Sonntag der verfolgten Kirche
Kampf der Supermächte führt zu mehr Druck auf Christen
Am 20. November ist der «Sonntag der verfolgten Kirche». Blasphemie-Gesetze, dschihadistische Mobs, nationalistische Strömungen – Christen leiden enorm. Im Interview mit Livenet gibt Joel Veldkamp, Advocacy-Verantwortlicher bei CSI, einen Überblick.
Joel Veldkamp, am 20. November ist der «Sonntag der
verfolgten Kirche». Wie ist die aktuelle Situation der Christenverfolgung?
Joel Veldkamp: Die derzeitige Lage ist sehr
ernst. In Syrien und Armenien/Berg-Karabach sind einige der ältesten
christlichen Gemeinschaften der Welt vom Aussterben bedroht, wenn sich die
laufende Entwicklung fortsetzt. In Afrika sind dschihadistische Gruppen auf dem
Vormarsch. Sie greifen Christen in vielen Ländern an, in denen sie früher in
Frieden lebten. In Südasien schränken die Regierungen die Religionsfreiheit
immer stärker ein, und die Christen sind mehr Gewalt ausgesetzt als früher. Wir
beobachten eine Zunahme von nationalistischen Strömungen, die auf religiöser
Identität beruhen und zu Gewalt und Diskriminierung gegen Christen und andere
Minderheiten führen; es geht um «Blasphemie»-Gesetze, Anti-Konversionsgesetze,
Angriffe gewalttätiger Mobs und so weiter.
Wie hat sich die Lage allgemein verändert?
In den letzten Jahren haben die drei Supermächte –
Russland, China und die USA – ihren Wettbewerb um geopolitische Vorteile
verschärft. Dies führt zu mehr Kriegen und politischer Instabilität in der
ganzen Welt, was auch die Voraussetzungen für Verfolgung schafft. Das haben wir
in Syrien deutlich gesehen, wo der Versuch der USA und Europas, die mit
Russland verbündete syrische Regierung zu stürzen, dschihadistischen Gruppen
Tür und Tor öffnete und wo westliche Sanktionen nun eine echte humanitäre Krise
auslösen und Christen dazu bringen, das Land zu verlassen. Heute bringt Russlands Einmarsch in der Ukraine nicht
nur Zehntausende unschuldiger Menschen um, sondern zerstört auch die
Möglichkeit einer Zusammenarbeit der Supermächte und führt zu einer weltweiten
Lebensmittelknappheit. Wir gehen davon aus, dass die Situation für verfolgte
Christen noch schlimmer werden wird.
CSI engagiert sich auch in Armenien/Berg-Karabach. Wie
setzen Sie sich in dieser Konfliktregion ein?
In Berg-Karabach kämpfen über hunderttausend
armenische Christen ums Überleben in ihrer Heimat. Sie sind von den
Streitkräften der aserbaidschanischen Diktatur umgeben, die ihr Land erobern
und sie töten oder vertreiben will. Nur eine kleine russische Friedenstruppe
schützt sie. Im September hat Aserbaidschan die Republik Armenien selbst
angegriffen und damit eine gefährliche neue Phase eingeleitet. Die Christen in
Armenien und Berg-Karabach sind die Nachkommen der Überlebenden des grossen
armenischen Völkermords von 1915 bis 1923 und der ethnischen
Säuberungsaktionen, die von den aserbaidschanischen Streitkräften in den Jahren
1988 bis 1994 durchgeführt wurden. Heute ist ihre Zukunft erneut in Frage
gestellt.
CSI hat sich verpflichtet, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um den Armeniern zu helfen, in ihrem Heimatland zu bleiben und sich diesem Völkermord zu widersetzen. Wir unterstützen ein erstklassiges Rehabilitationszentrum in der Hauptstadt von Berg-Karabach, das Menschen mit Beeinträchtigungen hilft und es ihren Familien ermöglicht, in der Region zu bleiben, anstatt für eine Behandlung in andere Länder reisen zu müssen. Wir unterstützen auch Armenier, die durch die Angriffe Aserbaidschans gezwungen wurden, aus ihrer Heimat zu fliehen. Und schliesslich nutzen wir alle Möglichkeiten, um diese Krise vor die Weltöffentlichkeit zu bringen und von den Verbündeten Aserbaidschans – den USA und den europäischen Staaten – zu verlangen, dass sie ihren Einfluss geltend machen, um die aserbaidschanische Aggression zu beenden.
In den vergangenen Jahren hat sich die Lage in Nigeria
immer weiter verschlechtert. CSI hat da einen Schwerpunkt gesetzt. Wie sieht
dieser aus?
In Nigeria überfallen bewaffnete Milizen der
muslimischen Fulani-Ethnie systematisch christliche Dörfer in einer riesigen
Region, die «Middle Belt» genannt wird. Diese Krise wird weniger beachtet als
die spektakulären Angriffe von Boko Haram, aber für die Zukunft der Christen in
Nigeria ist sie weitaus ernster – und die nigerianische Regierung scheint wenig
dagegen zu unternehmen. Auf unserer Website «Nigeria Report» berichten wir
über diese Krise und über einzelne Verfolgte wie Rhoda Jatau, eine christliche
Mutter von fünf Kindern, die seit sechs Monaten wegen «Blasphemie» im Gefängnis
sitzt. Nach dem in Nordnigeria herrschenden Scharia-Gesetz könnte ihr dafür die
Todesstrafe drohen.
CSI unterstützt auch Christen, die vor den Angriffen der Dschihadisten aus ihren Häusern fliehen mussten. Wir leisten Nothilfe, kümmern uns um die medizinische Versorgung, helfen bei der Suche nach Unterkünften, ermöglichen Schulbildung für Kinder sowie Mikrokredite für die Gründung von Kleingewerben. Wir bieten auch finanzielle und rechtliche Unterstützung für einzelne Christen, die von der Regierung verfolgt werden.
Was bewegt Sie persönlich an Ihrer Arbeit?
Die Begegnungen mit
den mutigen Menschen in diesen Ländern, die trotz des unglaublichen Übels und
Leids nicht aufgeben. Der sudanesische Händler, der immer wieder Menschen aus
der Sklaverei befreit, selbst, nachdem Agenten der Regierung seine Mutter wegen
seiner Arbeit ermordet haben. Die junge Syrerin, die ein voll finanziertes
Masterstudium in Europa aufgegeben hat, um sich weiterhin ehrenamtlich in ihrer
Heimatstadt zu engagieren. Der armenische Physiotherapeut, der sich weigerte,
seine Stadt zu evakuieren, selbst als sie 44 Tage lang bombardiert wurde, weil
er sich um seine Patienten kümmern wollte. Der nigerianische Journalist, der
wiederholt ins Gefängnis musste, weil er über Angriffe auf christliche Dörfer
berichtet hat, und trotzdem nicht aufhört zu berichten. Solche Menschen zu kennen,
ist eine enorme Inspiration. Wie können wir da nicht unser Bestes geben, um
ihnen jede erdenkliche Unterstützung zukommen zu lassen?
Zur Webseite:
CSI Schweiz
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Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet