor den Schaltzentralen der verfassten Kirchen nicht Halt macht, wo in ethischen Fragen zunehmend die unsägliche Sowohl-als-auch-Rhetorik Raum greift. Wir müssen darum wieder neu lernen, die Eckpunkte einer Anthropologie grundlegend und klar auf der Basis der biblischen Botschaft zu beantworten und unseren Kompass zu justieren. Hier liegt der Auftrag christlicher Ausbildungsstätten. Wo Christen sprachfähig werden, da können sie sich fröhlich in die öffentliche Diskussion einmischen: nicht nur reagierend, sondern agierend; nicht nur reaktiv, sondern proaktiv; nicht nur defensiv, sondern offensiv und Kultur prägend. Wir sind nicht mit der hoffnungsvollsten Botschaft der Welt ausgestattet, um verlegen darüber zu schweigen. Christen sind keine Endverbraucher der Liebe Gottes. Die Geschichte lehrt nicht nur von ihrem messianischen Ende her: Dawkinse kommen und gehen – die Botschaft der Liebe bleibt.
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Autor: Dominik Klenk
Quelle: 'fontis – Brunnen Basel