Kein hoffungsloser Fall

Demente Menschen mit Gottes Liebe berühren

«Wie kann man Menschen mit Demenz das Evangelium erklären?» Diese Frage hat Uli Zeller in seiner Masterarbeit in Theologie beantwortet. Als Altersheimseelsorger führt er Bibelkreise in Kleingruppen für Menschen mit und ohne Demenz durch.

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Uli Zeller bei der Arbeit im Altersheim
Unsere Bibelkreis-Kleingruppen finden im Wohnbereich des Altersheimes statt – also mitten im Leben der Bewohner. Beispiele aus dem Alltag können einfliessen. Ich bekomme Stimmungen und Rivalitäten mit – kann schlichten und für konkrete Probleme beten. Aber es gibt auch Störungen: Plötzlich nimmt ein Bewohner seine Zahnprothese aus dem Mund. Oder Bewohner reden mit Personen, die nur in ihrer Welt existieren.

«Störungen haben Vorrang», habe ich am Theologischen Seminar St. Chrischona (tsc) gelernt. Gemeint war, dass man bei Veranstaltungen nicht stur sein Programm durchziehen sollte, sondern Gegebenheiten und Stimmungen einbezieht. Das kann man bei Menschen mit Demenz umsetzen: Wenn das Hörgerät pfeift oder der Bewohner Schmerzen hat, interessieren ihn meine klügsten theologischen Erkenntnisse nicht. Dann muss das Problem gelöst oder wenigstens zurechtgerückt werden.

Wie man Menschen mit Demenz begegnet

Anhand der «Speisung der Fünftausend» möchte ich das erklären. Das Ereignis sollte zielgerichtet und ohne Nebenhandlungen erzählt werden: «Jesus folgen viele Menschen. Sie haben nichts zu essen. Ein Junge bringt fünf Brote und zwei Fische. Jesus dankt dafür und verteilt sie. Alle werden satt. Zwölf Körbe voll sind übrig.»

Die Sätze sind kurz. Die Worte werden deutlich artikuliert. Bevorzugte Zeitform ist die Gegenwart. Unterstützend dürfen weitere Sinnesreize einbezogen werden. Was in dieser Geschichte regt die Sinne an? Das grüne Gras steht für den Frühling. Der Raum kann zum Beispiel mit einem Blumenstrauss dekoriert werden. Zum Anschauen. Die Teilnehmer können aber auch daran riechen. Brot und Fisch kann in die Mitte gelegt werden. Das Brot dürfen alle in die Hand nehmen, fühlen und schmecken.

Während der fortschreitenden Krankheit verändern sich die Anforderungen für den Umgang mit Betroffenen. Bewährt hat sich die Einteilung von Demenz in drei Phasen.

Phase 1: Unsicherheit und Rückzug

Eine beginnende Demenz wird häufig mit einer Depression verwechselt. Verständlich: Der Betroffene ist überfordert. Er vergisst, hat Angst, macht anderen Vorwürfe oder wirkt aggressiv. Seine Wahrnehmung verändert sich. Aber auf ihn wirkt das, als ob sich sein Umfeld verändern würde. Auf Aussenstehende wirkt das schnell, als ob er an einer Depression leiden würde. In dieser Phase sollte man den Betroffenen nicht noch mehr beschämen. Vielmehr kann er bestärkt werden, noch möglichst viel selbstständig zu machen.

Phase 2: Vergesslichkeit und Unruhe

Im weiteren Verlauf nimmt die Vergesslichkeit zu. Nicht nur das Kurzzeitgedächtnis ist betroffen. Auch tiefere Schichten des Gedächtnisses können nicht mehr abgerufen werden. Ein Bewohner ging mit mir auf einen grossen Spiegel zu. Er sagte: «Ei schau mal, mein Vater. Lange nicht mehr gesehen.» Er lief auf sein Spiegelbild zu und wollte ihm die Hand geben. In dieser Phase drücken sich Betroffene eher floskelhaft aus. Der Bewegungsdrang nimmt zu. Hier muss man dem Betroffenen das Recht auf seine eigene Wahrheit und Logik zugestehen. Es geht darum, ihm gegenüber Wertschätzung und Würde auszudrücken.

Phase 3: Abhängigkeit

Mehr und mehr erlischt nun das Denken. Dem Menschen mit Demenz ist nicht mehr klar, wer er oder sein Gegenüber ist. Seine Lebensgeschichte kann er nicht mehr abrufen. Die Sprache ist auf einzelne Worte und kleinste Sätze beschränkt. Dass Menschen mit Demenz in dieser Phase zwar reduziert kommunizieren, andererseits hochgradig einfühlsam und empfänglich sind, hat mir eine Frau verdeutlicht. Als Krankenpfleger hatte ich sie abends ins Bett gelegt und mit ihr das Vaterunser gebetet. Sie hat stets einige Worte mitgesprochen.

Manchmal nur zwei, manchmal bis zu sieben Worte. Irgendwann habe ich auf die Begleitumstände geachtet. Das Ergebnis war faszinierend: Als ihre klassische Lieblingsmusik von früher auf CD lief, betete sie verstärkt mit. Weitere positive Effekte waren Hand- und Augenkontakt oder wenn ich sie mehrmals mit ihrem Namen ansprach.

Offene Türen nützen

Es gibt kaum Menschen, die sich über einen Besuch und Zuspruch mehr freuen als Menschen mit Demenz. Häufig sind all ihre Angehörigen schon verstorben oder leben weit entfernt. Für unsere Gemeinden ein weites Feld, das wir noch gar nicht richtig entdeckt haben. Einrichtungen der Altenhilfe freuen sich über ehrenamtliche Menschen, die sich einbringen. Was wäre das für eine Chance für Menschen mit Demenz, wenn sie von Christen besucht werden, die nicht nur Zeit und Liebe, sondern auch die beste Nachricht der Welt für sie dabei haben.

Zum Autor:

Uli Zeller ist Altersheimseelsorger in Singen. 2004-2008 studierte er Theologie am Theologischen Seminar St. Chrischona (tsc). Im vergangenen Jahr hat er ein Master-Aufbaustudium am Theologischen Seminar Adelshofen (Unisa) abgeschlossen.

Seine Master-Arbeit «Demenz & Bibel: Seelsorge im Altersheim. Wie kann man Menschen mit Demenz das Evangelium erklären?» ist als Buch erhältlich (ISBN: 978-3-86924-600-0).

Im Sommer 2015 erscheint: Ulrich Zeller: «Frau Krause macht Pause. Andachten für Menschen mit Demenz zum Vorlesen.» Brunnen 2015. ISBN 978-3-7655-4260-2.

Webseite:
Theologisches Seminar St. Chrischona
Chrischona Panorama

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Datum: 14.08.2014
Autor: Florian Wüthrich
Quelle: Chrischona Panorama

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